Der Singspiel-Klassiker "Im weißen Rössl" gilt als Kost der leichteren Gangart. Das 1930 uraufgeführte Stück war den Nazis ein Dorn im Auge, gehört aber spätestens seit der Verfilmung mit Peter Alexander 1960 zum viel gespielten Operettenkanon. Dass die Kreuzgangspiele Feuchtwangen das "Rössl" als eines der beiden Hauptstücke der Spielzeit 2022 wählen, ist dagegen sicher auch ein Zeichen von Optimismus, der auch nach zwei Corona-Jahren noch vorhält. Am Donnerstag war Premiere.
Ensemble blieb trotz Corona standhaft
Auch wenn Theater geschlossen, Konzertbühnen verwaist und selbst Freilichtspiele abgesagt waren – in Feuchtwangen wurde immer gespielt. Schon im Frühsommer 2020, als die neueste Variante des Coronavirus gerade nicht nur die Kulturwelt aufmischte. Auch ein Jahr später, als immer noch wenigstens Zugangsbeschränkungen und Maskenpflicht vielerorts galten. Das Ensemble der Kreuzgangspiele hat alles möglich gemacht, was im Rahmen der jeweils geltenden Infektionsschutzverordnung gerade erlaubt war.
Und 2022? Es darf wieder ohne Besucherobergrenzen und auch ohne Hygiene- und Abstandsregeln gespielt werden. Da passt die kurzweilige Reise mit unerwarteten Begegnungen und Abenteuern in den Gasthof ‚Zum weißen Rössl‘ am idyllischen Wolfgangsee doch wie die berühmte Faust aufs Auge. Dort will Oberkellner Leopold die hübsche Wirtin Josepha für sich gewinnen, die jedoch nur Augen für einen Rechtsanwalt hat. Um ihre Aufmerksamkeit zu erhaschen, zieht er als Gast in das Hotel. Als ausgerechnet Kaiser Franz Joseph zu Besuch kommt, werden die Dinge kompliziert.
In Feuchtwangen lernt man aber: Auch wenn sich im "Rössl" Beziehungsprobleme geschäftlicher und amouröser Art zu überraschenden Szenen verweben: Das Ensemble lässt die Lebensfreude sprudeln, nimmt sich und die Welt nicht ganz so ernst, dafür aber die Darbietung schon, sodass einem wieder mal klar wird: Dass es so leicht klingt, ist ganz schön schwer.
Hitparade mit realem Hintergrund
"Es muss was Wunderbares sein", "Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist", "Aber zuschaun kann i net", Mein Liebeslied muss ein Walzer sein", "Die ganze Welt ist himmelblau" – die Operette "Im weißen Rössl" wartet mit einer Viezahl an Arien, Duetten und Liedern von Ralph Benatzky (Musik) und Robert Gilbert (Text) auf, die bereits kurz nach der Premiere zu Hits wurden und heute Evergreens sind. Und die dem real seit 1878 existierenden Gasthof, heute ein 4-Sterne-Romantik-Hotel mit 1500 m² Wellness-Bereich und dem ersten schwimmenden Whirlpool der Welt, eine hervorragende Werbung beschert.
Die Nationalsozialisten waren allerdings keine Fans der Hit-Parade. Reichspropagandaminister Joseph Goebbels bezeichnete das Werk 1934 in der "Zeitschrift für Musik" gar als "jüdische Kitschoperette". Wegen seiner jüdischen Mitautoren wurde es verboten und galt wegen einer als despektierlich empfundenen Lebensfreuden als "entartet". Komponist Ralph Benatzky hatte die Wahl, entweder alle jüdischen Künstlerinnen und Künstler aus dem Ensemble oder ganz das Handtuch zu werfen. Er entschied sich für letzteres.
Vorboten des Zweiten Weltkrieges
"Lass uns Abschied nehmen mit lächelndem Gesicht" ist ein weiterer Hit der Operette. Der sanfte Text ist mit einem Marschrhythmus unterlegt. "Da haben sich die Komponisten was dabei gedacht", bekannte auch Johannes Kaetzler im Anschluss an die Premiere beim Empfang in der Stadthalle. Der leichtfüßige Stoff war wie ein letztes Aufbäumen des Optimismus, wohlwissen, dass die Zeiten sich bald ändern.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Stoff mehrfach verfilmt, aber auch für die Bühne neu adaptiert, umgedeutet und um Musiknummern erweitert. Intendant und Regisseur Johannes Kaetzler stützt sich auf die Urfassung des gleichnamigen Lustspiels von Oskar Blumenthal und Gustav Kadelburg, das erstmals am 30. Dezember 1897 im Lessingtheater in Berlin aufgeführt wurde. Insofern feiert das "Weisse Rössl" in diesem Jahr sogar sein 125-jähriges Jubiläum.
Neben dem erstklassigen Ensemble, das durchwegs Schauspiel- als auch Singtalent zeigt, ist besonders die Band hervorzuheben, die live im Kreuzgang die Songs intoniert. In der Besetzung Piano, Drums, Klarinette, Violine und Kontrabass groovt es da ganz schön aus dem alten Gemäuer.
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