Die biblische Weihnachtsgeschichte ist voller anschaulicher Bilder: die Hirten auf dem Feld, die Herberge, der Stall, das Kind in der Krippe. Gott kommt in die Welt – handfest, greifbar, real. Auch die Verkündigungsengel finden darin ihren Platz. Ja, so mag sich die Geburt Jesu in Bethlehem zugetragen haben. So kam Gott in die Welt. Aber geboren von einer Jungfrau? Wie genau ging das vor sich? Als biologischer Akt? Was bedeutet "empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria", wie es im apostolischen Glaubensbekenntnis heißt? Gehört die Jungfrauengeburt nicht wie Wunder, Himmel, Hölle und Teufel in das Reich der Mythologie?

Der Evangelische Erwachsenenkatechismus kommt den Zweiflern entgegen: Die Jungfrauengeburt sei "eine Frage, an der die Auffassungen unter Christen auseinandergehen können", heißt es da. Eine Jungfrauengeburt infolge einer übernatürlichen Empfängnis passt nicht in das heutige Weltbild. Festgehalten wird aber am Bekenntnis "empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria".

Doch wie kann man das verstehen? Hilfreicher scheint ein Besuch der EKD-Seite im Internet. Das Kapitel "Jungfrauengeburt" im "EKD Glaubens-ABC" klärt auf: Bei der biblischen Erzählung gehe es nicht um ein biologisches Wunder, die Texte wollten aussagen, dass Jesus ohne menschliche Zeugung geboren wurde, dass Maria Jesus vom Heiligen Geist empfangen habe. Dann erfährt man, die Vorstellung der Zeugung direkt aus dem göttlichen Geist sei in der damaligen antiken Welt nichts Ungewöhnliches gewesen. Spätestens hier bleibt der Leser hilflos zurück. Nichts Reales also? Nur eine "Vorstellung"? Eine heidnische Vorstellung, die aus dem Hellenismus ins Christentum übernommen wurde?

Untermauert wird die These mit der Behauptung, der Evangelist Matthäus sei einem Übersetzungsfehler aufgesessen. Matthäus 1, 22f nehme auf, was in griechischen Übersetzungen des Alten Testaments bei Jesaja 7, 14 stehe: "Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel, das heißt Gott mit uns!" Der hebräische Urtext spreche aber nur von einer jungen Frau.

Ähnlich argumentierte die Theologin Margot Käßmann in einem vorweihnachtlichen Zeitungsinterview. Sie erklärte, die Vorstellung der Jungfrauengeburt sei überholt. Die historisch-kritische Bibelforschung habe ergeben, dass es sich ganz einfach um eine junge Frau handelte. Die Vorstellung der Jungfrau sei erst aus der griechischen Gedankenwelt erklärbar und im Übrigen nur in einem Evangelium als Vorstellung belegt. In der Auffassung von der Jungfräulichkeit Mariens erkannte sie eine Ursache für die Sexualfeindlichkeit der Kirchen. Denn von da ab stehe Eva für die Verführung der Welt, Maria dagegen für die unbefleckte Empfängnis. Der Sinn der Weihnachtsgeschichte sei vielmehr, an Elend und arme Menschen zu erinnern.

Hat Margot Käßmann recht? Zunächst: Sie übersah, dass mindestens zwei Evangelisten erwähnen, dass Maria nicht mit ihrem Verlobten Josef verkehrt hatte, nämlich Lukas und Matthäus jeweils im ersten Kapitel. Beide schreiben, Jesus komme vom Heiligen Geist her. Beide berichten, dies wurde von einem Engel bekannt gemacht. Nach Lukas erscheint der Engel Maria, nach Matthäus dem "Ziehvater" Josef. Jesus wird dann übereinstimmend in Bethlehem geboren. Lediglich Matthäus fügt als Schriftgelehrter das Zitat aus Jesaja (7, 14) hinzu.

»Verkündigung«, Sandro Botticelli, 1481, Uffizien, Florenz.
»Verkündigung«, Sandro Botticelli, 1481, Uffizien, Florenz.

Schon deshalb kann nicht die gesamte Erzählung aus diesem Zitat abgeleitet werden. Ob auch der Evangelist Markus mit dem Begriff "Sohn der Maria" (Markus 6, 4) hintergründiges Wissen um die Jungfrauengeburt verrät, muss offen bleiben.

Der Heidelberger Theologe Klaus Berger tritt deshalb dem Gedanken entgegen, dass Jesajas Rede von der Jungfrauengeburt der Auslöser für die Texte bei Lukas und Matthäus war, "so als seien diese erst von den fabulierenden Evangelisten aus dieser Stelle herausgesponnen worden". Matthäus zitiert Jesaja, um die Geschehnisse als Erfüllung des Prophetenworts darzustellen. Berger glaubt, dass Matthäus und Lukas ihre Berichte von der ältesten judenchristlichen Gemeinde übernommen haben.

