Antisemitismus in Deutschland, das ist auch 2023 noch ein Thema. Wie mehrere Studien belegen, ist Judenfeindlichkeit in allen Teilen der deutschen Gesellschaft zu finden. 

Doch immer wieder gibt es Versuche, das Problem zu externalisieren. Dann wird versucht, Antisemitismus als eine Folge von Migration darzustellen. "Importierter Antisemitismus" nennen manche das. Die dahinterliegende krude These, etwas zugespitzt formuliert: Die (weißen) Deutschen hätten Judenhass längst überwunden, heutzutage gehe dieser nur noch von zugewanderten muslimischen Menschen aus.

Studie: Antisemitismus unter Menschen mit Migrationshintergrund

Eine Studie des Mediendienstes Migration kommt zu einem deutlich differenzierteren Bild. Die Forschenden haben untersucht, wie verbreitet Antisemitismus unter der deutschen Bevölkerung mit Migrationshintergrund sowie unter den etwa fünf Millionen Muslim*innen in Deutschland ist. 

Die Ergebnisse zeigen, wie komplex das Thema in Wirklichkeit ist. So ergibt sich bei Menschen mit Migrationshintergrund kein eindeutiges Bild, was sogenannten klassischen Antisemitismus (offene Judenfeindlichkeit) angeht: Einige Studien kommen zu dem Ergebnis, dass dieser unter ihnen weniger ausgeprägt ist als unter Deutschen ohne Migrationshintergrund, andere zum gegenteiligen.

Eindeutig messbar ist, dass Menschen mit Migrationshintergrund sekundär antisemitischen Aussagen (Judenhass über Codes, etwa Holocaustrelativierungen) im Schnitt weniger häufig zustimmen als Deutsche ohne Migrationshintergrund. 

Islam keine Ursache für Judenhass

Bei Muslim*innen wiederum zeigt sich: Zu klassischem Antisemitismus weisen sie eine höhere Zustimmung auf als die Bevölkerung insgesamt. Zu sekundärem Antisemitismus hingegen ist die Zustimmung unter muslimischen Menschen nicht anders als in der Gesamtbevölkerung.

Zudem kommen die Forschenden zum Ergebnis, dass Antisemitismus unter Muslim*innen nicht ursächlich mit ihrer Religion zusammenhängt. So sei dieser häufig eher eine Folge konservativ-autoritärer Einstellungen als der Religion an sich. 

Vergleiche man etwa die höheren Zustimmungswerte unter Muslim*innen mit denen von AfD-Wähler*innen, sehe man, dass diejenigen Muslim*innen, die antisemitische Ressentiments aufweisen, sich

"hinsichtlich ihres Werte-Kanons und Einstellungspotentials von konservativen und autoritären Kreisen der [nicht-muslimischen] deutschen Bevölkerung nicht unterscheiden."

Auch regionale beziehungsweise nationale Diskurse hätten einen stärkeren Einfluss auf negative Einstellungen gegenüber Jüdinnen und Juden als religiöse Zugehörigkeit. Denn bei Menschen christlichen Glaubens aus beispielsweise Syrien fänden sich entsprechende Ressentiments in gleicher Ausprägung.

Migration allein sagt wenig aus

Die Kategorie "Migrationshintergrund" ist der Studie zufolge ebenfalls höchstens bedingt aussagekräftig. Ein wichtiger Faktor für antisemitische Einstellungen sei hingegen die Aufenthaltsdauer: Die Zustimmung zu antisemitischen Aussagen schwinde, je länger Personen in Deutschland lebten.

Dies habe damit zu tun, dass sie eine "soziale Norm gegen Antisemitismus" lernten und an Schulen mit der Geschichte des Nationalsozialismus in Kontakt kämen. Möglicherweise sensibilisiere das für das Thema.

Eigene Diskriminierungserfahrung verstärkt Problem oft

Außerdem stellen die Forschenden fest, dass eigene Diskriminierungserfahrungen oft zu einem erhöhten Bedürfnis nach der Identifikation mit einer "Eigengruppe" führen. Das wiederum könne zu einer stärkeren Abgrenzung von vermeintlichen "Fremdgruppen" führen, darunter Jüdinnen und Juden.

Mehrere Studien zeigten dies. Es gelte insbesondere bei Jugendlichen, die ihre eigenen Diskriminierungserfahrungen mit jenen von Palästinenser*innen und Muslim*innen weltweit verbänden.

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