Von außen sehen die grauen Osterhasenformen gleichförmig aus - wenn man sie aber öffnet, tut sich eine mit feinem Strich gezeichnete Tierfabelwelt auf: Kein Hase gleicht da dem anderen. Hasen auf dem Dreirad oder Roller, auf einer Lokomotive. Oder ein Langohr mit Schubkarre. Ein Hasenstenz auf dem Oldtimer, eine Häsin mit Kinderwagen, eine mit Kopftuch und Flechtkorb auf dem Rücken. Es ist eine heile Welt wie aus dem Kinderbuch "Die Häschenschule". Rund um Ostern erweckt Konditormeister Peter Segerer so vergangene Zeiten zum Leben.

Peter Segerer lässt mit den Zuckerhasen ein Produkt der Vergangenheit wieder aufleben

In Neumarkt in der Oberpfalz betreibt er eine der seltenen Zuckerhasenwerkstätten. Ein paar Stufen geht es in den Keller seines Hauses hinab, dann steht man in seiner Zuckerbäckerei. Die Wandregale stehen voll von historischen Model, so heißen die Hohlformen. Insgesamt 1.400 Stück, 400 Vorlagen, so viele hat Segerer im Laufe seiner 35 Berufsjahre gesammelt - und vor dem Vergessen gerettet.

Er fand die Model in aufgegebenen Konditorgeschäften, auf Flohmärkten, sogar auf Müllhalden. Die ältesten Modelformen entstanden Mitte des 19. Jahrhunderts und sind aus schwerem Eisen. Spätere waren aus Blei-Zinn, "die dürfen aber heute nicht mehr verwendet werden", sagt Segerer. Er nimmt die jüngsten Formen aus den 1950er Jahren für die Produktion, die seien aus Aluminiumguss.

Ein Mann vor einem Regal mit silbernen Aluminium-Osterhasenformen.
Konditormeister Peter Segerer aus Neumarkt hat 1400 Modelformen gesammelt.

Herstellung der Zuckerhasen mit zeitgemäßen Änderungen

Die Zutaten sind einfach, wenngleich es eine zeitgemäße Änderung gibt: Statt des Zuckers verwendet Segerer heute das kalorienärmere Isomalt, "weil es zahnschonender und für Diabetiker geeignet ist". Der Konditor kocht es mit Wasser auf. Wenn alles bei 180 Grad in der Kupferkasserolle geschmolzen ist, gibt er natürliches Himbeer-Aroma, ein wenig Zitronensaft und rote Fliederbeerfarbe hinzu und füllt die zähe Masse in den Model.

Schnell gießt er die heiße Flüssigkeit in den Kupfertopf zurück. Eine dünne Zuckerschicht bleibt an der Innenwand der Form haften. Kurzes Erkalten, dann wird eine der Metallhälften abgehoben - und die Figur löst sich mühelos aus der Form. Die Prozedur erfordert Geschick und genaues Timing. Wie kleine Kunstwerke aus Zucker sehen die Hasen aus. Jedes Detail erscheint wie aus rotem Glas.

Geschichte der Zuckerhasen beginnt schon im 19. Jahrhundert

Die Zuckerhasen verdanken ihre Herstellung der aufstrebenden Zuckerproduktion in Deutschland: Mitte des 19. Jahrhunderts begann man, Zuckerrüben anzubauen und in Raffinerien zur verarbeiten. Zuvor war Zucker aus importiertem Zuckerrohr ein derart kostbares Gut, dass er in Dosen mit Schloss gesperrt wurde: "Es war eine Delikatesse, die sich nur das hochgestellte Publikum leisten konnte."

Ein findiger Konditor begann damals zusammen mit einem Eisengießer Model zu fabrizieren. Der geschmolzene Zucker wurde in die Formen gegossen und rot eingefärbt. "Die Farbe Rot hängt mit der kirchlichen Liturgie zusammen", berichtet Segerer. Die roten Zuckerhasen versinnbildlichen den Sieg des Lebens über den Tod und stehen für Jesu Blut und die Liebe am Osterfest. Die gelben symbolisieren das helle Licht nach der dunklen Osternacht. Während die roten, transparenten Hasen extra gefärbt sind, erhalten die gelben Rahmhasen ihre Farbe durch die Zutaten Butter und Rahm.

Wer in der Nachkriegszeit etwas auf sich hielt, stellte seinen Kindern einen Zuckerhasen ins Osternest. Anfangs waren es nur kleine Objekte, doch mit zunehmendem Zuckerrübenanbau wurde auch der Zuckerhase größer. In Baden-Württemberg waren die roten Hasen übrigens nie ganz verschwunden, inzwischen gibt es dort sogar ein kleines Museum und eine gläserne Zuckerbäckerei namens "Zuckergässle". Eine Sammlung von Zuckerhasen-Model samt Produktions-Vorführung ist dort in Langenenslingen bei Biberach zu besichtigen.

Die historischen Zuckerhasen erfreuen sich großer Beliebtheit

Vor allem Kinder seien von den Hasen begeistert, sagt Zuckerbäcker Wolfram Stehle.

"Sie stehen oft bei uns in der Bäckerei und lachen, wenn sie den glänzenden roten Hasen auf dem Traktor sehen oder die zwei Hasen, die sich auf der Gartenbank küssen."

Stehle hat schon zwei Wochen vor Ostern mit der Hasen-Produktion aufgehört, weil er mit dem Verschicken nicht mehr nachkomme, sagt er.

Bei den Segerers in Neumarkt ist von Februar bis Ostern Saison, rund zehn Wochen lang. In dieser Zeit produzieren und verschicken sie an die 5.000 Zuckerhasen. Hinterher ist Schluss: "Das ist ein Traditionsartikel, der nur in dieser Zeit zur Verfügung steht", sagt Peter Segerer. Verschickt werden sie europaweit. Am weitesten gereist sei heuer ein roter Zuckerhase nach Schweden.

Im nostalgischen Kinderbuch "Die Häschenschule" wurden die kleinen Langohren in Reimversen auf den Ernst des Lebens vorbereitet. Diese Idylle eines überschaubaren Lebens ist wohl auch der Grund für die Renaissance dieser possierlichen Hasenwelt in der Zuckerbäckerei. In Zeiten des Überflusses mit feinsten Schokoladen aus aller Herren Länder muss der rote Zuckerhase herhalten - als Sehnsuchtsbild für eine einfache und entschleunigte Welt.

Die sprichwörtliche Nostalgie erfährt Segerers Frau jedes Jahr aus den Kundenbriefen. Sie ist für den Versand zuständig. Eine ältere Dame schrieb ihr, dass sie früher die einzige in der Straße gewesen sei, die zu Ostern einen Zuckerhasen bekam. Jedes Nachbarkind habe damals an der Kostbarkeit "einmal schlecken" dürfen. Die Enkelkinder machten sich schließlich auf die Suche, um die Oma mit einem roten Zuckerhasen zu erfreuen.

"Es sind oft solche Kindheitserinnerungen, die die Leute wieder nach Zuckerhasen suchen lassen",

sagt Rita Segerer.