Maria der Verkündigung: Antonello da Messina, 1475.
Maria der Verkündigung: Antonello da Messina, 1475, Galleria Regionale della Sicilia, Palermo.

Es liegt auch nicht zwingend ein Übersetzungsfehler vor: Im hebräischen Urtext von Jesaja 7, 14 kann das Wort "alma" mit "junge Frau" übersetzt werden, es kann aber eben auch "Jungfrau" heißen. Der Tübinger Professor Eberhard Jüngel schließt einen Übersetzungsfehler aus: "Die Erklärung mit einem Übersetzungsfehler ist Schummelei, um sich dem Ärgernis zu entziehen", sagt er.

Die Jungfrauengeburt ist in der Tat ein Ärgernis für das moderne Denken. Ist es jedoch richtig, biblische Anschauungen als überholt wegzuschieben, weil man meint, dem modernen Menschen alle Stolpersteine aus dem Weg räumen zu müssen? Muss man dann nicht auch die Auferweckung Jesu streichen? Die Wunder, die Engel, am Ende sogar Gott selbst? Der Schlüsselsatz bei Lukas lautet: "Bei Gott ist kein Ding unmöglich!" (Lukas 1, 37). Der Engel Gabriel setzt damit die Überschrift über das weihnachtliche Geschehen. Bei Gottes Möglichkeiten geht es nicht um Willkür, nicht um die Aufhebung der Naturgesetze, sondern um die Unbegrenztheit der göttlichen Gnade. Bezogen auf Jesus heißt dies, dass Gott bei der Empfängnis und bei der Auferstehung, zu Anfang und zu Ende seines irdischen Lebens, als Schöpfer des Lebens wirksam wird. Warum sollte Gott dazu nicht fähig sein?

Die römisch-katholische Kirche hat viel Schaden angerichtet, als sie rund um das Geheimnis der Jungfrauengeburt alle möglichen Dogmen formuliert hat. Der Streit darüber beschäftigte in den vergangenen Jahren mehrfach die Glaubenskongregation der römisch-katholischen Kirche.

Dabei war es der Theologe Joseph Ratzinger, der in seinem Buch "Einführung in das Christentum" 1968 schrieb: "Die Gottessohnschaft Jesu beruht nach dem kirchlichen Glauben nicht darauf, dass Jesus keinen menschlichen Vater hatte. Denn die Gottessohnschaft, von der der Glaube spricht, ist kein biologisches, sondern ein ontologisches Faktum, kein Vorgang in der Zeit, sondern in Gottes Ewigkeit." In allen Neuauflagen des Buches wurde dies nicht korrigiert. Als Uta Ranke-Heinemann wegen ihrer Ablehnung der Jungfrauengeburt ihren Lehrstuhl verlor, wandte sie sich brieflich an Ratzinger um Hilfe. Er half nicht.

Das katholische Kirchenrecht kennt keine Gnade: Wer an Marias Jungfräulichkeit beharrlich zweifelt, ist automatisch exkommuniziert gemäß Canon 1364 § 1 und Canon 751 des Codex Iuris Canonici. Dem Kirchenkritiker Eugen Drewermann wurde wegen "falscher Lehre" die Lehrerlaubnis entzogen und er wurde vom Priesteramt suspendiert.

Die Hoffnung II, Gustav Klimt, 1907/08.
Die Hoffnung II, Gustav Klimt, 1907/08, Wien, Privatbesitz.

Eugen Drewermann versteht die Jungfrauengeburt nicht als historisches Ereignis, also auch nicht als biologisches Ereignis. Jesus habe einen leiblichen Vater gehabt, sagt er: "Jesus ist als Mensch gezeugt und geboren wie jeder andere Mensch auch. Ungewöhnlich war nicht seine Geburt, sondern sein Leben." Um dies zu deuten, hätten die ersten Christen die Bilder von der Jungfrauengeburt benutzt, die auf altorientalische Königsvorstellungen zurückgehen. Die Geburtsgeschichten Jesu bei Matthäus und Lukas sieht er als mythennahe Legenden, nicht als historische Berichte.

Es bereitet jedoch Unbehagen, wenn immerzu betont wird, dass es sich bei der Geistzeugung um keinen biologischen Vorgang handle. Dann muss das "Biologische" eben doch von Josef kommen. Aufrichtige Theologie darf sich hier nicht um eine Erklärung herumdrücken.

