Eigentlich erinnert der zwölfeckige Rundbau der Reformations-Gedächtniskirche mit ihren drei Türmen, der zwischen 1935 und 1938 von Gottfried Dauner gebaut wurde, eher an eine Burg aus dem Mittelalter. Auch die Geschichte der Orgel ist eine ungewöhnliche: Ursprünglich war sie als Instrument für die Nürnberger Christuskirche vorgesehen. Da man in der Stadt der Reichsparteitage aber bereits Ende der 1930er-Jahre Angst hatte, dass Bombenangriffe große Bauten wie Kirchen und damit deren Orgeln zerstören, wurde das von der Traditionsfirma Steinmeyer aus Oettingen gebaute Instrument nach der Lieferung eingelagert.

Tatsächlich wurde die noch junge Kirche im Zweiten Weltkrieg stark durch alliierte Luftangriffe beschädigt. Als sie 1949 wieder eingeweiht wurde, kam dann auch endlich die vorgesehene Orgel mit rein. 1988 wurde das Instrument erstmals renoviert. Wenn nun 30 Jahre später also die Firma Friedrich anrückt, ist dies wahrlich kein Luxus. Und Alltagsgeschäft für das Team um Dominik Friedrich, der im Jahr 2008 als bester Orgelbau-Geselle Deutschlands seine Ausbildung beim Orgelbaumeister Georg Weishaupt in der Nähe von Augsburg absolviert hatte und mit 22 Jahren die fachliche Leitung des Unternehmens übernahm, während er parallel die vierteilige Meisterprüfung ablegte.

"Jede Orgel ist ein Einzelstück, keine gleicht der anderen. Und man sieht immer wieder etwas Neues, weil jeder Orgelbauer seinen eigenen Stil hat. Das macht die Arbeit für mich so spannend", bekennt der 30-Jährige. Ihm wurde das Handwerk quasi in die Wiege gelegt, da schon Vater Benedikt Orgelbaumeister war und Mutter Christine immer noch voll mitarbeitet. Schon mit vier Jahren war der kleine Dominik begeistert dabei, wenn Papa Benedikt in der Werkstatt brütete. Denn als Orgelbauer muss man mit Holz und Metall ebenso umgehen können wie mit Elektronik.

Leih-Orgeln für die ION

In Nürnberg und Umgebung sind die Friedrichs so gut beschäftigt, dass die Firma erst in etwa zwei Jahren wieder Aufträge annehmen kann. Die Orgeln der großen Kirchen wie St. Lorenz und St. Sebald, aber auch die Instrumente städtischer Einrichtungen wie der Meistersingerhalle sind seit Jahrzehnten unter der Ägide der Fachleute aus dem nahen Oberasbach. Und wenn der Bayerische Rundfunk, die Macher des Klassikfestivals "Fränkischer Sommer" oder der Internationalen Orgelwoche sowie das Staatstheater Nürnberg anklopften, dann verleiht Orgelbau Friedrich sogar selbst gemachte Truhenorgeln oder Harmonien für besondere Konzerte. Selber große Orgeln bauen, das macht die Firma Friedrich allerdings nur noch selten. Dennoch sind über Bayern verteilt immer wieder Instrumente aus der Oberasbacher Werkstatt zu finden. Zum Beispiel steht in der Paul-Gerhardt-Kirche in Stein (Dekanat Fürth) ein von Firmengründer Benedikt Friedrich geschaffenes Instrument, ein weiteres in St. Anna in Forth (Dekanat Erlangen) oder in der evangelischen Kirche in Weigenheim (Dekanat Uffenheim).

Meistens wird die Firma Friedrich gerufen, wenn eine Überarbeitung und Restaurierung von historischen Orgeln, Reinigungen, Umbauten, Stimmungen und Pflegearbeiten anstehen. So wie derzeit in der Nürnberger Reformations-Gedächtniskirche, die an der viel befahrenen Bayreuther Straße liegt. "Ich kenne Dorfkirchen im ländlichen Bereich, die werden nach 100 Jahren das erste Mal saniert und sind in ihrem Innenleben fast wie neu. Andere sind so verdreckt wie diese hier", sagt Mitarbeiter Wolfram Wittekind und zeigt auf Kunstlederteile, Gummitücher und Schaumstoffe, die allesamt für die Mechanik mit verantwortlich sind und mit Ruß geradezu getränkt scheinen.

