Wie kann Geschichte wieder lebendig werden, wie kann eine historische Begebenheit ins gegenwärtige Bewusstsein gehoben werden? "Indem man sie so authentisch wie möglich nachstellt", erläutert Hildegund Bemmann. Seit zehn Jahren beschäftigt sich die Kunsthistorikerin mit Formaten wie den sogenannten Reenactment- und Living-History-Veranstaltungen. Am 9./10. Juli zeichnet sie mitverantwortlich für "Lebendige Geschichte(n)" auf Schloss Ortenburg, die vor historischer Kulisse aufgeführt werden und genau dies zum Ziel haben: das aktualisierte Wiedererleben geschichtlicher Ereignisse.

Es werde keine militärische Auseinandersetzung inszeniert wie beispielsweise bei der Leipziger Völkerschlacht, die mit großem Spektakel nachgespielt werde. "Unsere Nachstellung ist ziviler Natur", sagt Bemmann. Geschichtlicher Hintergrund: Ortenburg ist eine evangelische Enklave im ansonsten katholischen Niederbayern. Im 16. Jahrhundert führte Graf Joachim in seiner Reichsgrafschaft die Reformation ein - gegen die Widerstände der bayerischen Herzöge. Am 17. Oktober 1563 ließ er den ersten protestantischen Gottesdienst in der Marktkirche von Ortenburg abhalten und erklärte ein paar Tage später die Einführung der Reformation in der Grafschaft.

Ortenburg wurde somit zu einem "Sehnsuchtsort" der sogenannten Kryptoprotestanten, also der Geheimprotestanten, die heimlich nach Ortenburg pilgerten, um dort einen Gottesdienst mit Abendmahl in beiderlei Gestalt und einer Predigt feiern zu können. "Es gab ein Netzwerk an Emissären, die zwischen Ortenburg und Oberösterreich hin und her wanderten, um Bibel, Andachtsbücher und Predigten nach Österreich zu schmuggeln", erzählt Bemmann. Diese Verbindungsleute wurden sogar steckbrieflich gesucht wegen ihrer "illegalen Machenschaften".

Diesen Hintergrund greift eine Gruppe von Laiendarstellern auf und verkörpert eine Schar österreichischer Kryptoprotestanten, die zwei Tage zu Fuß und mit einem Fuhrwerk zum Gottesdienst nach Ortenburg ziehen. Sie werden am Freitag (8. Juli) gegen in Schärding aufbrechen und mit einer Übernachtung in Bad Höhenstadt nach Ortenburg wandern. Am Samstag (9. Juli) wird der Pilgerzug gegen 15 Uhr auf Schloss Ortenburg erwartet.

Evangelische Marktkirche Ortenburg
Evangelische Marktkirche Ortenburg

Vor zwei Jahren wurde Hildegund Bemmann vom Evangelischen Bildungswerk mit der Entwicklung eines Konzepts für den Bildungsstandort Schloss Ortenburg beauftragt. Die "Geschichtsspiele" sollen zur Wiederbelebung des Wahrzeichens beitragen. "Es wird ein schönes, buntes Bild werden", sagt Bemmann. Denn Living-History habe es in der Region noch nicht gegeben. Nur eines wünschen sich Darsteller und Spezialisten für Alltagskultur des 18. Jahrhunderts: Die Zuseher mögen nicht kostümiert kommen. "Wir haben uns viel Mühe gegeben, ein rundes Bild vom 18. Jahrhundert zu schaffen. Pseudo-Kostüme würden da nur stören."

Am Samstag ab 11 Uhr können verschiedene Stände wie Handwerker, Dienerschaft, Landadel und auch ein Kammerjäger in ihrem Alltag beobachtet werden. Ab 14 Uhr wird im Gräfinnenzimmer die Mode des 18. Jahrhunderts vorgeführt. "Dabei gibt es auch einen Blick in den Unterbau der Silhouette der Damenmode", verspricht sie. Den Soundtrack des 18. Jahrhunderts liefern um 16 Uhr ein historischer Tanz im Gräfinnenzimmer und um 18 Uhr ein Barockmusik-Konzert in der Schlosskapelle. Am Sonntag um 10 Uhr findet ein Gottesdienst mit historischer Predigt in der Marktkirche statt.