Auf Reisen oder im Urlaub besuchen Menschen gerne auch Kirchen oder suchen gezielt einen Gottesdienst auf. Es scheint, dass im Urlaub die Sehnsucht nach spirituellen Erfahrungen und Gesprächsmöglichkeiten über Lebens- und Glaubensfragen besonders greifbar wird. Was kann Kirche vom Tourismus lernen?

Roßmerkel: Wir haben in den letzten Jahren schon viel vom Tourismus gelernt: Menschen sind im Urlaub offener für spirituelle Fragen. Stille und Entschleunigung sind mega Themen auch im Tourismus. Deswegen hat der Freistaat Bayern auch eigene Marken herausgebracht wie "Stade Zeiten" oder auch "Auszeiten" . Dabei handelt es sich um spezielle Angebote im Tourismus, wo Menschen zur Ruhe kommen und die eigene Mitte finden. Diese Angebote nehmen wir auf beim Pilgern, spirituellen Wanderungen und  unserer Häusermarke "StilleErleben".

Wo sehen Sie den Beitrag der Kirche für einen sogenannten "sanften Tourismus", der sich ökologisch verantwortlich verhält?

Es handelt sich um verschiedene Faktoren beim ökologisch nachhaltigen Tourismus. Wenn wir beim Pilgern zu Fuß unterwegs sind, sind wir in der Natur und bauen unmittelbar eine Verbindung zur ihr auf, die es zu schützen gilt. Ein großes Problem beim Tourismus insgesamt ist die Anreise.

Viele Menschen reisen individuell mit dem Auto an. Das ist leider ein Problem, bei dem wir als Kirche wenig unterstützen können, weil es eine Frage von regionaler Infrastruktur ist. Als Kirche sind wird aber offen für Angebote, die den sanften Tourismus unterstützen.

Die Kirchenmitglieder schwinden, und das schneller als erwartet. Betrifft diese Entwicklung Ihren Bereich genauso wie die Kirchengemeinden vor Ort?

Das interessante ist, während die Austrittszahlen hochgehen, bleiben unsere Teilnehmendenzahlen stabil. In den letzten Jahren haben wir zusätzlich unterschiedliche Angebote neu ins Leben gerufen. Die Berggottesdienste laufen gut mit teilweise bis zu 400 Besucher*innen. Natürlich gibt es auch Berggottesdienste mit nur 20 Besucher*innen. Die Zahlen variieren. Andere Angebote, wie beispielsweise die spirituelle Wanderung und das Radpilgern, erschließen zusätzlich neue Menschengruppen.

Insgesamt stellen wir fest, dass die Besucher*innenzahlen bei unseren Veranstaltungen in den letzten zehn Jahren deutlich nach oben gegangen sind.

Meines Erachtens liegt das vor allem daran, dass wir neue Angebote schaffen, für die Menschen offen sind und für die sie sich interessieren. Wir sind nicht auf Formate festgelegt. Uns geht es darum, die Botschaft weiterzugeben, sei es beim Berggottesdienst oder beim Pilgern.

Das Ende einer Ära. Sie gehen in diesem Jahr in den Ruhestand. Was wird Ihnen besonders in Erinnerung bleiben? Was ist gelungen? Was ist vielleicht auch nicht gelungen?

Was uns in den letzten zehn Jahren sehr vorangebracht hat, ist die engere Zusammenarbeit mit dem Tourismusverantwortlichen. Ein wichtiges Erzeugnis daraus ist der Gesellschafterstatus bei der Tourismusorganisation Bayern Tourismus Marketing GmbH, in die wir 2015 eingetreten sind. Dadurch sind viele neue Kontakte entstanden. Das Schöne ist, dass sich Tourismus und Kirche seither stärker auf Augenhöhe begegnen und als Partner gegenseitig anerkennen.

Die Tourismusbranche nimmt wahr, dass sich die evangelische Kirche um die Gäste in Bayern bemüht und mit dem Tourismus zusammenarbeitet. Auch meine Fachtagung, die ich alle zwei Jahre geleitet habe, zeichnet die enge Zusammenarbeit mit Touristiker*innen aus. Das sind schöne Erfolge. Dazu zählt auch die eigene Marke "StilleErleben", die evangelische Gästehäuser in Bayern verzeichnet, die Menschen im Urlaub eine spirituelle Atmosphäre ermöglichen.

Manche Kooperationen sind auch nicht gelungen, entweder weil es inhaltlich nicht gestimmt hat oder menschlich nicht passte. Im Großen und Ganzen sind wir aber ein gutes Stück weitergekommen.

Was haben Sie gelernt und was nehmen Sie aus dieser Zeit mit?

Gelernt habe ich vor allem, vom Gast her zu denken. Wir in der Kirche denken oft von unseren Strukturen und Angeboten her. Der Tourismus hingegen richtet seine Angebote flexibler an den Wünschen seiner Gäste aus. Ruhe, Stille und Spiritualität sind ja nicht unsere Erfindungen, sondern Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen des Tourismus. Wenn Spiritualität gefragt ist, dann ist es gerade die Aufgabe von Kirche, diesen Bedarf ernst zu nehmen und zu befriedigen.

Ich stimme meinem Freund, dem Kunsthistoriker Christian Antz, zu. Er sagt: "Die Kirchen sind das spirituelle Original". Es ist wichtig, dieses Original wieder stärker in Vordergrund zu bringen und mit etwas Selbstbewusstsein zu sagen, dass wir gute Angebote und Formate haben, die wir offensiv auf dem Spiritualitätsmarkt anbieten.

Wir vermitteln als evangelische Kirche gelegentlich den Eindruck, dass wir uns dafür entschuldigen, dass wir da sind. Im Urlaub erleben wir Gäste, die gerne kommen und sich bedanken für die spirituellen Gemeinschaftserlebnisse in der Natur.

Was möchten Sie der nächsten Generation mitgeben?

Ich bin froh, dass die Arbeit im November mit meinem Nachfolger Karsten Schaller gut weitergeht, der jetzt schon bei der Segen-Servicestelle unterwegs ist und viel im Bereich Kasualien gearbeitet hat. Das ist ein wichtiges Thema, denn viele Menschen wollen im Urlaub heiraten oder ihr Kind taufen.

Popup-Angebote wie Segensstellen mit einer Hollywoodschaukel besitzen Potential auch für den kirchlichen Tourismusbereich. Der Bereich hat sich in den letzten 15 Jahren viel gewandelt, er lebt von der Offenheit für neue Entwicklungen und von der Frage, was die Menschen bewegt.

Gibt es ein Leben nach der Arbeit? Worauf freuen Sie sich? Werden Sie zum Beispiel als Tourist verreisen, und wenn ja, wohin führt Sie Ihre erste Reise?

Ich freue mich jetzt auch auf den Ruhestand und schließe die Arbeit wohlgemut ab, die wirklich bereichernd für mich war. Es ist die schönste Stelle in der Landeskirche, die ich hatte. Ich bin gespannt, was der Ruhestand so bringen wird. Ich begegne dem, was nach der Arbeit kommt, mit großer Offenheit.

Verreisen werde ich in jedem Fall. Besonders dem Pilgern möchte ich verbunden bleiben, da mich die Pilgertouren persönlich sehr bereichert haben. Daneben werde ich sehr viel mit dem Rad unterwegs sein und in den Bergen wandern gehen – mehr als ich es bisher geschafft habe. Da muss man schauen, wie lange man wirklich auch gesund und fit bleibt. In der Natur draußen wird man mich in jedem Fall wiedersehen.

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