Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
Weihnachts- und Adventslieder - seit vier Wochen laufen sie im Radio. Ich höre und ich sing sie gern mit. Besonders mag ich die richtig alten Weihnachtslieder: "Es ist ein Ros entsprungen" oder Martin Luthers "Gelobet seist du Jesu Christ"
Diese Lieder führen uns in eine alte Sprache und in eine alte Welt des Denkens. Oft verstehe ich die Worte nicht auf Anhieb – und ich sing trotzdem mit. Oft versteh ich sie auch nach mehrmaligem Lesen nicht. Und wenn ich sie verstehe, denke ich: Was für große und auch was für sperrige Aussagen nehmen wir da in den Mund. "Gelobet seist du Jesu Christ, dass du Mensch geboren bist, von einer Jungfrau, das ist wahr. Des freue sich der Engel Schar " (EG 23).
Wenn wir im Gottesdienst das Glaubensbekenntnis sprechen "Jesus empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria", dann höre ich, dass manche an dieser Stelle leiser werden. Unsicher. Vielleicht auch verärgert. Was soll das alte Zeug noch mit Jungfrauengeburt.
Im Lied ist es irgendwie leichter, da einzustimmen. Als Musik berührt er mich, dieser Glaubenssatz von der Jungfrau Maria
"Jungfrau Maria"
Im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria. Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das? Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria! Du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben.
Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Manne weiß? Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem Sohn, in ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat, sie, von der man sagt, dass sie unfruchtbar sei. Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr.
Eine Geschichte zum Wundern, die der Evangelist Lukas erzählt.
Maria und Josef sind einander vertraut, sozusagen verlobt, das heißt: der Ehevertrag ist schon unterschrieben. Solche Eheverträge machen zu dieser Zeit vor allem die Eltern. Das ideale Heiratsalter der Männer ist in den jüdischen Quellen bei 18 festgelegt, für Frauen etwas jünger. Josef und Maria, ein 18-jähriger und seine vielleicht 16-jährige Braut. Sie warten auf ihre Hochzeit, es ist nicht mehr lang hin. Und dann kommt alles ganz anders. Ein Engel kommt zu Maria. Und es wird auch einer zu Josef kommen, davon erzählt die Bibel an anderer Stelle. Bleiben wir jetzt bei Maria. Was der Engel ihr sagt, finde ich unglaublich – unglaublich schön und kompliziert. Maria wird schwanger, sie wird Mutter eines Sohnes. Und zweimal betont Lukas: Maria ist Jungfrau. Ein Reizwort für viele. Für viele Christinnen und Christen ist die Jungfrau Maria sehr wichtig. Für andere, besonders für Frauen, ist das schwierig. Sie sind empört. "Jungfräulichkeit", das ist eine Männerphantasie, das soll Frauen klein halten und ihnen keine Lust gönnen.
Das Wort "Jungfrau" sagt hier einfach nur etwas über Marias rechtlichen Status. Eine Jungfrau ist eine junge Frau vor der Ehe. Und vielleicht hat sie noch keinen Geschlechtsverkehr gehabt. Aber so wichtig ist das hier nicht. Maria – eine Jungfrau, oder junge Frau kurz vor der Ehe. Sie soll schwanger werden. Ihr Sohn wird "Sohn des Höchsten" sein.
Ein heiliger Mensch kommt auf eine besondere Weise, mit einer besonderen Entstehungsgeschichte zur Welt. Das ist eine Vorstellung, die zur Zeit des Evangelisten Lukas verbreitet war. Man kannte das von den Griechen, von den alten Ägyptern und auch von jüdischen Philosophen. Und vor allem aus der Bibel. Bestimmte Gottesleute haben eine besondere Geschichte mit Gott von Anfang an, sie gehören Gott schon im Mutterleib. So heißt es vom Propheten Jeremia oder vom Apostel Paulus. Und natürlich ganz besonders von Jesus. Von Mutterleib an gehört er ganz zu Gott.
What child is this, … das Kind wird Nachfolger von König David, Sohn des Höchsten, Sohn Gottes, mit Namen Jesus, Jehoschua, Gott rettet. Gottes ganz persönliches Kind.
