Die halbe Stadt liegt noch in Trümmern, aber Najeeb Mikhael, der chaldäische Bischof von Mossul, ist optimistisch: "Mossul ist die Stadt des Jona, die Stadt der Reue und Umkehr!", ruft er aus. Erst kürzlich ist er zurückgekehrt aus seinem Exil in Erbil, hierher in die Nähe des alten Ninive und seiner Mauern. Zurückgeblieben im kurdisch kontrollierten Erbil, Sitz der Autonomen Region Kurdistan, sind noch die zahlreichen, teils über 1000 Jahre alten christlichen Schriften, die ­Mikhael im Sommer 2014 auf abenteuerliche Weise und gerade noch rechtzeitig vor dem anrückenden "Islamischen Staat" in Sicherheit hat bringen können.

Das wertvolle christliche Archiv aus Mossul ist noch im sicheren Erbil. Und bisher haben auch nur wenige Christen das Vertrauen gefasst, in die Stadt zurückzukehren, aus der während der IS-Herrschaft zwischen 2014 und 2017 nahezu alle Christen vertrieben wurden. Zu frisch sind noch die Erinnerungen daran, wie ihre Häuser mit dem arabischen Nun für "Nazarener" rot gekennzeichnet wurden, an die Demütigungen durch Nachbarn, die Plünderungen, an Flucht und Vertreibung.

Nur etwa 70 christliche Familien sind nach Mossul zurückgekehrt

Aber Bischof Najeeb Mikhael kann auch von Hoffnungsgeschichten berichten, von der Rettung vieler Christinnen und Christen durch ihre muslimischen Nachbarn, die sie oft mit List – islamisch verkleidet – und unter hohem persönlichen Risiko mit dem Auto aus der Stadt und in Sicherheit brachten. Zwischen 20 000 und 45 000 Christen sollen bis zum Sommer 2014 in Mossul gelebt haben – offizielle Zahlen gibt es nicht. Nur etwa 70 christliche Familien, also wenige Hundert Menschen, sind mittlerweile in die Millionenmetropole im Norden des Irak zurückgekehrt.

Neben Bischof Najeeb Mikhael arbeitet derzeit nur ein Priester als Geistlicher in Mossul. Doch es bewegt sich etwas. Morgen werde seine Kirche eine Grundschule eröffnen, die für Schüler jeder Herkunft offen sei. "Das Klima ändert sich", strahlt der Bischof: Gestern Abend sei ein großer muslimischer Scheich mit seinem Gefolge in sieben Autos spontan hier vorgefahren, um einen Gratulationsbesuch zu Ostern zu machen. Bis früh um eins sei man in fröhlicher Runde zusammengesessen. Und ein Geheimdienstmann der Stadt sei neulich gefragt worden, wie viele Geschäfte es in Mossul inzwischen wieder gebe, die Alkohol verkaufen. "Immer mehr", habe der geantwortet "und hoffentlich bald mehr als Moscheen!"

die syrisch-katholische al-Tahira-Kirche
Karakosch ist eine assyrisch-christliche Stadt rund 30 Kilometer südöstlich von Mossul. Vor der Eroberung der auch als Baghdida bekannten Stadt durch den "Islamischen Staat" machten rund 50 000 Christen etwa 97 Prozent der Bevölkerung aus. Nur rund die Hälfte kehrte nach der Vertreibung der Islamisten zurück. Viele Christen im Irak wandern, wenn sie können, ins Ausland ab. Das Foto zeigt die syrisch-katholische al-Tahira-Kirche.

Die Sicherheit in Mossul sei inzwischen perfekt, und so ermutigt er christliche Familien zur Rückkehr in die Stadt. Doch viele haben ihr Hab und Gut verloren, haben nicht das Geld und die Unterstützung, ihr Haus zu renovieren oder neu zu bauen. Hier will der Bischof auch mit seinem persönlichen Vermögen Abhilfe schaffen. Auf einem Grundstück, das er von seinen Eltern geerbt hat, wird er ein Mietshaus errichten, in dem für rückkehrende Familien zunächst kostenlos Wohnungen zur Verfügung gestellt werden.

Er hat Hoffnung für die Christen von Mossul, und er zeigt das an einem Symbol, das in dieser Stadt nicht besser passen könnte: Auf dem Tabernakel seiner Kirche spuckt der große Fisch Christus den Auferstandenen aus. Jesus selbst sprach vom "Zeichen des Propheten Jona": So, wie dieser drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, werde der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein (Matthäus 12, 40). Die Leute von Ninive sind die, die nach der Predigt des Jona umkehrten und neu anfingen.

