Er liegt bislang auf Türkisch vor, auf Russisch, Griechisch und natürlich Deutsch: der Wahlaufruf, mit dem der Münchner Rat der Religionen und die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK), die demokratischen Kräfte bei der Bundestagswahl am 23. Februar stärken wollen.

"Ukrainisch und Bulgarisch kommen sicher noch dazu, Arabisch würde ich mir wünschen."

Das sagt Georgios Siomos, Archimandrit der griechisch-orthodoxen Gemeinde und Vorsitzender der ACK Bayern, und seine dunklen Augen über dem krausen Vollbart blitzen. Der Migrationsbeirat der Landeshauptstadt helfe mit den Übersetzungen, es muss schließlich schnell gehen: In gut zwei Wochen ist Wahlsonntag.

Imam Idriz: "AfD kommt nicht infrage"

Für den Gang zur Wahlurne haben die Münchner Religionsgemeinschaften eine klare Botschaft an ihre Mitglieder. "Antisemitismus, Muslimfeindlichkeit, Rassismus und alle Formen von Demokratie- und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sind mit unserem Glauben nicht vereinbar", so steht es in dem Papier, das ab sofort breit in allen Gemeinden gestreut werden soll. Beim Treffen im großen Sitzungssaal des evangelischen Dekanats München am späten Dienstagnachmittag werden die anwesenden Rats- und ACK-Vertreter auch deutlicher: "Die AfD kommt nicht infrage", sagt der Penzberger Imam Benjamin Idriz unter zustimmendem Nicken der Runde.

Neben Idriz sitzt Gabriela Schneider von der Liberalen Jüdischen Gemeinde Beth Shalom. Als der Imam von der jüngsten Flugblatt-Hetze gegen Muslime in Penzberg spricht, nickt sie und sagt:

"Es ist für Muslime und Juden schlimm im Moment."

Der Zulauf, den die Rechtspopulisten verzeichnen, mache ihr große Sorgen. "Sorgen, keine Angst", betont sie. Der Imam schaut sie mitfühlend an und bekräftigt: "Gemeinsam machen wir aus Angst Mut!"

Das Zusammentreffen des Religionsrats ist ein kraftvolles Lebenszeichen nach einer langen Durststrecke. Denn nach dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 war der interreligiöse Dialog in München praktisch zum Erliegen gekommen: zu groß der Schock, zu schwierig die richtige Wortwahl. Seit dem Friedensgebet im November letzten Jahres ist die Krise überwunden: "Wir kümmern uns gemeinsam um die Gestaltung der Gesellschaft, wir lassen uns nicht spalten, sondern stehen einer für den anderen ein", sagt der evangelische Münchner Stadtdekan Bernhard Liess, der zugleich Sprecher im Rat der Religionen ist.

Der Wahlaufruf sei zugleich eine Premiere: Noch nie hätten der Rat und die ACK gemeinsam ein Statement verfasst. Die beiden Gremien stehen zusammen für 19 verschiedene christliche Kirchen, für die Liberale Jüdische Gemeinde und die Israelitische Kultusgemeinde München, für den Muslimrat und das Münchner Forum für Islam, für Aleviten, Buddhisten und Bahai. Das gemeinsame Statement schaffe Sicherheit für viele in der migrantischen Community, erklärt der ACK-Vorsitzende Siomos, denn es zeige: "Die Religionen stehen für dieselbe Pluralität ein, die wir auch in der Gesellschaft finden."

Wie fest ist die Brandmauer gegen Rechts?

Doch felsenfest ist die Brandmauer gegen Rechts auch innerhalb der Religionen nicht: Alle am Tisch können von Gemeindemitgliedern berichten, die mit dem Gedankengut der Rechtsextremen sympathisieren. Imam Idriz kennt Muslime, die aus Enttäuschung über fehlende Anerkennung durch die Mehrheitsgesellschaft AfD wählen.

Der bulgarisch-orthodoxe Erzpriester Nedialko Kalinov schätzt, dass ein Viertel seiner gut gebildeten und wohlhabenden Gemeindemitglieder Deutschland aus Frust über die Migrations- und Wirtschaftspolitik verlassen haben. Und in der jüdischen Gemeinde gebe es auch AfD-Mitglieder, sagt Gabriela Schneider von Beth Shalom. Georgios Siomos bringt es auf den Punkt:

"Wir können jemandem, der in zweiter oder dritter Generation hier lebt, nicht erzählen, wen er wählen soll."

Aber zumindest müsse man alles versuchen, "damit die Menschen die Augen öffnen."

Deshalb rufe der Rat auch zur Kundgebung für Demokratie am Samstag (8. Februar) auf der Theresienwiese auf. Als Protest gegen das Abstimmungsverhalten der CDU im Bundestag will Liess das nicht verstanden wissen. "Wir demonstrieren gegen Rechtsextremismus und Populismus, gegen Leute, die hetzen und die demokratische Grundordnung infrage stellen", betont der Stadtdekan. Ungeachtet tagespolitischer Ereignisse gehe er davon aus, dass "die großen demokratischen Parteien dabei mit an Bord sind".

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