Der kommt zu einem kleinen Teil natürlich von den Kerzen, die in Kirchen angezündet werden. Im Falle der Reformations-Gedächtniskirche sind es aber in erster Linie die Rußpartikel aus den Auspuffen der Hunderten Pkw und Lkw, die täglich an ihr vorbeifahren. Dass es bei Orgelreinigungen, die alle paar Jahrzehnte stattfinden, durchaus schmutzig zugehen kann, wundert den Orgelbauer jedoch nicht: "Stellen Sie sich vor, Sie rücken nach 30 Jahren mal Ihr Sofa von der Wand." Manche Teile werden gereinigt, manche gleich ausgetauscht, auch wenn sie noch funktionstüchtig sind – aber bevor man dann wegen eines kleinen Teils, das bald kaputt gehen würde, dann wieder den Orgelbauer ruft, erledigt man dies eben gleich mit.

Wer in seiner Jugend gerne gepuzzelt hat oder komplexe Bausteinraumschiffe aus zig Einzelteilen nach Bauplan zusammengetüftelt hat, der findet den Job als Orgelbauer sicher gut. Auch wenn die Liebe zur Ordnung und ein Hang zur Sorgfalt nur zwei der vielen Voraussetzungen sind. Dominik Friedrich jedenfalls findet das Spiel immer wieder aufs Neue spannend, eine Orgel komplett auseinanderzulegen und wieder zusammenzubauen. "Bestenfalls bleibt am Ende keine Pfeife übrig, die man wieder irgendwo reinbasteln muss", lacht Friedrich. Neben ihm stehen sorgsam aufgereiht und in Holzkästen sicher vor dem Umfallen gelagert die Pfeifen einzelner Register. So nennt man eine Reihe an Pfeifen, die alle dieselbe Klangfarbe besitzen und in einer Orgel in der Regel in derselben Zahl vorhanden sind, wie es Tasten beziehungsweise Pedale gibt. Ein solches Register kann man per Tastendruck am Spieltisch hinzuschalten, um den Gesamtklang farbenreicher zu gestalten. Wie ein Organist also "registriert", das macht letztlich seine musikalische Kunst aus.

Orgeln: Von Zungen und Hörnern

Die Kunst von Dominik Friedrich setzt früher an, ohne sie kann der Orgelspieler einpacken. Der Fachmann stimmt jede einzelne Pfeife der Orgel. Das macht er mithilfe von Spezialwerkzeugen. Dort, wo die Luft in die metallene Labialpfeife strömt, kann Friedrich mit einem Stimmhorn, an dessen Enden jeweils ein spitzer und ein hohler Kegel sind, die Öffnung erweitern oder verkleinern, was auf die Tonhöhe Einfluss hat. Der Ton wird bei dieser Pfeifengattung wie bei einer Blockflöte erzeugt, indem die Luft durch einen schmalen Spalt gegen eine Kante (Labium) geblasen wird.

Bei Zungenpfeifen versetzt der Luftstrom eine Metallzunge in Schwingung, der Ton wird in einem Resonanzkörper verstärkt. Hier verändert Friedrich die Höhe des Tons mit dem Stimmeisen, das vorsichtig auf die kleine Ausbuchtung an der Metallpfeife (Zunge) geschlagen wird. Pfeife für Pfeife wird so eingestellt. Ziel ist es, am Ende ein homogen klingendes Register geschaffen zu haben. Das fügt sich dann idealerweise mit den anderen Registern in Wohlklang ein. Umso wichtiger also, dass die Mitarbeiter des Traditionsunternehmens nicht nur das Instrument auseinanderbauen und die Pfeifen stimmen oder reparieren können, sondern auch einen fundierten Plan haben, nach welchem Schema die Orgel anschließend wieder zusammengebaut wird.

Was viele nicht wissen: Im Winter klingen Orgeln tiefer als im Sommer. "Das hängt mit der Luftfeuchtigkeit zusammen, die ein paar Hertz ausmacht", sagt Friedrich.