Das Nebengebäude einer der Kirchen hatte der IS zum Gefängnis gemacht

Andererseits heißt es, die Ideologie des IS sei noch in vielen Köpfen auch in dieser Stadt. Es waren nicht nur ausländische Kämpfer, die hier die islamistische Schreckensherrschaft errichteten. Und oft hört man in Gesprächen auch von der Sorge, dass diese ihren Kopf wieder erheben könne, wenn es ein entsprechendes politisches Vakuum wieder zulasse.

Dennoch: Man muss in Mossul nur wenige Straßen weitergehen, um zu sehen, dass die Hoffnungen des Bischofs kein Hirngespinst sind. Auf einem großen, von Mauern umfriedeten Gelände stehen vier Kirchen: eine armenische, eine syrisch-orthodoxe und zwei syrisch-katholische. Es braucht einige Zeit und mehrere Anrufe, bis den Gästen aus Bayern hier der Zugang gewährt wird: Es ist eine große Baustelle. Bauarbeiter, Ingenieure, Maschinen – hier wird intensiv gearbeitet.

Das Gelände war das Hauptquartier des sogenannten Islamischen Staats während seiner Schreckensherrschaft. Das Nebengebäude einer der Kirchen hatten sie zum Gefängnis gemacht. Die Metallplatten, mit denen die Herrscher des IS die Gefängniszellen zunagelten, sind noch immer an den Fenstern, jetzt leicht aufgebogen.

Bauingenieur Anas
Bauingenieur Anas, ein Muslim, ist verantwortlich für den Wiederaufbau einer der historischen Kirchen Mossuls.

Als der Papst bei seinem Irakbesuch vor drei Jahren hier auf dem Platz vor den Kirchen eine Messe feierte, saß er noch zwischen Ruinen. Jetzt aber werden zunächst zwei der vier Kirchen renoviert. "Revive the spirit of Mossul" steht auf Englisch (und Arabisch) unter dem Logo der Weltkulturorganisation UNESCO auf den gelben Jacken der hier Arbeitenden.

"Das ist das Zeichen, das wir geben wollen", sagt Anas, ein junger Ingenieur aus Mossul, der betont, dass er Muslim ist. "Die Vereinigten Arabischen Emirate fördern das Projekt, und Muslime aus Mossul bauen diese Kirchen wieder auf. Das ist der Geist von Mossul, den wir wiederbeleben wollen!"

In drei Monaten soll die Kirche fertig sein, an der Anas mit seinem Team gerade arbeitet. Es sieht so aus, als werde sie schöner als zuvor. Auch die historische Al-Nuri-Moschee aus dem 12. Jahrhundert wird im Rahmen dieses Projekts wieder aufgebaut, in der Abu Bakr al Baghdadi (1971-2019) im Sommer vor genau zehn Jahren das Kalifat der Dschihadisten ausrief.
Es wird sich erst noch erweisen müssen, wie die Menschen in Mossul diesen Neuanfang nutzen und ob die heutigen Bewohner des alten Ninive wirklich umkehren und neu beginnen.

Gedämpfte Stimmung in Bagdad

Gedämpfter ist die Stimmung in Bagdad. Nah am Tigris liegt das Gelände der anglikanischen Kirche. Im schön angelegten Garten steht ein Kriegerdenkmal für die seit 2003 hier gefallenen dänischen Soldaten. Die Kirche war ursprünglich eine Kirche für Diplomaten und Botschaftsangehörige, hat sich aber nach der Invasion der USA und ihrer Alliierten vor 20 Jahren für die Gesellschaft hinein geöffnet. "Viele hier mögen es, wie wir beten und unseren Glauben leben", sagt Pfarrer Faiz ­Jerjes. Aber er wirkt müde und sagt auch, dass er am liebsten in den Ruhestand gehen würde. Wo denn die Herausforderungen liegen? "In allem! Überall. Alles ist anstrengend!"

Hoffnung scheint allein die gut funktionierende Arbeit des Kindergartens und der Grundschule auf dem Gelände der Kirche zu geben, die von 99 Prozent muslimischen Kindern besucht werden. Ansonsten beklagt er die mühsame Kommunikation mit den staatlichen Stellen und Verantwortlichen, die große Versprechungen machten und kaum etwas hielten.

Nein, es seien nicht nur die Christen, die hier Probleme haben, betont Jerjes. Niemand sei im Frieden mit den anderen. Religiöser Fanatismus grassiere. Emigration sei die einfachste Lösung, meint er. Und offenbar haben sich das auch die meisten seiner Gemeindeglieder gedacht, die es sich leisten konnten, auszuwandern. Die Menschen, die – abgesehen von den Diplomaten – noch zu seiner Gemeinde gehören, seien vor allem damit beschäftigt, ihr tägliches Brot zu beschaffen.

