"Ich bin 29, Sektenaussteigerin aus einer fundamentalistischen Freikirche und habe 2022 geistlichen Missbrauch erlebt", beschreibt sich die Influencerin und Mediengestalterin Daniela-Marlin Jakobi auf ihrer Webseite selbst.
Jakobi ist seit 2023 Teil des evangelischen Contentnetzwerks yeet und nicht nur auf sämtlichen sozialen Netzwerken aktiv, sondern betreibt auch einen eigenen Podcast sowie einen Blog. Sie spricht offen über ihren Glauben, ihre ADHS-Diagnose, Feminismus und eben auch die Themen Fundamentalismus, Freikirchen, Sekten und geistlichen Missbrauch.
Influencerin Daniela-Marlin Jakobi
Auf Instagram hat Jakobi fast 9.000 Follower*innen, mit ihren Reels erreicht sie in der Spitze mehrere Hunderttausende Menschen. Darin stellt und beantwortet sie Fragen wie "Sind eigentlich alle fundamentalistischen Freikirchen in Wahrheit Sekten?" oder spricht darüber, warum sie ihre Meinung zu Abtreibungen geändert hat.
Ende September produzierte die Influencerin gemeinsam mit der badischen Landeskirche (EKIBA) ein Video, in dem sie Klischees einer fundamentalistischen Christin aufgriff und nachspielte – und polarisierte damit extrem.
Reel über fundamentalistische Christin polarisiert
Über 300 Kommentare finden sich unter dem Reel, darunter viele, die Jakobi bestätigen, aber auch zahlreiche von Personen, die sich angegriffen oder missverstanden fühlen. Auch die EKIBA steht im Zentrum der Kritik.
Doch worum genau geht es?
In der Videobeschreibung kündigen Jakobi und EKIBA an: "Wir wollen, dass Glaube stärkt und nicht unterdrückt. Daher möchten wir über seine extremen Formen aufklären." Dem Text vorangestellt ist ein Warnsymbol-Emoji mit der Überschrift "Vorsicht vor fundamentalistischen (Frei-)Kirchen!"
Im Video selbst ist Jakobi zu sehen, die mit einer Kaffeetasse in der Hand in gespieltem Ernst ein Gespräch simuliert und dabei die Rolle einer Frau einnimmt, die in eine fundamentalistische Freikirche geht:
"Ob ich mich verändert habe, seitdem ich in diese Freikirche gehe? Natürlich. Jesus hat mich verändert."
"Ach, die Bücher, die ich weggeworfen habe. Ja, die habe ich früher gelesen. Aber weißt du, die sind satanisch und nicht gut für mich."
"Warum ich mich von meinem Freund getrennt habe? Ach, weißt du, mein zukünftiger Ehemann soll jemand sein, der meiner Unterordnung würdig ist."
"Ob ich am Wochenende mit zum Yoga komme? Uh, nein! Von solchen bösen Einflüssen halte ich mich lieber fern. Aber in der Freikirche gibt’s ganz tolle Wochenend-Angebote, zu denen du sehr gerne mitkommen kannst."
"Du machst dir Sorgen wegen des Rechtsrucks in Deutschland? Ach, Liebes, dieses Land ist so gottlos geworden und braucht unbedingt Jesus. Überall sieht man diese bunten Flaggen. Weißt du, der Glaube würde dir auch guttun, Liebes."
Das Reel wurde Stand heute über 700 Mal gelikt und hat eine Reichweite von fast 80.000. Hauptkritikpunkt in den Kommentaren ist, Jakobi würde alle Freikirchen über einen Kamm scheren und grundsätzlich schlecht machen.
So schreibt eine Nutzerin:
"Cool, wie hier alle Freikirchen über einen Kamm geschert werden und davon ausgegangen ist, dass jeder, der in einer Freikirche ist, die bibeltreu ist, gehirngewaschen und gegenüber anderen christlichen Kirchen/Gemeinden überheblich ist. Applaus für diese Einseitigkeit."
Insbesondere die humoristische Darstellungsform stößt einigen auf, ein Pfarrer aus Württemberg kritisiert:
"Nach langen Jahren in einer Freikirche bin ich inzwischen glücklicher Pfarrer der Landeskirche. Alle im Video gezeigten Verhaltensweisen kenne ich aus eigenem Erleben (und zum Teil auch aus eigenem Handeln). Ich weiß auch, wie viel Schaden und Verletzungen dadurch entsteht. Ich nehme an, persönlich bin ich dir, liebe Daniela-Marlin Jakobi ganz nahe. Trotzdem erschrecke ich über dieses Video. Ich finde die Form verfehlt. Durch die notwendige Verkürzung hier im Reel entsteht ein Zerrbild, das nicht hilfreich ist."
Reaktionen auf Instagram
Auf der andren Seite stehen zahlreiche Kommentator*innen, die Jakobi Dank aussprechen. Dafür, dass sie das Thema aufgreift, dafür, dass sie Wahrheiten ausspricht.
