Früher war das Wetter eins der unverfänglichsten Small-Talk-Themen, ideal zum Warmplaudern auf Partys. Wer heute zum Einstieg mit Sonne oder Frost anfängt, steckt innerhalb von zehn Sekunden in einer Debatte über Klimawandel oder soziale Ungleichheit. Die bislang heißeste Woche des Jahres liegt gerade hinter uns, mit Waldbränden und Hitzeopfern nicht nur in Südeuropa, sondern auch in Deutschland. Gegen eine Abkühlung hätte wohl niemand etwas einzuwenden – dabei droht schon in gut drei Monaten neuer Konfliktstoff, wenn der Winter kommt.

Denn die Frage, ob und wann und wie lange Russland den Gashahn Richtung Westen zudreht, beschäftigt gerade sämtliche Auguren in Politik und Medien. Das Tauziehen um die dann verbleibenden Gasmengen, die Deutschland aus Norwegen (30 Prozent), den Niederlanden (12 Prozent) und künftigen Vertragspartnern wie den USA bezieht, hat längst begonnen. Immer stärker pocht die Industrie darauf, Konzerne nicht als Erstes vom Gas "abzuklemmen" – es gehe um Arbeitsplätze und Versorgungssicherheit. Und immer deutlicher formulieren Politiker, dass auch die vom "Notfallplan Gas" geschützten Privathaushalte nicht sakrosankt sind.

Wem nützt eine warme Wohnung, wenn er seine Arbeit verliert?

Das wird die wenigsten Bürgerinnen und Bürger überraschen. Vermutlich findet eine ausgewogene Verteilung sogar Zustimmung: Wem nützt eine warme Wohnung, wenn er seine Arbeit verliert? Die größere Sorge für viele ist die Frage, wie sie die weiter steigenden Strom- und Gasrechnungen bezahlen sollen. Ein Viertel der Einkommen in Deutschland liegt unter 2600 Euro netto, dazu gehören Menschen mit schmaler Rente oder Hartz-IV-Bezug genauso wie solche, die im Niedriglohnsektor gerade über die Runden kommen. Für sie alle wird es noch enger, wenn zu Miete und teurem Einkauf auch noch galoppierende Energiepreise kommen.

Laut Bericht des Instituts der deutschen Wirtschaft mussten im Mai 2022 25 Prozent der Menschen (Mai 2021: 14,5) über zehn Prozent des Nettoeinkommens für Strom- und Heizkosten ausgeben und galten damit als "energiearm". Die untersten Einkommen sind überproportional stark belastet: 91 Prozent der Hartz-IV-Haushalte sind betroffen.

Masterplan für kommenden Winter nötig

Energiearmut ist also kein neues Phänomen – mit Blick auf den kommenden Winter bekommt es aber eine neue Dimension. Die Frage ist, wie Politik und Gesellschaft dann den Spagat hinbekommen zwischen Industrie und Privathaushalten, zwischen Vermögenden und Armen. Schon jetzt muss dafür ein Masterplan erarbeitet und gut erklärt werden – auch um den gesellschaftliche Frieden zu wahren. Nach zwei Pandemiewintern voller Ad-hoc-Planung sollte das doch endlich gelernt sein.