Ein besonderer Kinderwunsch
Die Bibel erzählt die Geschichte eines besonderen Kinderwunsches, eines besonderen Wunschkindes. Gott sehnt sich nach einem Kind. Und dazu berührt das Geheimnis Gottes einen Menschen -Maria - körperlich, seelisch, geistig. Und gleichzeitig diskret, verborgen vor unseren neugierigen Augen und besserwisserischen Fragen.
Die heilige Geistkraft wird dich überschatten, hört Maria. So wie eine Wolke Schatten wirft. Die Wolke ist in der hebräischen Bibel Zeichen für die Gegenwart Gottes. Die Wolke zeigt: Gott ist jetzt da. Und sie verbirgt zugleich: was genau geschieht. Du kannst nicht hinter die Wolke blicken, du kannst den Schatten, der auf Maria fällt, nicht erhellen. Das Geheimnis dieser Schwangerschaft, dieses Kindes, dieses Menschen bleibt in Gott verborgen – und bleibt Wunder.
Wenn ich das Wunderbare von vornherein ausschließe und von Gott erwarte, dass er nur im Rahmen meiner Vernunft existiert, dann kann die Geschichte von Maria und dem Engel nicht "wahr" sein.
Theologisch lerne ich viel von der Mystik. Und mystische Theologie denkt anders, als ich es sonst gewohnt bin. Sie denkt von der spirituellen Erfahrung her. Sie rechnet mit Wundern und lädt mich dazu ein, das auch tun: Gott wirken lassen. Mit Einbrüchen des Göttlichen in meinem Leben rechnen, sogar in mein körperliches Leben. Gott innerlich erfahren. Das heißt: immer auch im eigenen Körper. Was höre ich, was fühle, was spüre ich … vom Geheimnis, vom Leben, von Gott?
Keine Erfahrung gleicht der anderen. Jede Erfahrung, jede Geschichte ist einzigartig. So erfahren und erzählen es Menschen, die meditieren, beten, sich in der Tiefe öffnen. Das göttliche Geheimnis wirkt, berührt, ergreift immer wieder neu und ganz.
Das göttliche Geheimnis geht ein in die Materie, ins Körperliche. Das erzählt die Geschichte von der Schwangerschaft der jungen Maria.. Der ewige Gott kommt einem Mädchen aus Palästina so nahe, dass in ihr ein Kind entsteht.
Ähnlich übrigens wie in einer anderen Wundererzählung der Bibel: Das göttliche Geheimnis kommt einem toten Körper ganz nahe, dem im Grab liegenden Jesus. So, dass daraus wunderbares, verwandeltes Leben wird. Das Grab ist leer, der Gottessohn Jesus ist auferstanden.
Über dem Ende und über dem Anfang des Gottessohnes liegt der Zauber des Wunders und des Mysteriums. Die Geschichte bleibt fremd, das kann man nicht auflösen und wegerklären. Es ist eine Geschichte zum Wundern und Sich-berühren-lassen: Gott wünscht sich ein Kind. Und dieses Wünschen und Sehnen berührt das Menschliche. Jesus – ein Wunder und Wunschkind Gottes.
Wünschen und das Wunder des Erwünscht-Seins
Wünschst du dir Kinder? Das ist eine sehr persönliche und wichtige Frage im Leben eines jungen Menschen heute. Frühere Generationen haben sich die Frage nicht gestellt. Man hat Kinder geboren. Und man hat gelitten unter Kinderlosigkeit, Man nahm beides als Schicksal hin, aus Gottes Hand.
Heute ist das mit dem Sich-Kinder-Wünschen ein bisschen anders. Frauen und Männer haben mehr Möglichkeiten, ihr Leben selbständig zu gestalten. sich bewusst für ein Kind zu entscheiden. Oder auch bewusst für ein Leben ohne Kind. Es gibt Seminare für Frauen "Willst du Kinder?". Und es sollte solche Seminare auch für Männer geben, finde ich.