"Ich als Freikirchler kann die Kritik an dem Reel gut nachvollziehen. Aber an alle, die sich jetzt verletzt und getriggert fühlen: Es werden wichtige Themen und problematische Tendenzen in manchen (!) Freikirchen angesprochen. Ein bisschen Selbstkritik würde vielen Glaubensgeschwistern gut stehen. Ja, Inhalte auf Social Media sind fast immer vereinfacht, geht bei dem Format auch gar nicht anders. Wer damit nicht umgehen kann, sollte sich von solche Plattformen fernhalten",
lautet ein Kommentar.
Ein weiterer:
"So gut und so wichtig – danke liebe Daniela für deine Arbeit und Aufklärung."
Manche richten sich wiederum an die anderen Kommentator*innen, so schreibt ein Nutzer:
"An alle, die sich hier gerade ordentlich aufregen. Anscheinend macht es was mit euch. Geht dem doch mal nach, was da in euch passiert. Meinetwegen auch im Gebet. Schad ja nix."
Christlicher Fundamentalismus
Zu beachten ist, dass das Reel nicht ohne Kontext veröffentlicht wurde. Im Text zum Video erklären EKIBA und Jakobi, was unter christlichem Fundamentalismus zu verstehen ist, sprechen über Schwarz-Weiß-Denken und den Missbrauch der Bibel als unfehlbare Autorität für eine bestimmte Agenda.
Wenige Tage nach der Veröffentlichung, postete Jakobi ein Meme, auf dem eine gezeichnete To-Do-Liste zu sehen ist, auf der drei Punkte stehen: Mit Fundis reden, Fundis blockieren und weiterglauben. Ersteres ist durchgestrichen. Dazu kommentierte Jakobi "Passt zu gut".
Reaktionen von Jakobi und badischer Landeskirche
Im Gespräch mit evangelisch.de sagte die 29-Jährige rückblickend: "Ich hätte nie gedacht, dass es Leuten so sauer aufstößt." Dass Menschen dadurch verletzt wurden, tue ihr leid. Gleichzeitig betonte sie: "Nichtsdestotrotz hat der Beitrag einen Nerv getroffen – und das ist gut."
Auch die EKIBA bestätigte im Gespräch mit sonntagsblatt.de, dass das Video ambivalente Reaktionen hervorgerufen habe. André Kendel, Leiter der Abteilung Kommunikation und Fundraising der EKIBA, sagte: "Es gab viel Zustimmung und Sympathie – aber auch viel Gegenwind."
Die Differenzierung zwischen Freikirchen und fundamentalistischen Bewegungen sei nicht für jeden klar erkennbar gewesen, auch wenn im Reel ausdrücklich von letzterem die Rede war. Auch den Ton des Reels sieht Kendel durchaus kritisch:
"Ironie ist ein Stilmittel, das nicht dazu beiträgt, eine Empörungskultur abzubauen."
Oberkirchenrat Matthias Kreplin, Leiter des Referats Verkündung in Gemeinde und Gesellschaft, betonte außerdem noch einmal, dass nicht alle Freikirchen fundamentalistisch seien. Die Kennzeichen seien ein Biblizismus, der eine selbstkritische Auseinandersetzung mit biblischen Überlieferungen grundsätzlich ausschließt und eine Abwertung aller anderen christlichen Kirchen und damit der Ökumene.
Kreplin:
"Fundamentalistische Freikirchen sind in der Regel geprägt von einer starken Abgrenzung von anderen Kirchen und geprägt von einer strengen Gesetzlichkeit. Wer von den Normen der Gruppe abweicht, muss mit massiver Kritik rechnen. Hier werden Menschen oft nicht bestärkt und zum Leben ermutigt, sondern in problematischen Mechanismen gefangen genommen. Es fehlt oft der Geist der Freiheit und der Liebe, der nach der Bibel prägend sein soll für jede christliche Gemeinschaft."
Mit Freikirchen und freikirchlich geprägten Gemeinden und Gemeinschaften, die sich von eben solchen Positionen distanzieren, arbeitet die EKIBA hingegehen sowohl auf landeskirchlicher als auch auf regionaler Ebene zusammen. Erst vor Kurzem wurde eine Intensivierung vereinbart.
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Ich finde vor allem den Ton…
Ich finde vor allem den Ton absolut unpassend. Die Freikirchen werden darin lächerlich gemacht und es ist nicht gesagt, dass jeder den "Kontext" genau anschaut und liest. Ich finde es auch schade, dass mit der Frage nach einer Veränderung lächerlich gemacht wird, dass Jesus Menschen verändern kann - kann er doch!
Gerade erlebe ich in meiner eigenen landeskirchlichen Gemeinde ein sehr trauriges Beispiel von Manipulation und Engstirnigkeit, so dass ich nicht sagen kann, fundamentalistisches Denken oder Autoritätsversessenheit würden sich auf Freikirchen beschränken.
