Brennt es? Vom Turm des zentralen Museumsgebäude Fridericianum in Kassel steigt weißer Rauch in den Himmel. Die Kunst-Installation von Daniel Knorr ist das weithin sichtbare Signal der documenta 14, die bis 17. September in Kassel zu sehen ist.
»Habemus Documenta«: Die Assoziation des Rauchzeichens zur Papstwahl sei durchaus beabsichtigt, erklärte der Künstler Knorr zur Eröffnung. Doch wolle er damit auch an das Konklave im nahegelegenen Rothwesten erinnern, bei der 1948 die Währungsreform vorbereitet wurde – und an die Bücherverbrennung und die Vernichtungs- und Konzentrationslager der NS-Zeit.
Documenta 14 in Kassel und Athen
Insgesamt fünf Rauchmaschinen pusten weiße Wolken in die Luft. Die »Fogmaster« sind auch beim Militär im Einsatz, wenn bei Lufteinsätzen ein Kraftwerk unter dem Rauch verschwinden soll. Beim Testlauf riefen prompt besorgte Bürger bei der Feuerwehr an, weil sie meinten, ein Feuer entdeckt zu haben.
Der Künstler Daniel Knorr war auch in Athen – dem zweiten Standort der documenta 14. Dort hat er Müll von der Straße gesammelt, den er nun mit einer Fünfzig-Tonnen-Presse in hochwertige Kunstbücher drückt, die in Athen und Kassel verkauft werden. Mit dem Erlös werden die Rauchmaschinen finanziert, was zugleich an die ökonomischen Zusammenhänge zwischen Deutschland und Griechenland erinnern soll.
Documenta 14 ist größte Kunstschau der Welt
Die documenta 14 gilt mittlerweile als größte Kunstschau der Welt, und sie ist zweifellos sehenswert, auch wenn das Unterfangen, alle Werke der 160 Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt zu erfassen, von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Die documenta ist ausgesprochen vielschichtig und komplex – und ganz schön sperrig, wie schon zu Beginn des Events deutlich wurde.
Als der künstlerische Leiter Adam Szymczyk vor zwei Jahren verkündete, dass der erste Teil der Ausstellung in Athen stattfinden werde, hagelte es Proteste. Inzwischen gibt es seitens der Medien ebenso viele kritische wie positive Stimmen, wie Pressechefin Henriette Gallus betont. Das Konzept hat sich offenbar bewährt.
»Die Menschen befinden sich in einer lebensbedrohlichen Situation«, erklärt Leiter Szymszyk. Es gebe immer mehr repressive, kannibalistische Regimes, die Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Religion oder wegen des Zugangs zu Ressourcen töteten. Zudem stehe die Menschheit kurz davor, ihren natürlichen Lebensraum, den Planeten Erde, zu zerstören. Die documenta 14 wolle sich einer »emanzipatorischen Bewegung anschließen, die sich der Passivität und Unausweichlichkeit der Situation, in der wir uns befinden, entgegenstellt«, so Szymczyk.
Künstlerischer Leiter Szymczyk bricht mit Traditionen
Tatsächlich hat Szymczyk alte Gewohnheiten und Traditionen durchbrochen. Statt die gesamte Schau mit der eigenen Handschrift zu versehen, setzte er auf ein Kuratorenteam von zwölf Personen und flache Hierarchien. Sein Team bezeichnete er als anarchisches Piratenschiff, das durch ein Kunstmeer gesteuert werden müsse. Bei der dreistündigen Eröffnungskonferenz präsentierte sich Szymczyk konsequenterweise inmitten von rund 200 Künstlern, Mit-Kuratoren und Mitarbeitern.
Diese Art zu Arbeiten war für die Entwicklung der Schau nicht immer einfach, sagt Pressechefin Gallus: »Es gab zehnstündige Sitzungen mit dem kuratorischen Team, aus denen wir ergebnisoffen herausgingen«. Doch habe die Zusammenarbeit zu interessanten, wenngleich widersprüchlichen Antworten geführt. Die besten Kunstwerke haben wir in unserem Special zusammengestellt.
Zersplitterung der Kunstwerke und Orte
Wer nach einer künstlerischen Linie sucht, wird bitter enttäuscht. Vielmehr spiegelt die documenta 14 dieselbe globale Zersplitterung wieder, die unsere Gesellschaft durchdringt. Das Fridericianum, die documenta-Halle oder die Satelliten-Ausstellungen im Stadtraum bilden eigenständige Inseln, auf denen seltsame Pflanzen gedeihen. Da ist die alte Hauptpost, die nun »Neue neue Galerie« heißt und mitten in einem Brennpunkt-Viertel liegt. Jetzt spazieren Kunstfans über den Platz, an dem sich Junkies, Dealer, Alkoholiker und Straßenprostituierte treffen und bis vor kurzem noch Polizei-Razzien stattfanden. Da sind die Glasspavillons an der Kurt-Schumacher-Straße, die in einer eher trostlosen Ecke der Stadt plötzlich zum Leben erwachen. Und da ist der umstrittene Appell der documenta-Macher, die Holländische Straße in Halitstrasse umzubenennen, um an Halit Yozgat zu erinnern, dem neunten Opfer der NSU-Mordserie.