Mauern an der Ausgrabungsstelle des alten Ninive
Ein Ort der Umkehr und des Neubeginns? Die rekonstruierten Mauern an der Ausgrabungsstelle des alten Ninive in Mossul.

Die Politik von religiöser Einflussnahme zu entflechten und Religionsfreiheit in gleichem Maße für alle – das würde einen Unterschied machen, betont der anglikanische Pfarrer. Der englische König Charles engagiere sich ja in dieser Sache. Darin sieht Faiz Jerjes ein kleines Hoffnungszeichen, auch wenn der Einfluss des englischen Königs auf die Verhältnisse im Irak gering sein dürfte.

30 Familien von 1000

Ein großes Kirchengebäude mit den entsprechenden Nebengebäuden steht auch der Gemeinde des griechisch-orthodoxen Pfarrers Younan Ibrahim mitten in Bagdad zur Verfügung. 30 Familien gehören zu seiner Gemeinde. Vor 20 Jahren waren es noch mehr als 1000. Wie kann da die Zukunft aussehen? "Vielleicht ist es hier in zehn Jahren wie in der Türkei: viele Kirchen, aber fast keine Christen mehr", sagt Ibrahim.

Kritik übt er auch an evangelikalen Missionaren aus den USA, die im Gefolge des Kriegs vor 20 Jahren ins Land kamen und seither nicht nur versuchen, Muslime zu konvertieren, sondern auch den lokalen Kirchen Gläubige abwerben. Viele pflegen Doppelmitgliedschaften und wenden sich für Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen dann aber doch wieder an ihre Heimatgemeinde.
Was seine ausgewanderten Gemeindeglieder betrifft, so meint Pfarrer Younan: "Sie tragen das Feuer des Glaubens in den Westen, wo das Christentum doch fast schon aufgehört hat zu existieren." Er aber wird hier bleiben, um seinen Auftrag als Christ zu erfüllen, Hoffnung in diese Gesellschaft zu tragen. Herausfordernd fragt er: "Sehen wir es nicht auch an der Bekehrung des Saulus zum Paulus, dass Menschen, die sich gegen uns gewendet haben, eines Tages an unserer Seite stehen können?!"

Pfarrer Younan Ibrahim
"Viele Kirchen, aber fast keine Christen mehr": Pfarrer Younan Ibrahim von der griechisch-orthodoxen St.-Georgs-Kathedrale in der irakischen Hauptstadt Bagdad.

Die Begegnung mit dem armenischen Bischof des Irak in Bagdad, Oshagan Gulgulian, lässt auf sich warten: Der Osterbesuch eines schiitischen Geistlichen zieht sich hin. Der Mann mit dem weißen Turban und seine Begleiter besichtigen nach dem Gespräch mit dem Bischof noch die Kathedrale.
Bischof Oshagan strahlt Lebensfreude aus und betont seine positiven Erfahrungen mit der Regierung. Sie habe eine Kommission eingerichtet, die dafür sorge, dass die Kirchen ihr Eigentum zurückbekämen, das in der Vergangenheit beschlagnahmt oder enteignet wurde.

Die Sicherheitslage werde nun auch in Bagdad langsam besser, es gebe immer weniger Checkpoints und immer mehr offene Cafés, und in der Stadt werden nun Straßen und Brücken gebaut. Die fast 400 Jahre alte, einst große Gemeinde der Armenier in Bagdad bestand vor allem aus Händlern, von denen fast alle nach Europa, in die USA oder nach Australien emigriert sind. Die Auswanderung und die Assimilation der Gläubigen in der Diaspora bezeichnet der Bischof als "Weißes Massaker". Geblieben sind diejenigen, die – ähnlich wie in anderen Gemeinden zu hören – um das tägliche Brot kämpfen.

Bischof Oshagan ist trotzdem überzeugt: "Wenn hier erst mal Sicherheit herrscht, dann verlässt niemand mehr das Land." Der Irak und besonders Bagdad seien "der beste Ort für Arbeitnehmer, und auch als Händler macht man hier mehr Geld und zahlt weniger Steuern". Jeden Tag scheine die Sonne, gearbeitet werde nur bis halb zwei – und das an kaum mehr als 130 Tagen im Jahr. Außerdem seien ständig irgendwelche Feiertage, "und an jedem Tag, an dem es regnet, ist auch Feiertag, weil die Straßen überschwemmt sind und alles geschlossen ist", witzelt der Bischof. Und dann hat der Armenier noch seinen Geheimtipp für Geschäftsleute parat, die schnell reich werden wollen im Irak: "Alles hier wird in Plastik gepackt, jeder Schluck Wasser. Recycling ist die Zukunft! Wer hier eine Recycling-Firma aufbaut, wird schnell zum Milliardär."

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