Herbert Herbst pflegt seine zwei Jahre jüngere kranke Frau mit Hingabe: "In der Früh geht es noch, gegen Mittag und Nachmittag erkennt sie mich nicht mehr", sagt der 83-Jährige.

"Wer bist denn du, fragt sie mich, wer bist denn du? Dann rennt sie mit dem Telefon durch die Wohnung und will ihren Mann anrufen." Herbst suchte in der Zeit des Corona-Lockdowns einen freien Platz in einer Tagespflegeeinrichtung - aber es gab keinen.

"Unser Sozialsystem wurde kaputtgespart", schimpft er.

"Betten gibt es ja, aber kein Personal. Warum werden die Pflegekräfte so schlecht bezahlt, dass keiner mehr diesen Beruf machen will?" Wegen einer Fußverletzung ist er regelmäßig zum Rehasport gegangen, doch auch das ist wegen Corona weggefallen.

Seine Frau konnte ihn zuvor begleiten und mit ihm trainieren. Es gab Gesprächskreise und Kaffeekränzchen mit Verwandten. Diese sozialen Kontakte hatten seinem Alltag Struktur gegeben, doch von einem Tag auf den anderen war das weg. Ganz allein musste er kochen, waschen, putzen, die Frau versorgen - sieben Tage in der Woche, von früh bis spät.

Ganz ähnlich ist es auch Rose-Marie Radl gegangen. Die 81-Jährige ist nach einem Unfall körperlich eingeschränkt, bräuchte Erholung und Ruhe.

Doch sie muss ihren demenzkranken Mann versorgen. Vor Corona ging der 85-Jährige dreimal pro Woche in die Tagespflege. "Weil es ihm gut tut", erklärt Radl. "Er bekommt dort Anregungen, sieht andere Menschen. Es ist sehr wichtig für die Patienten, dass sie außerhalb der eigenen vier Wände Impulse bekommen." Doch im März wurde die Tagespflege geschlossen.

"Zuerst dachte ich - ach wunderbar", berichtet Radl. "Keine Termine, einfach mal zu Hause sein. Aber nach acht Tagen habe ich dann doch bemerkt, dass es sehr heftig ist, wenn der Partner von montags bis sonntags und von morgens bis abends betreut werden muss." Neben der Tagespflege fehlten ihr auch die Helferinnen des Pflegedienstes, Physio- und Ergotherapeutinnen, die sich um ihren Mann kümmerten.

Sie konnte keinen Arzt mehr besuchen, nicht mehr in die Reha gehen.

Ihre Tochter durfte nicht mehr vorbeikommen, sie durfte den Enkel nicht mehr sehen. Alle sozialen Kontakte brachen von einem Tag auf den anderen weg. Trotzdem fühlte sie sich ein klein wenig privilegiert, weil zu ihrer Wohnung eine Terrasse mit kleinem Garten gehört. "Wenigstens konnten wir nach draußen gehen", sagt sie. "Auch die Einkäufe erledigte ich selbst, da hatte ich keine Angst."

Rund um die Uhr im Einsatz. Das ist der Alltag für viele Menschen, die ihre Angehörigen pflegen. Sie können nicht einfach aus dem anstrengenden Alltag ausbrechen und abschalten, das war schon vor Corona so. Die mittelfränkische Angehörigenberatung e.V. in Nürnberg steht Pflegenden von Demenzerkrankten mit Rat und Tat zur Seite.

Im Zeitraum des Lockdowns habe das Team über 60 Prozent mehr Beratungsgespräche als im Vorjahreszeitraum durchgeführt, erklärt Geschäftsführerin Antje Jones. Die Beratung konnte nur telefonisch erfolgen und sollte die Angehörigen in den meisten Fällen vor allem psychisch stabilisieren. Die Situation ließ sich nicht ändern.

Den Beraterinnen erfuhren von massiven Problemen, die durch fehlende Tagespflege oder andere Entlastungsmöglichkeiten entstanden waren.

Angehörige erreichten oft ihre Grenzen, insbesondere dann, wenn das an Demenz erkrankte Familienmitglied Aggressionen zeigte. Zum Beispiel wegen der Maskenpflicht: Wer an Demenz erkrankt ist, verstehe oft den Sinn dahinter nicht und reagiere auf den Schutz aggressiv. Wenn Ärzte eine Befreiung aussprechen, werden die Erkrankten in Bussen und Bahnen oft von anderen Fahrgästen angefeindet. Pflegende Angehörige müssen hier vermitteln, die Bescheinigung zeigen, erklärt Jones. Das gehe an die Substanz.

Rose-Marie Radls Mann geht jetzt wieder in die Tagespflege. Die meisten Einrichtungen haben aber immer noch massive Beschränkungen und nehmen weiterhin nicht jeden so auf, wie er kommen möchte. Auch viele Betreuungsgruppen für Menschen mit Demenz sind noch nicht wieder geöffnet, erklärt Jones. Die größte Furcht hätten pflegende Angehörige vor einer zweiten Welle.

Deshalb wollen die Expertinnen der Angehörigenberatung eine Entlastung für diese Menschen erreichen, die oft selbst gebrechlich und immer am Limit sind.

Wichtig sei, dass die Kurzzeitpflege oder auch die Tagespflegeeinrichtungen während eines Lockdowns Unterstützung und Hilfe bieten. Demenzpatienten sollen nicht mit ihren Angehörigen allein bleiben müssen.

"Pflegende Angehörige sind in einem Alter, in dem sie selbst Erholung brauchen, bereits zu 150 Prozent ausgelastet", betont Geschäftsführerin Antje Jones. Oft hätten sie Vorerkrankungen und immer die Sorge, was passiert, wenn sie nicht funktionierten. "Sie können keine Lobbyarbeit leisten. Da ist keine Energie mehr da."