Die Frage "Wünschst du dir Kinder?" hängt auch nicht mehr davon ab, ob und mit wem ich verheiratet bin. Ob ich Männer oder Frauen liebe. Ob ich alleine oder in Partnerschaft und Ehe ein Kind großziehen möchte. Ich glaube, die Frage "Wünschst du dir Kinder?" stellt sich heute und künftig in jeder Biografie. Und lässt sich nicht mehr schicksalsergeben wegschieben, mit einem "Das macht man nicht", "Das darf man nur so" und "du darfst das nicht wünschen".. Es ist, liebe HUH, auch eine geistliche Frage: Wozu ist mein Leben berufen? Wie gebe ich Leben weiter? Als Mutter oder Vater, Patin oder Lehrer oder noch ganz anders … Wozu ist mein Leben berufen?
Und dann gibt es da noch eine andere Seite beim Kinderwunsch. Menschen wünschen sich ein Kind, und es kommt nicht. In Taufgesprächen erzählen mir Eltern manchmal: vom langen Warten, von x Behandlungen in Kinderwunschkliniken, warten, warten, bereit sein, hier ein Medikament nehmen, dort sich nochmal untersuchen lassen. Was für ein Stress für die, die im Herzen schon Vater oder Mutter sind und es dauert und dauert. Sich ein Kind wünschen kann psychisch extrem zermürben und manche Ehe und Beziehung zerbricht daran. Auch Freundschaften verlieren sich, wenn Außenstehende den Stress eines Kinderwunsches nicht mitfühlen können.
Die Zahl der Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch steigt stetig an, die Fruchtbarkeit von Frauen und Männern geht zurück. Es ist ein verborgenes Thema, mit Scham und mit Tabus besetzt. Und auch mit Vorurteilen.
Es ist so wichtig, sich im eigenen Leben erwünscht zu fühlen. Nicht jede und jeder hat das erlebt in seinem Leben. Und nicht jeder kann das weitergeben, das Gefühl des Erwünscht-Seins. Anthony de Mello war ein indischer Meditationslehrer. Er meditiert, wie das zusammengehört: das Kommen des Erlösers Jesus Christus und das je eigene Ankommen in diesem Leben … und warum ich wirklich erwünscht bin …
Die geschichtlichen Ereignisse waren für mein Kommen in diese Welt
nicht weniger genau bestimmt als für die Ankunft des Erlösers.
Die Zeit musste reif sein,
der Ort gerade richtig,
die Umstände so weit,
daß ich geboren werden konnte.
Gott wählte die Eltern für seinen Sohn
und stattete sie mit den Gaben aus, die sie für das Kind brauchten, das ihnen geboren werden sollte.
Ich rede zu Gott über den Mann und die Frau, die er für mich als Eltern wählte,
solange, bis ich sehe, daß sie so sein mußten, wie sie waren, wenn ich so werden sollte, wie Gott mich haben wollte.
(Anthony de Mello, Dass ich sehe. Meditation des Lebens, Herder Verlag, Seite 18)
Was für ein schöner Text, der mir mit einem weihnachtlichen Unterton sagt: Du bist gewollt, du bist erwünscht, hoffentlich von deinen Eltern, ganz sicher und auf ewig von Gott. Selbst wenn deine Eltern anderes gesagt haben sollten: Gott hat dich ersehnt und ausgedacht. Als du entstanden bist, hat Gott gewirkt, verborgen im Schatten wie hinter einer Wolke, Denn Gott wollte genau dich.
Die Geschichte von der Entstehung Jesu ist eine besondere Wunschkindgeschichte, mit ein paar Ecken und Kanten. Der Kinderwunsch kommt von anderswo her – von Gott. Ein Engel vermittelt. Maria und auch Josef willigen ein und übernehmen ihre Rolle. Sie sind die rechtlichen, die sozialen und auch die geistlichen Eltern des Jesus von Nazareth. Ohne sie wäre Jesus nicht der der er ist, der Gottessohn und Menschensohn. Sie haben ihn großgezogen. Und was Jesus später über seinen himmlischen Vater sagen wird, hat sicher auch mit seiner irdischen Mutter und seinem Vater Josef zu tun.
Maria und Josef teilen sich die Elternschaft …. mit Gott. Der Schöpfer des Lebens sucht sich zwei Geschöpfe aus, Maria und Josef, als Mutter und Vater für seinen Sohn. Was und wie genau, das bleibt Geheimnis, verborgen im Schatten göttlicher Gegenwart.