Documenta will einen vielstimmigen Chor der Meinungen erzeugen
Die Ausstellung in Kassel ist kein Blockbuster-Veranstaltung mit populären Selfie-Motiven und schillernden Promis, sondern eine permanente Irritation für den Betrachter. Statt Führungen von Experten gibt es Spaziergänge, bei denen sogenannte Choristen mit den Besuchern ins Gespräch kommen über die Kunst – so soll ein »vielschichtiger Chor« unterschiedlicher Meinungen entstehen. Dazu passt auch, dass die Begleitausstellungen der Kirchen von den Machern angenommen wurden und inhaltlich perfekt in das Konzept der documenta passen.
Wer sich das Werk der Künstlerinnen und Künstler erschließen will, muss auf sein eigenes Urteil vertrauen, denn es gibt keinen Katalog, der die Werke verzeichnet und erläutert. Die Besucher werden ganz bewusst allein gelassen – sie sollen altbekannte Muster und Gewohnheiten verlernen und neue Wege beschreiten. »Es sind Momente des Nicht-Verstehens, die fundamental sind für die Erfahrung von Kunst. Alles andere wäre keine Kunst, sondern Innenausstattung«, erläutert Szymscyk. Ob partizipative Kunst, herkömmliche Malerei, konzeptuelle Werke oder Performance - alles ist möglich, alles gewünscht. Das ist Stärke und Schwäche der Schau zugleich.
DNA der documenta soll sich grundlegend verändern
Hinterfragt werden soll auch die Institution documenta. Selbst wenn das Großereignis von deutschen staatlichen Institutionen finanziert werde, sei es wichtig, sich nicht als »bloße Verlängerung der kulturellen und politischen Interessen Deutschlands« zu betrachten, findet Szymczyk. »Kulturelle Produktion sollte Eigentum von jedermann sein«. Mit dieser Demokratisierung der Kunst blickt die Schau zurück nach vorn – schließlich prägte Joseph Beuys die documenta ab 1964 mit seinem erweiterten Kunstbegriff und der Aussage, »jeder Mensch ist ein Künstler«.
Ob sich die DNA der Institution und des Marktes damit verändern lässt, mag bezweifelt werden. Der Widerspruch, den Kunstmarkt ändern zu wollen, gleichzeitig aber von der finanziellen Unterstützung und der öffentlichen Wirksamkeit abhängig zu sein, kann nicht aufgelöst werden. Dennoch lanciert das Team um Szymczyk mit der documenta 14 einen hoch interessanten Appell zur Partizipation an der Gesellschaft mit künstlerischen Mitteln.
Daten und Fakten zur documenta 14 in Kassel
- Die offizielle Internet-Seite der documenta 14 finden Sie hier: www.documenta14.de
- Die gesamte Geschichte der documenta können Sie hier anschauen: www.documenta-historie.de
- Einen Stadtplan für den individuellen Rundgang finden Sie hier. www.kassel.de/stadtplan
Eintrittspreise
Eintrittskarten können online über den »documenta 14«-Webshop oder ab Frühling 2017 in den »documenta 14«-Shops in Kassel und Athen erworben werden. Die Eintrittskarte berechtigt zum Besuch aller Ausstellungsorte der documenta 14 in Kassel. Die Ausstellungsorte in Athen sind zumeist kostenfrei zugänglich. Einige Partnerinstitutionen erheben reguläre Eintrittspreise.
Tageskarte
22 €, ermäßigt* 15 €
Zweitageskarte
38 €, ermäßigt* 27 €
Dauerkarte
100 €, ermäßigt* 70 €
Abendkarte (gültig ab 17.00 Uhr)
10 €, ermäßigt* 7 €
Schulklassen (pro Person)
6 €
Familienkarte**
50 €
Kinder (im Alter bis zu zehn Jahren)
freier Eintritt
*Schüler_innen, Auszubildende, Studierende, Empfänger_innen von Grundsicherungsleistungen (z.B. ALG II), Personen, die Freiwilligendienst leisten, Menschen mit schwerer Behinderung (ab 50 Prozent) erhalten ermäßigte Eintrittskarten gegen Vorlage eines entsprechenden Ausweises. Menschen mit schwerer Behinderung und dem Merkzeichen B, H, BL, AG und G zahlen den regulären Eintritt und haben Anrecht auf freien Eintritt für eine Begleitperson.
**Die Familienkarte gilt für bis zu zwei Erwachsene mit bis zu drei Kindern (bis 16 Jahre).
Adam Szymczyk
Der Kunstkritiker und Kurator Adam Szymczyk ist 46 Jahre alt und stammt aus Polen. Er studierte Kunstgeschichte in Warschau und absolvierte eine Ausbildung als Kurator in Amsterdam. Von 2003 bis 2014 war er Kurator an der Kunsthalle Basel. 2008 kuratierte er die Berlin Biennale, seit 2013 ist er künstlerischer Leiter der documenta 14. Szymszyk ist verheiratet und hat einen Sohn.