Etwa vier Monate nahm die Nürnberger Baustelle in Anspruch. Was das aus zwei festen sowie zwei freien Mitarbeitern und einem Lehrling bestehende Team nicht vor Ort erledigen konnte, wurde mit dem Kleinbus in die Firma gefahren. Die liegt in diesem Fall nur etwa eine halbe Stunde Autofahrt entfernt. "Gut die Hälfte unserer Arbeitszeit im Jahr sind wir unterwegs in Bayern, weil die Orgeln ja nicht zu uns nach Hause kommen können", bekennt Friedrich. Auch fernab von der eigenen Werkstatt sind die Friedrich-Mitarbeiter also mit den klassischen Materialien des Orgelbauers konfrontiert: Zinn und Blei, aus denen die meisten Pfeifen bestehen. Ein Handwerk, das wohl niemals ganz aussterben wird, weil man es nicht von einer Maschine machen lassen kann.

"Das Besondere an unserer Orgel ist, dass sie zweigeteilt ist", sagt Thomas Schumann, Kantor der Reformations-Gedächtniskirche, Dekanatskantor für die Nürnberger Prodekanate Mitte und Nord und amtlicher Orgelsachverständiger. Schumann zeigt auf den Spieltisch auf der Empore, der elektro-pneumatisch ausgeführt wurde. Das bedeutet, per Tastendruck wird ein Steuerventil betätigt, das die durch die noch aus den 1930er-Jahren stammende Windanlage erzeugte Druckluft durch ein Rohrsystem an die Pfeifen weitergibt. Dieser Vorgang wurde beim Nürnberger Instrument durch einen Elektromagneten mit eingebauter Funkenlöschung elektrifiziert. So sind jeder Verbindung zwischen Taste und Pfeife Kontakte und Drähte zugewiesen, wie man am "nackt gemachten" Spieltisch sieht.

Orgeln haben pro Ton einen Stromkreis

"Natürlich sind die Verbindungen gut isoliert, müssen aber nach jahrzehntelangem Einsatz jetzt ebenfalls überprüft und teils ausgebessert werden", meint Schumann. Jeder Ton hat einen eigenen Stromkreis, dessen Leitung textilummantelt ist. Im Lauf der Jahre kann es an diesen Stellen zu Oxidationen kommen. Daher baut die Firma Friedrich für jeden solchen Schaltkreis eine Einzeltonabsicherung ein. Würde man die rund 70 Jahre alten Ummantelungen für jeden Draht komplett erneuern, würde die Baustelle doppelt so lange und doppelt so teuer werden.

Ins Auge fällt zudem ein Tableau mit Schaltkreisen und kleinen Kabeln, das jedem Computer-Nostalgiker das Wasser in die Augen treiben würde: Das tellergroße Steuerungsmodul der Orgel, das im Jahr 1988 topmodern war, bei einer modernen, rein elektrischen Orgel aber wohl in einem Mini-Chip untergebracht werden könnte. Alt, aber es funktioniert noch. Und wie bei einem Synthesizer aus den 1980er-Jahren kann Schumann mithilfe des Kastens seine Registrierungen speichern – bis zu 128 Stück. "Immerhin", lacht Schumann, "auch wenn ich manchmal bei größeren Konzerten mit den Speicherplätzen an die Grenzen stoße." Zum Vergleich: An der Orgel in St. Lorenz, wo Schumann ebenfalls regelmäßig Platz nimmt, gibt es 5000 solcher Plätze.

Förderung durch den Freistaat Bayern

Die 100.000 Euro, die für die Renovierung fällig wurden, waren sicher gut angelegt. Um diese Kosten zu finanzieren, hatte die Kirchengemeinde Glück: Zum einen gibt’s rund 50.000 Euro aus einem Fördertopf des Freistaats Bayern, der aufgelegt wurde, nachdem die UNESCO die Orgel in die Liste "Immaterielles Kulturerbe der Menschheit" aufgenommen hat. Zum anderen hat die Kirche im Nürnberger Stadtteil Maxfeld einen Großspender, der 40.000 Euro für die Orgel gegeben hat. Und die Gemeinden müssen für solche Projekte wie eine Orgelsanierung generell selbst Mittel auftreiben: Die Bayerische Landeskirche gibt nur Zuschüsse für die kirchengemeindlich genutzten Gebäude, nicht aber für die Ausstattung, zu denen auch die Orgeln und die Glocken gehören – wie auch alles Mobiliar.