Ave Maria. Sei gegrüßt, besser übersetzt: Freu dich, Maria, sagt der Engel. So viele Komponist:innen haben den Engelsgruß zu einem Klangwunder gemacht. Ein Klangwunder wie das berühmte Ave Maria von Johann Sebastian Bach und Charles Gounod…
So kann er klingen, der Gruß des Engels, der zu Maria kommt. In der Bibel ist das selbstverständlich, dass Engel kommen. Und unser Gehirn aktiviert Bilder, die wir verinnerlicht haben. Vielleicht die beiden Putten von Raffael auf seinem berühmten Gemälde "Sixtinische Madonna" oder andere Engelsgestalten.
Aber seien wir ehrlich, liebe Hörerinnen und Hörer: wir haben auch verinnerlicht: Engel gehören zum Glauben vergangener Zeiten. Zu uns kommt so ein Engel nicht. Wir sind erwachsen, wir sind aufgeklärte Menschen. Engel gibt es nicht.
Ins Innere hinaus
So habe ich auch gedacht – bis - mir jemand die Augen geöffnet hat: Christian Lehnert, ein Mystiker unserer Tage, evangelischer Pfarrer aus Ostdeutschland. "Ins Innere hinaus" heißt sein Buch über Engel. Gar nicht kitschig, sondern klug, tiefsinnig. Was Engel sind, schreibt er, ist gar nicht so klar definiert, weder in den Heiligen Schriften noch in den Erfahrungen der Menschen. Die einen sehen etwas, was sie Engel nennen, und andere sehen nichts. Sie sind da und schon wieder weg. Es gibt so viele Namen, Bilder, Erfahrungen von "Engeln" in der Bibel und in den Erfahrungen von Menschen. Sie können "Zwischenwesen" sein. "unscharf wie Elektronen" "Da-ist-etwas-Erfahrungen", "Zeigegesten". Engel haben mit meinem Inneren zu tun. Da wird mir im Inneren etwas gezeigt. Engel sind wie Spiegel. Sie spiegeln mir, ob ich mich öffne für das Göttliche.
Nicht die Engel sind im Lauf der Jahrhunderte verschwunden oder verfallen, sondern: unsere Sinne für die innere Welt, meint Christian Lehnert. Es ist heute winterlich kalt geworden in unserer inneren Welt.
Der Engel Gabriel kommt in Maria hinein, heißt es genau übersetzt. Ins Innere hinaus – wird Maria geführt. Für einen Moment. Sie erfährt… in der Stille, niemand ist sonst da… da ist etwas.
Eine mystische Erfahrung. Für einen Moment eine andere Wirklichkeit berühren, oder berührt werden. Ganz in sich sein. Lauschen in die Welt, die sich im Inneren öffnet… Verrückt. Und dann ist es gleich schon vorbei. Nichts ist mehr so wie es war. Aber da war was.
Man kann kaum darüber sprechen. Dieses "Etwas" nennt die Bibel Engel., Andere sagen "Transzendenz", das "Numinose", das "Heilige". Da ist etwas, eine innere Wirklichkeit, die für mich ganz real ist und die mein Leben bewohnt und bestimmt und von jetzt auf gleich verändert hat.
Manche machen sie beim Meditieren, beim Sitzen in der Stille. Manche beim Hören von Musik oder in einem Gottesdienst. Manche erwischt dieses Da-ist-etwas ganz plötzlich im Alltag, an einem weihnachtlich gedeckten Kaffeetisch.. Dieses da-ist-etwas, kann nirgends und überall, nie und immer passieren. Ich habe es auch schon in meinem Leben erfahren. Da-ist-etwas-Erfahrungen verstören. Und es braucht manchmal Jahre, bis sich so ein Erlebnis tiefer erschließt, bis man darüber sprechen kann.
Engel und Wunder geschehen auch heute. Spür dem Geheimnis deines Lebens nach. Geh ins Innere hinaus. Da ist was. Da ist wer und sagt dir: Sei gegrüßt! Freu dich! gesegnet und gewollt bist du, von Mutterleib an. Vom Ewigen berührt und gesegnet ist dein Körper, deine Seele, dein Geist, gesegnet ist die Frucht deines Lebens.
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