Wenig macht mich wütender als Sätze, die so anfangen: "Naja, Du bist eben…". Fügen Sie hier ein beliebiges Wort ein: Ungeduldig, zu jung, schon zu alt, Schütze (ja, bin ich), Einzelkind (bin ich auch), einfach unordentlich (bin ich nicht, aber ich muss trotzdem oft was suchen!), impulsiv.

Egal, was davon zutreffen mag und wer es sagt und warum: Es legt mich fest. Es legt mich auf ein bestimmtes Bild fest, das mein Gegenüber von mir hat.

Weil sie mich seit Jahren, seit einer Stunde, aus dem Gottesdienst, vom Yoga, vom Babyschwimmen kennt.

Obwohl sie da doch nur einen Ausschnitt von mir wahrgenommen hat. Und wer weiß, was da so alles los war mit mir. Vielleicht war ich gestresst und deshalb hektisch?

So oft bilden sich Menschen Urteile über uns, um die wir nicht gebeten haben.

Und selbst, wenn wir das einfach wegschieben könnten und es ignorieren könnten, tun wir es meistens nicht. Wir sind ihnen ausgesetzt - den Menschen, den Urteilen, den Systemen, in denen wir das hören.

Und schneller als wir ABGRENZUNG buchstabieren können, reagieren wir auf diese Zuschreibungen. Mit Unsicherheit, Scham und Abwehr.

Und selbst wenn der andere nur ein Kompliment machen wollte - so ganz gelungen ist das dann trotzdem nicht. Weil wir uns beurteilt fühlen - in unserem Wesen, in unserer Art.

Wie ein Schnappschuss, der mir einfach nicht gefällt, auf dem ich mich gar nicht sehen will. Ich will nicht, dass andere ungefragt herausposaunen, was sie so über mich denken.

Fragen statt beurteilen

Ich freue mich aber, wenn sie fragen: Wie geht es Dir mit der neuen Stelle? Bist Du zufrieden mit Deinem Leben grade? Oder auch: Du strahlst heute irgendwie! Geht es Dir gut?

Mit Freundinnen und Freunden klappt das meistens. Vielleicht deshalb, weil wir ihnen mit Liebe und Offenheit begegnen: Wir legen sie nicht fest. Wir öffnen ihnen einen weiten Raum, in dem sie erzählen können, wo sie zeigen können, was sie wollen und was sie bewegt.

Daraus wird dann eine Nähe, die nicht eng macht und mir nicht die Luft nimmt, sondern die mich atmen lässt und den Horizont ganz weit macht.

Gott stellt mich in die Weite

"Du stellst meine Füße auf weiten Raum." - Das ist einer meiner liebsten Taufsprüche, weil ich hoffe, dass sich das Kind, das ich taufe, einmal in weiten Räumen in seinem Leben bewegen kann und nicht auf einen Schnappschuss festgelegt wird. Vor sich selbst, vor anderen und vor Gott.

Wenn sich alle Wege vor mir zu einer Sackgasse verengen und ich mich total verknotet mit mir selbst fühle, versuche ich mir das vorzustellen: Dass Gott mich in die Weite stellt.

Dass er meine Grenzen, die ich mir setze, verwischt. Vielleicht kann ich auch deshalb so viel Weite und Luft und Freiheit spüren bei diesem Bild, weil ich mir Gott genauso frei vorstelle, genauso viel "mehr" als ich denken kann.

Immerhin heißt es nicht umsonst, wir seien "Gottes Ebenbild"!

Ich könnte jetzt mit Worten um mich werfen, die Gott für mich beschreiben, aber eigentlich tut das die Bibel schon. Feuer, das sagt "Ich werde sein", Windhauch, der Sanftmut flüstert, Liebe, die Augen öffnet, Wüste, die Wahrheit aufleuchten lässt.

Und nicht nur die Bibel sprudelt über vor Worten über Gott, auch Menschen heute Morgen um 7 Uhr in Quarkenbrück, Ampfing und Oberursel tun es.

Wenn sie die Hand ihres liebsten Menschen nehmen und wissen, dass nicht nur sie halten, sondern dass sie gehalten werden. Wenn sie verzeihen können, endlich, weil sie selbst Gottes Gnade spüren.

Klingt groß? Ja, ist es auch.

Unendlich groß ist Gott. Unendlich klein auch.

Passt in mein kleines Weltbild, um es dann zu sprengen. "Du sollst Dir kein Bildnis machen!" Das steht ganz vorne bei den 10 Geboten und es gilt nicht nur von Gott. Es befreit Alles und Alle davon, so bleiben zu müssen wie es ist, so wie es in diesem Moment sichtbar ist.

Es befreit auch davon, alles wissen zu können, jede Richtigkeit finden zu können und jede Entscheidung bis zur letzten Konsequenz überblicken zu können. Und es erlöst uns von der Vorstellung, genau wissen zu können, was "Gottes Wille" ist und was nicht.

"Gottes Wille" kennen?

Immer wieder behaupten Menschen, sie wüssten, dass dies oder jenes ganz sicher nicht nach Gottes Willen sein könne: Homosexualität zum Beispiel oder dass Frauen Priesterinnen werden können.

Sie schwingen sich damit dazu auf, Gott besser zu kennen als andere - das ist für mich eine zutiefst menschenverachtende Haltung.

Und meistens versteckt sich hinter so einer Zuschreibung der Versuch, die eigene ethische Überzeugung mit dem Namen Gottes zu legitimieren - so, als ob das ein Gütesiegel für die eigene Meinung wäre. Aber so leicht können wir es uns nicht machen.

Ich glaube, Gott übersteigt unsere Wahrnehmung und auch unser Empfinden von richtig und falsch. 

Aber was ist Gott denn jetzt? Wenn ich mir kein Bild machen soll und überhaupt nicht mal irgendetwas weiß?

Doch, ich glaube, ich erahne Umrisse. Töne sogar, Farben. Morgenrot vielleicht. Mehr zweifelndes Flüstern als überzeugtes Auftrumpfen. Mehr Gnade als Rechthaben. Mehr Lieben als Aufgeben. Immer mehr als man schreiben und sagen kann.

Gottes Schreibweise in der hebräischen Bibel, der Tora, passt dazu gut, finde ich: Da stehen vier Buchstaben, JHWH.

Gottes Name: Da-sein

Es ist das, was Gott im brennenden Dornbusch sagt: Ich werde da sein. Das ist Gottes Name. Da-sein. Wie Gott ist, wie man diesen Namen buchstabiert, das kann man niemandem vorschreiben: Vielleicht ist sie die Ewige? Der Lebensatem? Für mich sicher nicht "mein Vater" aber vielleicht für jemand anderen?

"Gott*", schreibt zur Zeit die Katholische Jugend - weil Gott für sie ganz sicher nicht männlich ist, sondern mehr.

1000 Namen können wir Gott geben, sie werden das Mehr nicht fassen. Sie fassen das Trotzdem nicht, das Immer Wieder und auch das Morgenrot nicht. Gott stellt mich auf weiten Raum. Beflügelt, geerdet und geschenkt.

So wie Gott selbst ist. Glaube ich zumindest.