Ist die Vorstellung der Jungfrauengeburt erst aus der antiken Gedankenwelt erklärbar? War die Vorstellung der Zeugung direkt aus dem göttlichen Geist in der damaligen Welt ganz normal?

Göttlicher Ehebruch mit menschlichen Frauen

Es lohnt sich, die biblische Erzählung mit den vielen in der vorchristlichen Antike erzählten Geschichten von Göttersöhnen zu vergleichen. Hellenistische Mythen erzählen, wie bedeutende Herrscher durch göttlichen Ehebruch mit menschlichen Frauen entstanden sind. Eine Reihe solcher Geschichten sind in Plutarchs "Biografien der Herrscher" (96 n. Chr.) überliefert. Er erzählt zum Beispiel, wie sich Zeus in Gestalt einer Schlange in den Unterleib der Ehefrau Philipp von Makedoniens bohrte. Sie gebar Alexander den Großen.

Über Mythen dieser Art hatte sich jedoch in der Antike bereits der jüdische Historiker Josephus lustig gemacht, die Mythen dienten nicht als Vorbild für die Jesus-Geschichte. Der Tübinger Professor Eberhard Jüngel weist darauf hin, dass in der biblischen Überlieferung die Pointe genau umgekehrt verläuft: Der Allerhöchste, der "ganz oben" lebende Gott ist jetzt "ganz unten", im Uterus einer Frau. "Er kommt dem Menschen näher, als dieser sich selber nahe zu sein vermag." Wer daraus einen gynäkologischen Protokollsatz machen wolle, der habe wirklich gar nichts verstanden. Ähnlich urteilt Berger: "Hier findet sich nichts, aber auch gar nichts von Ehebruch und Frivolität. Das geheime Thema ist Heiligkeit vom ersten Augenblick der Entstehung an."

Der in Bochum lehrende katholische Neutestamentler Thomas Söding sieht die Jungfrauengeburt als Teil einer "Christologie von unten", die beim Menschen Jesus ansetzt. "Die Texte sind kein Mythos, weil die Geburt Jesu ein historisches Faktum ist; Maria ist seine natürliche Mutter", schreibt Söding.

Ganz ähnlich sieht es der Philosoph Robert Spaemann: "Hier hat nicht ein Gott einen Halbgott gezeugt, sondern der Geist Gottes, der am Anfang der Schöpfung über den jungfräulichen Wassern schwebte und die Erde Gestalt annehmen ließ, lässt nun in einer Jungfrau eine neue Schöpfung beginnen." Kein Halbgott werde empfangen, sondern eine ganz und gar menschliche Natur, die von dem ewigen Logos als seine angenommen wird. Spaemann nennt die jungfräuliche Geburt dieses Menschen das "Realsymbol" dafür, dass mit seinem Eintritt in die Welt etwas ganz und gar Neues beginnt, eine neue Schöpfung.

Der Katholik Spaemann formuliert reformatorisch: "Die Jungfräulichkeit der Gottesmutter ist das Realsymbol des "sola gratia" – durch Gnade allein, so wie das Ja Marias zu diesem Geschehen, das ihr verkündet wird, das unüberbietbare Beispiel des "sola fide" – allein durch Glauben ist. Den ersten Schritt zu unserer Erlösung können wir nicht selbst tun."

Katholisches Dogma der unbefleckten Empfängnis

Schön wäre, wenn Spaemanns Erkenntnisse Eingang in den Katechismus der römisch-katholischen Kirche finden würden. Die dortigen Belege mit ihrer unbiblischen Überhöhung Marias bereiten Protestanten immer noch heftigste Schmerzen: Unter anderem wird behauptet, Maria sei schon bei ihrer Empfängnis erlöst worden. Das bekennt das Dogma von der unbefleckten Empfängnis, das 1854 von Papst Pius IX. verkündigt wurde: "Von jeglichem Makel der Urschuld unversehrt bewahrt", war sie "erwählt vor der Erschaffung der Welt", "während ihres ganzen Lebens frei von jeder persönlichen Sünde geblieben". Von der Mutter Jesu wurde sie zur "Mutter Gottes" erhoben, zur "Gottesgebärerin". Sie war nach katholischem Verständnis "allezeit Jungfrau", übrigens auch während und nach der Geburt Jesu. Durch seine Geburt habe ihr Sohn "ihre jungfräuliche Unversehrtheit nicht gemindert, sondern geheiligt".

Zur immerwährenden Jungfräulichkeit passen nicht die biblischen Berichte über die Geschwister Jesu (Markus 3, 31-35; 6, 3;. Korinther 9, 5; Galater 1, 19. Matthäus 13, 55). Es heißt lapidar, Maria habe keine weiteren Kinder gehabt, Jesus sei der einzige Sohn Marias. Sie sei außerdem sündlos und frei von Erbsünde: "Sie ist vom ersten Augenblick ihrer Empfängnis an von der Befleckung durch die Erbsünde gänzlich bewahrt worden und während ihres ganzen Lebens ohne jede persönliche Sünde geblieben."

