Wer wissen möchte, wie es sich anfühlt, die bundesweit erste Ministerin für Digitales zu sein, dem erzählt Judith Gerlach gern die Geschichte von ihrer Amtseinführung. Damals – sie hatte gerade ihre Urkunde überreicht bekommen und war froh, alles geschafft zu haben – brachte sie eine Beamtin in das Gebäude des neu errichteten Ministeriums: sechs Stockwerke, Teppich noch nicht verlegt, kein Tisch, kein Computer. Ein paar Beamte saßen in einem Zimmer. Wie denn das jetzt hier liefe, fragte Gerlach, auf welche Strukturen sie zurückgreifen könne, und wo der Rest sei. "Dann schauten die mich an und sagten: Welcher Rest? Es gibt nichts." Sie lacht. "Da ist bei mir erst so richtig die Murmel durchgerollt, dass ich das jetzt komplett neu mit aufbauen muss", erzählt Gerlach.

Die Situation im Ministerium zeigt, wie es um die Digitalisierung in Bayern – oder besser in Deutschland – bestellt ist. Außer vereinzelten Plänen und Projekten sowie Willensbekundungen fehlt es überall: Schulen und Universitäten, Staat und Verwaltung arbeiten weitgehend analog. In der Wirtschaft fehlen wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen, die Breitbandinfrastruktur auf dem Land ist miserabel. Eine Herausforderung, aber auch eine Chance, sagt Gerlach – denn wer bekommt heute noch die Möglichkeit, ein Ministerium aufzubauen?

Judith Gerlach ist Digitalministerin für Bayern

Judith Gerlach, 1985 geboren, dachte nie, dass sie einmal eine Behörde leiten würde. Als Jugendliche verschlang sie Harry-Potter-Bücher und schaute Miss Marple, dann studierte sie Jura und machte sich nach dem Referendariat in Würzburg als Rechtsanwältin selbstständig. Die Politik ist freilich in der Familie verankert: Großvater Paul saß für die Christsozialen im Deutschen Bundestag, der Vater im Aschaffenburger Stadtrat. 2002 trat Judith Gerlach in die CSU ein, elf Jahre später zog sie über die unterfränkische Liste als jüngste Abgeordnete in den bayerischen Landtag.

Am 12. November 2018 wurde Judith Gerlach als Ministerin vereidigt. Und nun will sie einiges anders machen als die anderen Ministerien. Sie wünscht sich Agilität. Auch deshalb hat sie ein Team zusammengestellt, das nicht nur aus Juristen besteht. Sie möchte offene Türen und Strukturen, die zwar den Anforderungen eines Ministeriums genügen, aber doch so durchlässig sind, dass jeder mit jedem sprechen kann.

In den ersten Monaten ihrer Amtszeit wurde der 33-Jährigen von der Öffentlichkeit gern ihr Mangel an digitaler Fachkompetenz vorgeworfen. Gerlach nimmt es gelassen. Sie steht mitten im Leben, ist energisch und strahlt Heiterkeit und Optimismus aus. Sie lebt mit Ehemann, der einjährigen Tochter und dem dreijährigen Sohn mitten im Spessart und ist in der Region verankert – bei der jüngsten Wahl gewann sie als Direktkandidatin in ihrem Stimmkreis Aschaffenburg-Ost mit 40,2 Prozent.

Judith Gerlach beim Sonntagsblatt-Redaktionsgespräch.
Judith Gerlach beim Sonntagsblatt-Redaktionsgespräch.

Strategie "Bayern Digital" soll bis Ende 2020 realisiert werden

"Ich bin ein ehrlicher Typ", sagt Gerlach. Deshalb formuliere sie auch klar – zum Beispiel, dass die Infrastruktur in Bayern deutlich verbessert werden muss. Wenn sie auf Ämtern mühsam Formulare ausfüllt, ärgert sie sich "genauso wie alle anderen" darüber. "Warum haben wir noch keine digitale Verwaltung, bei der ich meine Daten einmal eingebe und dann immer wieder darauf zurückgreifen kann. Das wollen wir jetzt ändern", sagt sie und verweist auf eine Initiative, nach der bis Ende 2020 in Bayern alle wichtige Verwaltungsdienstleistungen vollständig digital und mobil erledigt werden sollen.

