Die Anglikanische Kirche ist eine eigenständige christliche Glaubensgemeinschaft mit einer reichen Geschichte und einer Vielzahl von Unter-Gemeinschaften. Ihre liturgische Praxis vereint Elemente aus dem Katholizismus und dem Protestantismus. Im Vordergrund steht die Bedeutung der Vernunft als Hilfsmittel zur Interpretation der Bibel.

Die Mutterkirche der Anglikanischen Kirche ist die Church of England. Ihre Gründung geht auf das 16. Jahrhundert zurück, als König Heinrich VIII. von England sich von der römisch-katholischen Kirche lossagte, um seine Scheidung von Katharina von Aragon zu erreichen. In der Folgezeit entwickelte sie sich zu einer eigenständigen Kirche mit eigener Hierarchie und Gottesdienstordnung.

Anglikanische Kirche: Mit englischer Geschichte verbunden

Die Geschichte der Anglikanischen Kirche ist eng mit der Geschichte Englands verbunden. Während der Herrschaft von Königin Elisabeth I. im 16. Jahrhundert setzte sich die Anglikanische Kirche als Staatskirche in England durch. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sie sich auch in anderen Ländern des britischen Kolonialreichs, dem Commonwealth, beispielsweise in Australien, Kanada und Neuseeland.

Die heutige Form der Anglikanischen Kirche ist geprägt von einer Vielzahl von Gemeinschaften, die sich innerhalb der Kirche gebildet haben. Dazu gehören beispielsweise die High Church, die Low Church und die Broad Church. Die High Church betont dabei den liturgischen Aspekt des Gottesdienstes und die Bedeutung des Priestertums, während die Low Church sich eher auf die Bibel und die Verkündigung konzentriert. Die Broad Church verbindet hingegen beide Ansätze.

Aufbau und Struktur

Die höchste Autorität in der Anglikanischen Kirche ist der Erzbischof von Canterbury, der als spirituelles Oberhaupt der Gemeinschaft fungiert. Er hat jedoch keine unmittelbare Autorität über die einzelnen Provinzen.

Die Kirche ist in verschiedene Provinzen aufgeteilt, die jeweils von einem Primas oder Metropolit geleitet werden. Jede Provinz ist weiter in Diözesen unterteilt, die von einem Bischof geleitet werden. Die Gemeinden vor Ort werden von Priestern geleitet.

Es gibt auch verschiedene Räte und Kommissionen, die auf nationaler und internationaler Ebene tätig sind und sich mit Themen wie Glaubensfragen, Liturgie und sozialen Fragen befassen.

Glaubenspraxis und Liturgie

Im Vergleich zu Katholik*innen und Protestant*innen gibt es einige Unterschiede in der Glaubenspraxis der Anglikanischen Kirche. Im Gegensatz zur römisch-katholischen Kirche erkennt die Anglikanische Kirche beispielsweise die Heiligenverehrung nicht an. 

Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen Katholik*innen und Anglikaner*innen ist die Autorität, auf die sie sich stützen. Während Katholik*innen den Papst als obersten geistlichen Führer und die Traditionen und Lehren der katholischen Kirche als maßgeblich anerkennen, berufen sich Anglikaner*innen auf die Bibel als Grundlage ihres Glaubens und erkennen auch die Autorität von Bischöfen und der Tradition an, jedoch nicht in dem Maße wie Katholik*innen.

Ein weiterer Unterschied liegt in der Praxis der Sakramente. Katholik*innen betonen sieben Sakramente, während Anglikaner*innen nur zwei Sakramente als notwendig betrachten, nämlich die Taufe und die Eucharistie. Die Sakramente, die von Katholik*innen betont werden, wie die Beichte, die Firmung oder die Krankensalbung, haben in der anglikanischen Tradition eine unterschiedliche Bedeutung oder sind gar nicht anerkannt.

