Friedrich Merz ist seit 2022 Bundesvorsitzender der CDU und damit Chef der größten Oppositionspartei im Bundestag. Für die vom amtierenden Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Aussicht gestellten Neuwahlen, die voraussichtlich am 23. Februar 2025 stattfinden werden, wird Merz als Unions-Kanzlerkandidat ins Rennen gehen. Umfragen sagen seiner Partei derzeit gute Chancen voraus, stärkste Kraft im nächsten Bundestag zu werden.
Und wie steht der Jurist und ehemalige Lobbyist des Finanzinvestors Blackrock zu Glaube und Religion?
Friedrich Merz und sein Glaube
Zunächst einmal ist Friedrich Merz katholischen Glaubens, Mitglied einer katholischen Studentenverbindung und des katholischen Sozialverbandes Kolpingwerk. Das ist nicht ungewöhnlich, wenn man die geografischen Umstände bedenkt: Merz ist im überwiegend katholisch geprägten Sauerland geboren und aufgewachsen. In seiner Jugend engagierte er sich in der Katholischen Jungen Gemeinde und war Messdiener.
Zu seinem Glauben bekennt er sich bis heute. So sagte er auf dem Katholikentag im Mai 2024:
"Als Christ, als Katholik, glaube ich an die Wahrheit von Hebräer 13, 14: ,Denn auf dieser Erde gibt es keine Stadt, in der wir für immer zu Hause sein können. Sehnsüchtig warten wir auf die Stadt, die im Himmel für uns erbaut ist.`"
Über sein heutiges Verhältnis zur Kirche ist wenig Genaues bekannt. Auf dem Evangelischen Kirchentag 2023 in Nürnberg sagte Merz, er habe manchmal Schwierigkeiten mit der katholischen Kirche. Ihn störe der Umgang mit Missbrauchsfällen und deren schleppende Aufarbeitung.
Auf derselben Veranstaltung betonte er auch, dass das "C" im Parteinamen der CDU "selbstverständlich" bleiben werde. Das christliche Menschenbild liege der Programmatik der Christdemokrat*innen zugrunde. Dies sei für viele "eine Provokation", aber gewollt.
Religion und Politik: Vergewaltigung in der Ehe
Was er mit christlichem Menschenbild offenbar unter anderem meinte: sehr konservative Positionen in gesellschaftlichen Fragen, die oft nahe an denen der katholischen Kirche liegen. Das jedenfalls legen seine Äußerungen und sein Abstimmungsverhalten nahe.
So stimmte Friedrich Merz 1997 als Bundestagsabgeordneter gegen einen Antrag, der Vergewaltigung in der Ehe mit Vergewaltigung außerhalb der Ehe gleichstellen wollte. Bis dahin galt sie innerhalb der Ehe nur als Nötigung. Die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands hatte bei ihrer damaligen Bewertung offenbar ein anderes christliches Menschenbild vor Augen als Merz: Sie befürwortete den neuen Straftatbestand im Gegensatz zu ihm.
2020 erklärte Merz, er stehe zu seinem damaligen Abstimmungsverhalten, würde sich aber aus heutiger Sicht anders entscheiden. Er begründete sein Stimmverhalten mit der Befürchtung, dass eine drohende Strafverfolgung durch falsche Behauptungen zerstrittener Ehepartner dem Schutzinteresse der betroffenen Frauen eher schaden als nützen würde.
Die häufig geäußerte Interpretation, Merz habe damit gegen die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe gestimmt, weist dieser selbst zurück. Im Jahr 2021 versuchte er beim Landgericht eine Unterlassungserklärung und einstweilige Verfügung gegen den damaligen Linken-Politiker Fabio de Masi (heute BSW) zu erwirken, weil dieser in einem Tweet den entsprechenden Vorwurf erhoben hatte. De Masi weigerte sich jedoch nach eigenen Angaben, eine Unterlassungserklärung zu unterschreiben, das zuständige Gericht habe auch die einstweilige Verfügung abgelehnt, Merz daraufhin seinen Antrag zurückgezogen.
Friedrich Merz: Abtreibung und Homosexualität
Weitere Beispiele für seine konservative Haltung sind sein Votum von 1995 gegen den bis heute geltenden Kompromiss und eine Verschärfung der Abtreibungsregelung sowie 2001 gegen die Präimplantationsdiagnostik.
Beim Thema Homosexualität hat Merz hingegen einen Wandel vollzogen: Noch im Jahr 2000 bezeichnete er das damalige Lebenspartnerschaftsgesetz, das homosexuellen Menschen einen eheähnlichen Status ihrer Beziehung ermöglichte, als "verfassungswidrig". Es höhle Schutz und Stellenwert der Ehe aus. 2018 hingegen befürwortete er die Ehe für alle und beklagte lediglich, sie sei "überstürzt" eingeführt worden.
2020 erklärte Merz, er habe keine Vorbehalte gegen einen möglichen schwulen Bundeskanzler. Die sexuelle Orientierung sei Privatsache, betonte er, aber nur, solange keine Kinder betroffen seien. Für diese Herstellung eines vermeintlichen Zusammenhangs zwischen Homosexualität und Pädophilie wurde er vielfach kritisiert, er selbst bezeichnete dies als "Missverständnis".
Leitkultur und Islam
Friedrich Merz gilt als Initiator der sogenannten Leitkultur-Debatte. Der Begriff Leitkultur geht auf den Politikwissenschaftler Bassam Tibi zurück. Dieser verstand darunter 1996 einen Konsens über seiner Meinung nach "europäische" Werte, auf deren Grundlage das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte funktionieren sollte.
Bei Merz klang das anders, als er den Begriff im Jahr 2000 in Anlehnung an seinen Parteifreund Jörn Schönbohm prominent in die politische Debatte einführte: Für ihn war Leitkultur vor allem ein Abgrenzungsbegriff, insbesondere zu muslimischen Menschen. So betonte er mit Blick auf muslimische Lehrerinnen, die aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen, diese hätten "unsere Sitten, Gebräuche und Gewohnheiten" zu akzeptieren.
Auch später fiel Merz immer wieder durch islamfeindliche Äußerungen auf. So unterstellte er muslimischen Menschen in Deutschland 2018, das deutsche Recht nicht uneingeschränkt zu akzeptieren. "Es gibt hier kein Scharia-Recht auf deutschem Boden", meinte er betonen zu müssen. Muslimische Kinder würden "in den Koranschulen indoktriniert". Im Jahr 2023 bezeichnete er männliche muslimische Kinder aus Berlin-Neukölln abwertend als "kleine Paschas".
Der damalige Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, kritisierte Merz 2000 für die Verwendung des Begriffs Leitkultur. Schon die erste Silbe impliziere eine Hierarchie.
Fazit
Sicher ist, dass Friedrich Merz katholisch sozialisiert und geprägt wurde. Ob und inwieweit er seinen katholischen Glauben heute innerhalb der katholischen Kirche praktiziert, ist nicht bekannt.
Öffentliche Bekenntnisse zu seinem Glauben scheut er ebenso wenig wie die Berufung auf das christliche Menschenbild. Letzteres schlägt sich in konkreten politischen Äußerungen vor allem in sehr konservativen Ansichten zu gesellschaftspolitischen Fragen nieder, die denen der katholischen Kirche oft nahekommen.
In religiöser Hinsicht fällt zudem sein tendenziell negatives Islambild auf. Seine pauschalisierenden Äußerungen, die häufig islamophobe Klischees aufgreifen, lassen einen gewissen Unwillen erkennen, sich offen und differenziert mit Andersgläubigen auseinanderzusetzen.
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