Um Rechtsextremismus und Rassismus vorzubeugen, erzählen frühere Staatsfeinde an Schulen aus ihrer Lebensgeschichte: von Schlägereien und vom Töten, von Wut und Hass.

Ein ehemaliger Rechtsextremist meint: "Ich bin glaubwürdig besonders für Jugendliche. Ich kenne den Weg, die Motive und das, was aus einem wird." Er will in seinem neuen Leben "präventiv wirken, um anderen meinen Werdegang zu ersparen". Ob das mit solchen Vorträgen gelingen kann, ist allerdings unklar. Denn wissenschaftlich Fundiertes zu den Wirkungen auf die Schüler gibt es kaum.

Reaktion von Schülern

Das hat zwei Forscherinnen herausgefordert: Die Kriminologin Maria Walsh und die Soziologin Antje Gansewig haben im Auftrag des Nationalen Zentrums für Kriminalprävention und des Landespräventionsrats Schleswig-Holstein untersucht, welchen Eindruck Vorträge von politischen Aussteigern bei Jugendlichen hinterlassen. Sie haben dabei von Schülern gehört:

"Krass, bewegend, kennt man nur aus Filmen."

Gelungen sei, "dass ich sehr gut nachvollziehen konnte, warum jemand rechts wird", "dass uns viel erzählt wurde, wie gefährlich es sein kann". Andere Schüler sagten: "Ich fand es beängstigend, was für Sachen er früher angestellt hat." Oder auch, dass der Referent "manchmal bei dem Thema Gewalt zu sehr ins Detail" gegangen sei.

Psychotherapeuten warnen vor seelischen Beeinträchtigungen

Die Studie "Biographiebasierte Maßnahmen in der schulischen Präventions- und Bildungsarbeit" von Gansewig und Walsh weist auf "kritische Aspekte" hin. 80 von 490 befragten Schülern gaben an, sich teilweise "unwohl gefühlt zu haben". Etwa die Hälfte sagte, vorher nichts über Rechtsextremismus gewusst zu haben. Fast zwei Drittel merkten an, dass der Vortrag in der Klasse inhaltlich nicht vorbereitet worden sei.

Befragte Lehrer sagten den Wissenschaftlerinnen: "Ich befürworte den Einsatz, weil nur Beteiligte authentisch von Szenen berichten können. Sollten wir Lehrkräfte darüber präventiv unterrichten, wären die Schüler nicht in dem Maße beeindruckt und abgeschreckt, wie sie es sind, wenn ein Aussteiger davon berichtet." Die Forscherinnen konnten jedoch in ihrer Studie keinen positiven Einfluss auf Einstellungen der Schüler belegen.

"Wir haben großen Respekt vor Aussteigern", sagten Gansewig und Walsh dem Sonntagsblatt.de. "Aber wir wollen die Öffentlichkeit und insbesondere Lehrer für einen reflektierten Umgang mit solchen Veranstaltungen an Schulen sensibilisieren."

Detaillierte Beschreibungen von Gewalt im Unterricht halten die Wissenschaftlerinnen für fragwürdig. Psychotherapeut Harald Weilnböck, Mitglied des europäischen "Experts on Extremism Network", warnt sogar vor seelischen Beeinträchtigungen.

Vorträge von Aussteigern: Massiver Redebedarf in den Klassen

Außerdem könne ein Vortrag faszinieren und damit dem präventiven Ziel zuwiderlaufen, sagt die Soziologin Ricarda Milke. Das ahnen auch Lehrer, die Gansewig und Walsh für ihre Studie befragt haben. Einer sagt: "Ich finde den Ansatz gut, allerdings ist es für Schüler nicht ganz einfach, sich der Ausstrahlung des Referenten zu entziehen und ihm auch kritische Fragen zu stellen."

Auf Wunsch ihrer Schüler hat Michaela Prussas an ihrer Schule zwei Aussteiger-Vorträge organisiert. Prussas ist Fachleiterin für Sozialkunde am Valentin-Heider-Gymnasium in Lindau, das seit 2012 Teil des bundesweiten Netzwerks "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage" ist.

"Wir haben direkt nach den Vorträgen Gespräche in den Klassen geführt. Es gab massiven Redebedarf." Begleitend war eine Ausstellung zum Thema Rechtsextremismus zu sehen. "Wir wollten mit der Kombination von Hintergrundwissen und Biografie eine Nachvollziehbarkeit schaffen."

Tobias Lehmeier von der Bundesarbeitsgemeinschaft "Ausstieg zum Einstieg" unterstreicht: "Aussteiger sind vor allem Experten ihrer eigenen Biografie und nicht zwangsläufig Experten für Rechtsextremismus." Es müsse Fachwissen vermittelt werden und nicht nur eine persönliche Geschichte.