Jedes menschliche Miteinander ist schwierig - und in landeskirchlichen Gemeinden ist das keineswegs einfacher oder schöner als anderswo.
Ich habe mich seit meiner Konfirmation vor mehreren Jahrzehnten immer in meinen jeweiligen Kirchengemeinden engagiert, aber mit der aktuellen Situation frage ich mich immer mehr, ob ich das weiterhin machen kann - das Verhalten der Gemeindeleitung stößt mich nur noch ab.
Da finde ich es nicht angebracht, auf andere Formen von christlichen Gemeinden herabzuschauen; zumal ich vor Ort eine freie Gemeinde kenne, in der viel mehr versucht wird, Gemeinschaft aktiv zu leben als in der landeskirchlichen Gemeinde.
In den Freikirchen wird mehr…
In den Freikirchen wird mehr Evangelium gelebt und gepredigt als in der Institution Kirche.
In Anbetracht der Kirchenaustritte sollte man besser zusammen arbeiten .
Sich gegenseitig austauschen und nicht von Fundamentalisten sprechen.
Ich stimme Ihnen voll und…
Ich stimme Ihnen voll und ganz zu!
"Sektenaussteigerin aus…
"Sektenaussteigerin aus einer fundamentalistischen Freikirche" - So, das betrifft also schon einmal die meisten deutschen Freikirchen nicht. Diese sind nämlich keine Sekten!
Bei Instagram heißt es: "... erheben auf ihre Art der Bibelauslegung einen Absolutheitsanspruch ..." Ja, das kenne ich - aus dem Studium der Evangelischen Theologie an einer bayerischen Universität. Auch hier galt nur eine Auslegung und eine Auslegungsmethode als verbindlich richtig. Wer anders methodisch vorging oder zu anderen Ergebnissen kam, wurde schlecht bewertet oder ist sogar durchgefallen. Daraus muss ich schließen, dass an den theologischen Fakultäten auch ein Fundamentalismus herrscht.
Und jetzt ernsthafter: Kirchen sind im weitesten Sinne ein Gesinnungsverein. Der Verein legt seine Grundlagen im Rahmen der Gesetzgebung selbständig ab. In Deutschland gilt hier die Religionsfreiheit und die freie Religionsausübung. Natürlich kann damit durch eine Kirche auch ein verbindlicher ethischer Konsens für die Mitglieder festgelegt werden. Das macht auch unsere Landeskirche (vgl. Umgang mit den AfD-Mitgliedern!). Anderen Vereinen wird das auch nicht vorgeworfen, oder glaubt jemand ernsthaft, dass ein Metzger, der als Hobby die Jagd ausübt, Vorsitzender in einem Tierschutzverein werden kann?
Die geäußerte Kritik fällt zu 100 % auf die Landeskirchen und Daniela-Marlin Jakobi zurück. Sie sind, wenn auch von einem anderen Standpunkt aus, genauso in ihren Bereichen fundamentalistisch.
Kurz: Das Video ist überflüssig, verallgemeinernd und daher "verleumderisch", auf jeden Fall unchristlich.
Die Landeskirche tut sich…
Die Landeskirche tut sich mit solchen Aktionen keinen Gefallen. Sieht sie ihre Aufgabe darin Christen in gute und böse zu aufzuteilen? Übersieht sie nicht, dass es in den eigenen Reihen liberalere und strenggläubigere Mitglieder gibt? Und warum hängt man sich ausgerechnet an eine Übergetretene. Selbst die Bibel zeigt, dass das oft die sind, die sich besonders beweisen zu müssen glauben und dabei Gefahr laufen engstirnig und dogmatisch zu werden. Man karikiert auch das Selbstbild von Toleranz und Buntheit, wenn man so zum fröhlichen Jagen bläst. Das schönste ist immer noch das Erstaunen, wenn das Gegenüber undifferenzierte Pauschalangriffe auch als solche erkennen und nicht in Jubel darüber ausbrechen. Auch sachlich ist eine Gleichsetzung von Rechts (intendiert ist ja in dem Zusammenhang gerne rechtsextrem und Bibeltreue, auch wenn es da Schnittmengen gibt, die es aber auch zum Turnen, der Feuerwehr, Studenten usw. gibt). Es gibt in der Sache tatsächlich genug Kritisches zu einer kontextlosen, wortwörtlichen Bibelinterpretation zu sagen, die noch dazu mit oft eher selbstgestrickten Moralvorstellungen angereichert wird. Aber das sollte aus christlicher Sicht immer begründet werden am besten mit Bezug auf die Schrift selbst und Glaubensvorbilder. Der Text aus EG 412 gilt für uns alle. Die Finger die wir zeigen deuten oft auf uns selbst zurück. Die Bibel ist voll von Beispielen für selbstgerechte Gläubige.