E-Government, Cybersicherheit, Digitalbonus – die Projektliste der "Bayern Digital"-Strategie, für die bis 2022 rund sechs Millionen Euro zur Verfügung gestellt wurden, ist lang. Zehn Seiten umfasst das Papier des Digitalministeriums, rund 170 Maßnahmen sind darin aufgeführt. Realisiert werden sollen sie von unterschiedlichen Ministerien. Unterstützt werden sie alle vom Digitalministerium.

Bayern als Spitzenstandort für Künstliche Intelligenz

Bayern will laut Strategiepapier zum führenden deutschen Standort für Künstliche Intelligenz (KI) werden, auch in der Robotik und beim 3D-Druck will sich der Freistaat an der Spitze etablieren. Krankenhäuser sollen künftig vermehrt datenbasiert arbeiten, kleine und mittlere Unternehmen bei der Abwehr von Cyberkriminalität Unterstützung erfahren. Auch in die Blockchain-Technologie soll investiert werden. Der Glasfaserausbau soll ebenso vorankommen wie die Installierung von WLAN-Hotspots im ländlichen Raum.

Ein wichtiges Anliegen ist der jungen Ministerin die digitale Bildung. Landesweit sollen 50.000 digitale Klassenzimmer an Mittelschulen, Realschulen und Gymnasien entstehen. Aber: Der Umgang mit digitalen Medien müsse "schon in der Grundschule eingeübt werden", ist Gerlach überzeugt.

Auch deshalb tourt die Ministerin durch das Land, besucht Universitäten, trifft sich mit Staatsministerin Dorothee Bär oder mit der hessischen Digitalministerin Kristina Sinemus und postet inzwischen auch fleißig Statements und Selfies in den sozialen Medien.

Judith Gerlach ist eine Ministerin, die alle mitnehmen will. Auch deshalb macht sie sich für den "Digital-TÜV" stark. Dieser Baustein der Bayern-Digital-Strategie soll evaluieren, ob das beschlossene Maßnahmenpaket so passt oder ob es Bereiche gibt, in denen nachgebessert werden muss. Denn Gerlach weiß: "Wir können nicht zehn Projekte machen und acht davon laufen nicht. Wir haben eine große Verantwortung gegenüber den Steuerzahlern."

Digitalisierung in Deutschland

Wie ist Deutschland digital aufgestellt? Digitalministerinnen und -minister gibt es nicht nur in Bayern. Ein Überblick.

Digitalministerinnen in Deutschland

  • Die Politikerin Dorothee Bär (CSU) ist seit 14. März 2018 Staatsministerin für Digitales und damit Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung. Sie war zuvor schon als parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur im Kabinett Merkel tätig.
     
  • In Bayern wurde am 12. November 2018 das Bayerische Staatsministerium für Digitales gegründet. Es versteht sich als Denkfabrik der Digitalisierung in Bayern und kümmert sich um Grundsatzangelegenheiten, Strategie und Koordinierung. Das Digitalministerium war das erste dieser Art in Deutschland.
     
  • In Hessen ist seit 19. Dezember 2018 die erste Digitalministerin des Landes die parteilose Professorin Kristina Sinemus. Die Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung gehört zur hessischen Staatskanzlei. Sinemus lehrt an einer privaten Berliner Hochschule und ist Gesellschafterin einer Darmstädter Kommunikationsagentur sowie ehrenamtliche Präsidentin der Industrie- und Handelskammer Darmstadt Rhein Main Neckar.

Digitales in Ministerien

Weitere Bundesländer haben das Thema Digitalisierung mit anderen Ressorts verknüpft, die Modelle sind sehr unterschiedlich. Hier drei Beispiele:

  • In Schleswig-Holstein ist seit 1. September 2018 Jan Philipp Albrecht (Bündnis 90/Die Grünen) Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung. Albrecht gehörte von 2009 bis 2018 dem Europäischen Parlament an.
     
  • In Nordrhein-Westfalen ist seit 30. Juni 2017 der Wirtschaftswissenschaftler Andreas Pinkwart (FDP) Minister für Wirtschaft, Innovationen, Digitalisierung und Energie.
     
  • In Sachsen-Anhalt ist seit 16. November 2016 Professor Armin Willingmann der Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung. Der Fokus liege vor allem "auf einer engen Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Wissenschaft sowie auf den Themen Innovation, Investition und Internationalisierung", so das Ministerium.