Was den Haushalt betrifft, kommt es in Familien immer mal wieder zu Querelen: Wer putzt? Wer macht die Wäsche? Frauen sehen es längst nicht mehr ein, die Hausarbeit neben ihrem Job alleine zu stemmen. Anders verhält es sich, wenn Eltern pflegebedürftig werden: In den meisten Fälle pflegen dann die Töchter oder Schwiegertöchter, sagt Familien- und Geschlechterforscherin Tanja Mühling im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst epd. Die 47-Jährige befasst sich an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt mit dieser Thematik.
Vor allem Frauen sehen es als ihre Pflicht an, Eltern oder Schwiegereltern zu Hause zu pflegen. Warum ist das immer noch so?
Tanja Mühling: Wir haben nach wie vor Geschlechternormen, auch wenn sich in den letzten 30 Jahren einiges getan hat. Was das Thema "Pflege" anbelangt, spielt mit hinein, wie man selbst aufgewachsen ist.
Frauen haben erlebt, dass es vor allem die Mütter waren, die sich als Kind um sie gekümmert haben. Auch haben sie beobachtet, dass ihre Mütter und Großmütter für pflegebedürftige Groß- oder Urgroßeltern gesorgt haben. Solche Vorbildfunktionen wirken stark nach.
Hinzu kommt, dass Frauen aufgrund ihrer Berufswahl meist weniger verdienen als ihr Partner. Frauen übernehmen auch deshalb viel öfter die Pflege, weil die Familie auf ihren Verdienst leichter verzichten kann.
Wird denn in den Familien gut überlegt, wer die Pflege übernimmt? Oder wird oft gar nicht lange diskutiert, weil es "klar" ist, dass die Schwester oder Tochter pflegen wird?
Mühling: Teilweise sind das schon rationale Entscheidungen. Da geht es darum, wer näher vor Ort ist oder wer in Teilzeit arbeitet. Anders schaut es aus, wenn sich die Pflegesituation schrittweise entwickelt. Häufig ist es ja so, dass allmählich immer mehr Hilfe geleistet werden muss. Da stellt sich die Frage, wer mit diesen kleinen Unterstützungen beginnt. Und das sind eher die Frauen. Nachdem sie sich schon immer "ein bisschen mehr" gekümmert haben, übernehmen sie später meist die Hauptarbeit, werden die Eltern oder Schwiegereltern richtig pflegebedürftig. Das liegt auch daran, dass sie diese Aufgabe nicht mehr abgeben wollen. Schließlich wissen sie, weil sie sich schon immer "ein bisschen mehr" gekümmert haben, am besten über die Krankheit der Eltern, über Medikamente und Therapien Bescheid.
Gibt es einen Unterschied, ob die Familie in einer kleinen Ortschaft oder in einer großen Stadt lebt? Sprich: Pflegen Frauen in ländlichen Regionen womöglich noch mal häufiger als Städterinnen?
Mühling:
Es gibt bei Einstellungen und Normen nach wie vor einen Stadt-Land-Unterschied. Deswegen werden im ländlichen Raum auch weniger Kinder in Krippen betreut, selbst wenn es dort Krippen gibt. Hinzu kommt, dass die Generationen im ländlichen Raum meist näher beieinander leben.
Außerdem gibt es in Städten mehr ambulante und stationäre Angebote für Pflegebedürftige. Von daher wird im ländlichen Raum mehr häuslich gepflegt, und zwar vor allem von Frauen.
Kennen Sie Zahlen, wie viele Stunden eine häuslich pflegende Person im Schnitt am Tag in die Pflege investiert?
Mühling: Die größte Gruppe pflegt im Durchschnitt eine Stunde am Tag. Aber es gibt natürlich auch die häusliche Pflege, die drei, vier oder fünf Stunden täglich umfasst. Interessant ist, was den Aspekt "Zeit" anbelangt, dass auch hier ein Geschlechterunterschied existiert. Männer pflegen nicht nur zu insgesamt niedrigeren Anteilen. Wenn sie pflegen, tun sie dies auch mit weniger Stunden. Sie schauen zum Beispiel auf dem Heimweg von der Arbeit bei einem pflegebedürftigen Elternteil vorbei und übernehmen ein paar Aufgaben. Frauen pflegen im Vergleich deutlich umfangreicher.
Kann sich häusliche Pflege negativ auf die Partnerschaft auswirken?
Mühling: Eindeutig ja! Wobei es natürlich nicht zwangsläufig so sein muss. Ob dies passiert, hängt zum Beispiel davon ab, ob man sich gemeinsam entschieden hat, das "Projekt" Pflege in Angriff zu nehmen - auch wenn am Ende in erster Linie die Frau pflegt. Anders ist es, wenn die Frau alleine die Entscheidung trifft. Zum Beispiel, weil sie sagt, dass sie ihre Eltern einfach nicht in ein Heim geben kann. Wenn dadurch keine gemeinsame Freizeit, keine gemeinsamen Wochenenden und kein gemeinsamer Urlaub mehr möglich sind, kann dies für eine Partnerschaft sehr belastend sein.
Viele Pflegende sagen, dass sie keine Freunde mehr treffen und keinen Hobbys mehr nachgehen können, weil Beruf und Pflege zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Macht das auf Dauer nicht krank?
Mühling: Ja, das ist so, deshalb brauchen wir auch dringend mehr Hilfen und Angebote wie Tages- und Kurzzeitpflege. Die Tagespflege erleben Angehörige, die sich auf dieses Angebot einlassen, als sehr hilfreich, denn hier haben sie nicht das Gefühl, den Pflegebedürftigen "abzuschieben".
Man kann allerdings auch beobachten, dass es Frauen gibt, die jahrzehntelang häuslich pflegen und das offenbar auch ganz gut aushalten. Viele von ihnen sagen, dass ihnen die Pflege eine Menge gibt. Sie haben das Gefühl, etwas Sinnvolles und Richtiges zu tun.
Was kann es denn in monetärer Hinsicht bedeuten, häusliche Pflege zu leisten? Besteht die Gefahr von Altersarmut?
Mühling: Ja, das ist so. Noch haben wir in Deutschland im internationalen Vergleich eine relativ niedrige Altersarmut, aber das verändert sich gerade. In der nächsten Generation, die in Rente geht, werden viele Frauen von Altersarmut betroffen sein, weil sie oft lange Ausfallzeiten haben. Sie haben zuerst für ihre Kinder gesorgt, dann womöglich die Schwiegereltern gepflegt und danach die eigenen Eltern. Ganz schwierig wird es, wenn in den Phasen dazwischen nur auf Minijobbasis gearbeitet wurde. Ich appelliere deshalb seit Jahren an Frauen, unbedingt sozialversicherungspflichtig erwerbstätig zu sein. Auch neben der Pflege.