Vielleicht kann man an Coco Corona Chanel Nr. 5 (CCC 5) am besten sehen, was die Künstlerin Eva Brenner macht. Hunderte von feinen grauen Streifen, tiefblau oder flaschengrün schimmernd, sind eingespannt in ein kupfernes Gestell. Wer diese zwei Meter breite und mannshohe Skulptur anschaut, denkt vielleicht an einen Theatervorhang oder eine Ballrobe, an den Tanz von Farnen im Licht oder ganz bodenständig an einen Garderobenständer.

Kunst in Corona Zeiten 

Entstanden ist das Werk aus Abschnitten von Röntgenbildern in der Coronazeit, einer Zeit, in der kein Theatervorhang hochging, die Ballkleider im Schrank blieben und die Künstlerin wie die meisten eine Sehnsucht nach dem Leben nach der großen Starre verspürte.

Eva Brenner, die im vergangenen Jahr 60 Jahre alt geworden ist, zeigt CCC 5 in ihrer Ausstellung "my echo, my shadow and me", die am Donnerstag in der Nürnberger Egidienkirche eröffnet worden ist. Es ist darin nicht das einzige Werk aus dem Material Röntgenbild, zu dem Brenner als an Multipler Sklerose erkrankte Frau eine besondere Beziehung hat. "Röntgenbilder stellen zweidimensional etwas Dreidimensionales dar", erklärt sie ihre Faszination.

Das auffälligste Ausstellungsstück ist ein bewegliches 100 Quadratmeter großes Geflecht, das aufwendig unter den Deckenhimmel der Kirche gehängt worden ist. "Jetzt - eine volatile Skulptur" - diese Überschrift hat Brenner dem Netz aus Tausenden aneinander geknoteten Quadraten gegeben, die aus Röntgenbildern geschnitten sind. Es erinnert an das Dach des Münchner Olympiastadions, aber auch an eine dunkle, schwarze Wolke.

Biografie der Künstlerin 

Die Künstlerin, die wegen ihrer Krankheit im Rollstuhl sitzt und auch die Hände und Arme kaum bewegen kann, schreibt zu "Jetzt": "Wenn man sich nicht bewegt, spürt man Lähmung nicht. - Lähmung wird erst dann spürbar, wenn man an die Grenzen der Beweglichkeit stößt."

Eva Brenner ist gelernte Schneiderin und immer noch beseelt von diesem Beruf, in dem mit Abnähern und Falten Stoffe neue Dimensionen bekommen. Sie war einmal mit Leidenschaft Gewandmeisterin am Erlanger Theater, hatte ein großes Atelier in Nürnberg Gostenhof. Von den Zeiten, als sie ihre Hände noch gut benutzen konnte, zeugen 36 Zeichnungen, die wie schwebend aufgehängt sind, und an die Kirchenwand große Schatten werfen.

Für die Realisierung solcher Projekte braucht sie kongeniale Partner und sie benötigt im Alltag für jede Verrichtung Hilfe. Eine Schar von 16 Assistentinnen und Assistenten wechselt sich in den 24 Stunden des Tages ab und wird von Brenner wie von einer "Bienenkönigin" koordiniert, wie sie es jüngst in einem Gespräch zu ihrem Werkkatalog augenzwinkernd beschrieb. Zum Beweis, wie eingespannt die jugendlich wirkende Frau ist, leuchtet wieder einmal der Bildschirm des Smartphones auf. Eva Brenner drückt das Gespräch am Telefon um den Hals hängenden Telefon weg: "Das muss jetzt warten".

"Ich habe großes Glück", sagt Eva Brenner beim Gang durch ihre Retrospektiven-Ausstellung. Es sei eigentlich ihr Charakter, alles selbst machen zu wollen, aber nun habe sie Delegieren und Kommunizieren gelernt, Vertrauen und Geduld haben.

Schließlich sind noch die neueren Werke zu besichtigen - die Skulptur "Heilig, Jetzt", die in der Wolfgangskapelle hängt. Eine Heiligenfigur ganz aus Wertstoff hergestellt, Vakuum-Kaffee-Verpackungen oder Nutella-Deckel, laminiert. Auf einem digitalen Bildschirm, der das Gesicht der Heiligenfigur ist, erscheinen im 30-Sekundentakt 100 verschiedene Porträts. "Wir alle sind heilig" möchte, die Künstlerin damit die Gottesebenbildlichkeit des Menschen ausdrücken. Sie hofft, die Skulptur, die bereits in Bamberg, Berlin und in der Nürnberger Frauenkirche zu sehen war, demnächst in Jerusalem ausstellen zu dürfen.

Eva Brenner kann mit ihrem Rollstuhl die Wolfgangskapelle der Egidienkirche nicht ohne einen großen Umweg erreichen. Dort sind aber in der Ausstellung gerade solche Werke ausgestellt, mit denen sie sich mit ihrem erkrankten Körper auseinandersetzt. Da stehen etwa goldene Abformungen ihrer Beine, sogenannte 3D-Frottagen, in Vitrinen, wie man sie von Naturkundemuseen kennt. In der Ecke des Raums ebenfalls wieder in Gold ein Paravent, in dem die Reise-Behinderten-Toilette von Brenner steht. "Der Stuhl wird überallhin mitgeschleppt", erzählt sie lachend. "Damit möchte ich das Thema Teilhabe auf humorvolle Weise darstellen".

Hoffnung niemals aufgegeben 

Sie sei ein glücklicher Mensch, betont Eva Brenner wieder. Eine solche Ausstellung machen zu können, sei ein großes Glück. Die 60-Jährige denkt positiv: Dazu passt ihre Idee, die dunkle Wolke "Jetzt" - erdacht zur Bewerbung Nürnbergs als Europäische Kulturhauptstadt - ursprünglich von Drohnen davontragen zu lassen. Die Bewerbung Nürnberg ging daneben, Eva Brenner dagegen scheitert, mit ihrer Kunst und an ihrer Krankheit nicht. Einer ihrer Werkserien gab sie einmal den Titel: "Laminieren statt lamentieren".

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