Im Vergleich zu den Protestanten gibt es ebenfalls einige Unterschiede.  So verwendet die Anglikanische Kirche in Gottesdiensten häufiger eine liturgische Form, die von der römisch-katholischen Kirche beeinflusst ist, einschließlich des Gebrauchs von Weihrauch, der liturgischen Kleidung und der sakramentalen Gesten. Die liturgischen Praktiken der katholischen Kirche sind in der Regel jedoch formeller und strukturierter als die der Anglikanischen Kirche, die mehr Spielraum für die Kreativität der Gemeinden lässt.

Während die protestantische Theologie die Rechtfertigung durch Glauben allein betont, hat der Anglikanismus einen stärkeren Fokus auf die Heiligung durch die Sakramente hat.

Die Glaubensgrundsätze der Anglikanischen Kirche sind in den sogenannten 39 Artikeln zusammengefasst. Diese umfassen unter anderem die Lehre von der Dreifaltigkeit, die Erlösung durch den Glauben an Jesus Christus und die Bedeutung der Bibel als Glaubensgrundlage. Die Kirche betont dabei die Bedeutung der Vernunft bei der Interpretation der Bibel.

Welche Rolle spielen Frauen in der Anglikanischen Kirche?

Es gibt weibliche Pfarrer in der Anglikanischen Kirche. Die Entscheidung, Frauen zur Ordination zuzulassen, wird jedoch von jeder Provinz selbst getroffen. Einige Provinzen erlauben die Ordination von Frauen als Diakoninnen, Priesterinnen und Bischöfinnen, während andere dies nicht tun.

In der Church of England, der größten Provinz der Anglikanischen Gemeinschaft, wurden Frauen seit 1994 als Diakoninnen ordiniert und seit 2014 als Bischöfinnen. In anderen Provinzen gibt es bereits seit längerem weibliche Geistliche. In einigen Provinzen wird die Ordination von Frauen jedoch immer noch kontrovers diskutiert.

Welche Rolle spielten die Anglikaner im Kolonialismus?

Die Rolle der Anglikanischen Kirche im Kolonialismus war komplex und variierte je nach Region und Zeitraum. Bei der Kolonisierung von Ländern wie Kanada, Australien und Neuseeland spielte sie eine wichtige Rolle. Dort war sie eine der wichtigsten Kirchen der Kolonialzeit. In diesen Ländern waren Kirche und Staat oft eng miteinander verflochten, und die Kirche unterstützte den Kolonialismus als Instrument der britischen Herrschaft.

In anderen Kolonien, beispielsweise Indien oder in afrikanischen Ländern, spielte die Anglikanische Kirche eine weniger dominante Rolle. Hier konkurrierte sie mit anderen christlichen Konfessionen und mit den einheimischen Religionen. Dennoch unterstützte die Kirche oft die Kolonialregierung in ihren Bemühungen, die Einheimischen zu unterwerfen.

Einige Vertreter der Anglikanischen Kirche kritisierten jedoch auch den Kolonialismus und setzten sich für eine bessere Behandlung der einheimischen Bevölkerung ein. Hier ist besonders die Person von William Wilberforce zu erwähnen, der sich im 18. und 19. Jahrhundert gegen die Sklaverei einsetzte und sich auch gegen den Kolonialismus wandte.

Haltung zu LGBTQ

Die Haltung der Anglikanischen Kirche zu LGBTQ-Themen variiert je nach Land und Region und ist oft umstritten. Einige anglikanische Kirchen haben die LGBTQ-Gemeinschaft vollständig akzeptiert und unterstützen die gleichgeschlechtliche Ehe und die Ordination von homosexuellen Geistlichen. Andere Kirchen lehnen die Praktiken und die Lebensweise der LGBTQ-Gemeinschaft ab und betrachten sie als unvereinbar mit dem christlichen Glauben.

Auf globaler Ebene ist die Anglikanische Kirche in dieser Frage gespalten. Im Jahr 1998 verabschiedete die Lambeth-Konferenz, das höchste Gremium der Anglikanischen Kirche, eine Resolution, die die "praktizierte Homosexualität" als unvereinbar mit der Schrift bezeichnete. Seitdem haben einige Kirchen und Diözesen innerhalb der Anglikanischen Gemeinschaft ihre Haltung zu LGBTQ-Fragen geändert, was zu Spannungen und Konflikten innerhalb der Kirche geführt hat.

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