Ein neuer Trend macht derzeit auf Plattformen wie TikTok und Instagram die Runde: der sogenannte "Jesus Glow". Meist junge Frauen zeigen in Vorher-Nachher-Videos, wie sie durch ihren Glauben an Jesus, Bibelarbeit und ein gottzentriertes Leben innerlich wie äußerlich aufgeblüht seien – sie wirken gelassener, glücklicher, schöner.
Auf den ersten Blick wirkt das positiv: Glaube als Quelle von innerer Stärke und Selbstfindung – was kann daran falsch sein? Und ja, dass Spiritualität, Gebet oder die Auseinandersetzung mit der Bibel Menschen Kraft geben und sie in ihrer persönlichen Entwicklung stärken, ist unbestritten. Wenn der Jesus Glow dazu beiträgt, dass junge Menschen neue Zugänge zum Glauben finden, ist das grundsätzlich begrüßenswert.
Doch der Trend hat auch eine Schattenseite – vor allem, wenn er über das rein Persönliche hinausgeht.
Zwischen Inspiration und Idealisierung
Problematisch wird es, wenn der Glaube nicht mehr als Weg zur inneren Heilung oder Selbsterkenntnis dargestellt wird, sondern als Mittel zur körperlichen Selbstoptimierung. Viele Influencer*innen suggerieren, dass ihre gestiegene Attraktivität ein direktes Ergebnis ihres Glaubens sei. Religion und Schönheitsideale vermischen sich – und so entsteht ein Bild, das den Glauben auf äußere Erscheinung reduziert.
Dadurch wird nicht nur die Spiritualität instrumentalisiert, sondern auch ein fragwürdiges Ideal vermittelt: Wer keinen sichtbaren Glow-Up erlebt, scheint nicht gläubig genug zu sein – oder nicht richtig zu glauben. Das kann gerade bei jungen Menschen zu Zweifeln, Selbstwertproblemen oder Ausschlussgefühlen führen.
Tradwives 2.0? Wenn Glaube zurück ins Patriarchat führt
Auffällig ist auch, wie stark der Jesus-Glow-Trend teilweise in die Nähe der sogenannten "Tradwives"-Bewegung rückt. Hier inszenieren sich Frauen bewusst in traditionellen Geschlechterrollen, preisen Hausfrauenleben, Unterordnung unter den Ehemann und eine vermeintlich gottgewollte Rollenverteilung als erfüllend.
Ähnlich zeigen einige der Jesus-Glow-Influencer*innen, wie sie sich nicht nur Gott, sondern auch ihrem Mann unterordnen. Sie stilisieren sich als fromme Ehefrauen, die ihr Glück im Verzicht auf Selbstbestimmung finden – freiwillig, wie sie betonen.
Doch genau hier liegt das Problem: Unterordnung mag selbstgewählt wirken, aber sie steht gefährlich nah an struktureller Unterdrückung – insbesondere, wenn diese Lebensweise öffentlich idealisiert und als erstrebenswerte Norm für andere dargestellt wird.
Zudem äußern einige, dass sie politische Verantwortung abgeben wollen, weil allein Gottes Plan ihnen den Weg zeige. Eine solche Haltung kann zur Ablehnung demokratischer Mitgestaltung führen – ein weiterer Punkt, der kritisches Nachdenken erfordert.
Zwischen Licht und Schatten
Der Jesus-Glow-Trend ist nicht per se schlecht – entscheidend ist, wie er gelebt und vermittelt wird. Wenn Glaube anderen Menschen Kraft gibt, ist das wertvoll. Doch wenn Spiritualität an äußere Schönheitsideale, weibliche Unterordnung oder konservative Rollenbilder geknüpft wird, geraten grundlegende feministische Errungenschaften ins Wanken.
Wer solchen Inhalten begegnet, sollte sich fragen:
- Was steckt wirklich hinter der vermeintlichen Verwandlung?
- Wird hier Glaube geteilt – oder ein Ideal verkauft?
Denn: Aufblühen im Glauben kann jede*r – unabhängig von Aussehen, Geschlecht oder Lebensmodell. Dafür braucht es keine Inszenierung, keinen Glow-Effekt und schon gar keine Unterordnung.
Quellen
Christianity Today "Tradwife content offers fundamentalism fit for Instagram"
Newsweek "I survived Christian Patriarchy - the Tradwife Trend is hauntingly familiar"
TeenVogue "How many trad wives spread christian nationalism and helped elect Donald Trump"
Salon "Tradwives offer an alluring vision of right-wing christianity - online warriors are fighting back"
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