Wie erleben Sie die Situation derzeit direkt in Meran? Wie die Situation in Südtirol?

Martin Krautwurst: Meran wirkt in diesen Tagen wie eine Geisterstadt. Die Stadt ist abgeriegelt, man braucht eine Sondergenehmigung, um sich hier frei zu bewegen. Die Straßen sind leer; wo sonst zahlreiche Touristen die Sonne genießen, herrscht gespenstige Leere. Auf der Promenade sieht man nur noch vereinzelt Einwohner mit besorgtem Blick ihre Hunde ausführen. Die Geschäfte sind geschlossen, eine merkwürdige Stille; für die Stadt und das Land Südtirol eine Katastrophe, da hier doch die meisten vom Tourismus leben.

Bei Ihnen besteht ja Voralarm, Zivilschutzstatus Bravo, für Südtirol. Was heißt das konkret für das Leben der Menschen vor Ort?

Krautwurst: Bei uns sind ja schon länger wirklich alle Veranstaltungen abgesagt. Kein Kino, kein Theater, keine Sportveranstaltungen. Die Kinderspielplätze wurden abgesperrt, Museen, Restaurants und alle öffentlichen Einrichtungen sind geschlossen. Die Polizei kontrolliert Straßen und Plätze, niemand sollte unterwegs sein, alle sollen zu Hause bleiben. Mich erinnert die Situation an die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl, eine Begegnung und somit ein Gespräch im Freien ist kaum noch möglich. Eine besondere Herausforderung, wenn Paare und Familien auf engem Raum zu Hause ausharren müssen. Ein Reporter vom Fernsehen sagte zu mir, dass er eine erhöhte Scheidungsrate befürchte, ich hingegen habe die Hoffnung, dass die Zahl der Taufanmeldungen steigt.

Wie geht ihre Gemeinde damit um? Ist sie selbst betroffen? Leistet sie Hilfe?

Krautwurst: Wir versuchen, telefonisch Kontakt zu halten, vor allem mit unseren älteren und alleinstehenden Gemeindegliedern. Wir erfragen so, wo Hilfe nötig ist, und versuchen zu begleiten und zu helfen. Das klappt ganz gut. Wir verteilen weiterhin Lebensmittelbeutel an Bedürftige, die bei uns klingeln, und öffnen täglich die Kirche zu Meditation und Gebet. Über die sozialen Medien schreibe ich jeden Tag ein "Wort zum Tag", in dem ich die besondere Situation beschreibe, Tageslosung und Lehrtexte auslege und Hoffnung und Zuversicht ausstrahlen möchte. Diese kleinen täglichen Andachten werden sehr gut angenommen und vielfach weitergeleitet. Am Ende der Auslegung gebe ich Tipps, um die "geschenkte Zeit" nicht "zu vertreiben" oder "totzuschlagen", sondern gut zu nutzen und zu gestalten. Viele Ideen kommen auch zurück – das ist durchaus spannend, was sich die Menschen alles einfallen lassen.

Wie steht es um das Gemeindeleben? Gibt es Alternativen? Digitale Gottesdienste? Übers Radio?

Krautwurst: Auch wir mussten alle Veranstaltungen und Gemeindekreise absagen bzw. verschieben. Die Gottesdienste sind schon länger abgesagt, Trauerfeiern dürfen nur noch im engsten Familienkreis mit bis zu acht Personen und nur im Freien am Grab abgehalten werden. Eine traurige und furchtbare Situation.

Doch das Leben geht weiter, zwar anders, aber da bewegt sich etwas. Man wächst trotz der geforderten Distanz zusammen. Abstand bringt Nähe, schließlich sitzen wir alle im selben Boot.

Ich spüre großes Verständnis für die Bestimmungen und eine große Solidarität untereinander. Viele Gebete gehen derzeit von Südtirol gen Himmel, nicht nur für die eigene Familie oder Freunde, sondern für die Betroffenen und für die zahlreichen Ärzte und das Pflegepersonal, das hier in diesen Tagen Erstaunliches leistet und sich dabei selbst in Gefahr begibt. Die Menschen nehmen die Situation an und verhalten sich sehr vorbildlich. Keine Hamsterkäufe, keine unüberlegten Handlungen die Menschen sind sehr zuversichtlich.

Werden andere, digitalisierte Gottesdienstformate notwendig?

Krautwurst: An den Sonntagen lade ich zu den Fernsehgottesdiensten ein, schließlich hat unsere Gemeinde auch hier sehr gute Erfahrungen mit diesem Gottesdienstformat machen können. Zusätzlich bereiten wir Pfarrer der Evangelischen Kirche in Italien (ELKI) Fürbittgebete, Andachten und Gottesdienste auf unserer Homepage vor, die dann jeder abrufen kann. Ich verschicke zusätzlich Links und Informationen zur geistlichen Stärkung, denn die Seele ist oft stärker betroffen als das körperliche Empfinden.