Warum beschleunigen sich unsere Lebensroutinen ständig?

Harald Klimenta: Wir wollen möglichst viel mitnehmen in unserem endlichen, diesseitigen Leben, deshalb versuchen wir, unsere Erlebnisse zu maximieren. Außerdem streben wir danach, unseren Lebenslauf zu optimieren. Je mehr schöne Erlebnisse wir haben, desto schöner erscheint das Leben.

Auf welcher Ebene spielt sich dieses schöne Leben ab?

Klimenta: Wer eine Kreuzfahrt macht und 20 verschiedene Altstädte anschaut, bei dem verschwimmen die Erinnerungen ganz schnell. Es ist eine Art von Abklappern der Events, die keine tiefgründigen Erfahrungen in einem Menschen hinterlässt.

Warum strebt der Mensch nach diesem Schneller, Höher, Weiter?

Klimenta: Das begann schon im 18./19. Jahrhundert, als die erste Dreschmaschine ins Dorf kam. Mit ihr wurde eine unendliche Plackerei durch eine Maschine wettgemacht – das Leben wurde dadurch verbessert. Daraus entwickelte sich bei den Menschen eine Technik-Faszination, die bis heute anhält. Wenig später flog man zum Mond, heute blickt man auf sein Handy.

Man glaubt mehr Welt in Reichweite zu haben und sie wird plötzlich sogar per Knopfdruck erreichbar.

Hat die Technik gehalten, was sie versprochen hat, geht es uns besser?

Klimenta: Es ist völlig klar, dass es den Menschen besser geht, sonst würden sie sich darauf nicht einlassen. Die Frage ist aber, auf welcher Ebene dieses Bessergehen angesiedelt ist. Zunächst muss man akzeptieren, dass die Menschen das, was sie tun, gerne machen und sich dabei selbst massiv überlasten. Sie meinen, sie müssten jetzt das und das auch noch kaufen. Zwei Jahre später finden sie dann in ihrem Schrank eine originalverpackte Jacke. Auf diese Weise rutscht man in einen Hyperkonsum, der ab der Mittelschicht ziemlich sinnfrei ist, weil das Leben dadurch nicht besser wird, sondern einfach nur schneller.

Harald Klimenta.
Harald Klimenta.

Den Menschen dämmert es, dass die Beschleunigung nicht gut für sie ist ...

Klimenta: Der Soziologe Hartmut Rosa nennt eine Nicht-Beziehung zu Menschen, Dingen, Räumen und zur Natur "Entfremdung". Wir ziehen öfter um, fliegen Tausende Kilometer weit, fahren viel in der Gegend herum. Dadurch ist der Raum, den wir durchfahren, nicht mehr so wichtig, wenn wir ihn dauernd wechseln können.

Wir werden heimatlos. Wer fünf Mal in seinem Leben umgezogen ist, der verwandelt sich sein neues Zuhause nicht mehr an.

Ihm genügt zu wissen, wo der nächste Supermarkt ist. Wir verwandeln uns auch Produkte nicht mehr an. Wenn sie kaputt sind, werden sie weggeworfen, aber nicht repariert. Wichtiger Punkt bei Hartmut Rosa ist: Der Mensch kann Resonanzbeziehungen nicht nur zu Menschen, sondern auch zu Dingen und Orten entwickeln, bei denen man mehr erfährt als nur ein kaltes Etwas.

Wie kommt man aus der Spirale heraus?

Klimenta: Wenn wir positive Beziehungen zu Menschen aufbauen wollen, brauchen wir Zeit. Darauf müssen wir bestehen. Wenn wir Familie, Freunde, Beziehungen, Nachbarschaften wichtig nehmen, dann brauchen wir eine Gesellschaft, in der uns der Arbeitgeber nicht sagen kann: Wenn du Karriere machen willst, gehst du jetzt zwei Jahre nach Singapur und ziehst danach nach Paris. Wenn wir positive Beziehungen zu Menschen aufbauen wollen, müssen wir sogar eine gewisse Unflexibilität einfordern.

Wie soll das funktionieren?

Klimenta: Der Ökonom Niko Paech schlägt eine massive Arbeitszeitverkürzung vor – nicht um weniger zu arbeiten, sondern um aus der globalisierten Wachstumsökonomie ein Stück weit auszusteigen. 20 Stunden Arbeit in der Globalisierung, die anderen 20 Stunden in der Woche sollten wir für uns und für die Region arbeiten, mehr Selbstversorgung und Reparaturarbeiten und mehr regionale Kreislaufwirtschaft betreiben. Wobei die 20 Stunden ein Richtwert sind, das können manche natürlich nicht machen, viele aber schon.

Und wenn kein Umdenken erfolgt?

Klimenta: Die zunehmende Beschleunigung wird noch weitere Krisen zur Folge haben, nicht nur eine ökologische. Eine Demokratie, die den politischen Willen aushandeln muss, braucht Zeit, weil sich möglichst viele Menschen an dem Prozess beteiligen sollen. Ein Unternehmer möchte aber möglichst schnelle Entscheidungen, um investieren zu können. Die Finanzmärkte entscheiden inzwischen im Mikrosekundentakt. Das passt alles nicht mehr zusammen, sodass es zu Desynchronisationseffekten kommt.

Wenn der Mensch aber in einer Demokratie keine Selbstwirksamkeitserfahrungen mehr macht, dann führt das zu Frust und antidemokratischen Allüren.