Wieder lohnt es sich, gegen die katholische Irrlehre Joseph Ratzinger ins Feld zu führen. Er vertrat 1968 die Auffassung, dass es sich bei der Empfängnis Jesu nicht um eine Zeugung durch Gott, sondern um eine Neuschöpfung handelt: "Gott wird dadurch nicht etwa zum biologischen Vater Jesu"! Denn dies hätte zur Folge, dass man annehmen müsse, dass Jesus halb Gott, halb Mensch sei. Sein Gottsein mache ihn aber nicht weniger zum Menschen.

Vielfältig sind die protestantischen Positionen zu diesem Thema. Martin Luther, der die hebräische Bibel gut kannte, schrieb, Alma in Jesaja 7,14 sei mit "Jungfrau" zu übersetzen und kündige die Geburt Jesu von einer Jungfrau an. Marias Verehrung als immerwährende Jungfrau dagegen sei Götzendienst. Diese Lehre sei unwichtig für den Glauben an die Menschwerdung des Sohnes Gottes. Die Bibel zeige schließlich kein Interesse an der Frage, ob Maria nach Jesu Geburt Jungfrau geblieben sei.

Die Schmalkaldischen Artikel von 1537 behaupteten jedoch die immerwährende Jungfräulichkeit Marias. Die Konkordienformel von 1577 erklärte, der Sohn Gottes sei von einer Jungfrau "unverletzt ihrer Jungfrauschaft" geboren worden.

Der reformierte Theologe Karl Barth sah in der Jungfrauengeburt "Gottes Geheimnis", mit dem er seine Schöpfungsordnung durchbreche, um etwas völlig Neues zu schaffen. Barth deutete die Jungfrauengeburt als radikale Kritik jeder natürlichen Theologie, bei der der Mensch an der Offenbarung irgendwie mitwirkt. Jesus werde anders als alle anderen Menschen gezeugt und geboren, weil die menschliche Natur nicht fähig zur Aufnahme Gottes sei.

Der protestantische Systematiker Wilfried Härle deutet die Jungfrauengeburt als eine "metaphorische Antwort" des Neuen Testaments auf die Frage nach dem göttlichen Ursprung Jesu Christi. Härle warnt zugleich, dies so aufzufassen, dass der Heilige Geist den männlichen Anteil an der Zeugung ersetze: Dann erscheine Jesus als Halbgott, der vom Geist die göttliche, von Maria die menschliche Natur geerbt habe, also weder wahrer Gott noch wahrer Mensch sei. Man könne auch schließen, menschliche Sexualität solle aus Jesu göttlichem Ursprung ausgeschlossen werden: Dann werde diese mit Sünde gleichgesetzt und könne nicht mehr positiv bewertet werden. Die Lehre von der immerwährenden Jungfräulichkeit Marias entspreche einem idealisierten asexuellen Frauenbild, warnt Härle.

Dennoch weise die Metapher auf ein theologisches Problem hin, nämlich die Beteiligung des Menschen an der Inkarnation. Hier folgt Härle Karl Barths Deutung: Der aktiv wollende, verfügende, schöpferische und souveräne Mensch – gleich ob Mann oder Frau – werde in und durch Jesu besondere Geburt als ungeeignet für Gottes Offenbarung aufgedeckt; nur das reine Empfangen und Einwilligen in Gottes Schöpfermacht sei dieser angemessen. So gesehen sei jeder Mensch, der Jesus im Glauben aufnehme, vom Heiligen Geist gezeugt und neu geboren (Johannes 1, 12f).

FAZIT: Der christliche Glaube und die Theologie brauchen die Jungfrauengeburt nicht. Sie veranschaulicht zwar die Gottessohnschaft Jesu, aber sie ist nicht die Bedingung dafür. Sie belegt auch nicht die Sündlosigkeit Jesu oder die Freiheit Jesu von irgendeiner Form von Erbsünde. Die "Geburt aus Gott" und die irdische Erzeugung konkurrieren nicht miteinander.
Die biblischen Autoren benutzten das Bild der Jungfrauengeburt nicht, um den geschlechtlichen Akt als sündig und sündig machend zu vermeiden, sondern allein um die volle Vaterschaft Gottes sicherzustellen. Die Jungfrauengeburt ist ein Zeichen für den schöpferischen Akt Gottes.
Jesus – obwohl er über Maria ebenso ganz vom alten Adam herkommt – wird so zum Anfang der neuen Menschheit.