Dass eine Doktorarbeit zum zweiten Mal aufgelegt wird, ist ungewöhnlich. Allerdings passt es auch zum wissenschaftlichen Auftrag, dem sich das Nürnberger Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände verpflichtet fühlt, wenn sich dessen Historiker der 1976 vorgelegten Habilitationsschrift des mittlerweile ehemaligen Direktor des Bayerischen Staatsarchivs Bamberg, Rainer Hambrecht, vornehmen: „Die Braune Bastion“ ist das kürzlich erschienene Werk betitelt, das sich mit dem Aufstieg der NSDAP in Mittel- und Oberfranken in den Jahren zwischen 1922 und 1933 befasst. Nach wie vor aktuell, und im Jahr des Reformationsjubiläums umso interessanter sind in der mit zahlreichen neuen Abbildungen erweiterten Schrift die Schlüsse Hambrechts, wieso die Nazis es gerade in protestantischen Gebieten leicht hatten, die Massen mitzuziehen.

Zahlen sprechen eine klare Sprache: In Franken feierte die NSDAP bereits zu einem Zeitpunkt Wahlerfolge, als sie auf Reichsebene noch kaum Anhänger besaß. Mit einem Stimmenanteil lag Hitlers Partei in Franken beispielsweise von 8,1 Prozent bei der Reichstagswahl von 1928, und damit einsam an der Spitze aller Wahlkreise im Deutschen Reich. Grund genug für den selbst ernannten Führer, die ehemalige Stadt der Reichsparteitage als Brücke zwischen München, wo die NS-Bewegung ihren Anfang genommen hatte, zur deutschen Hauptstadt Berlin zu stärken. „Franken und insbesondere Nürnberg haben sich zum nationalsozialistischen Zentrum des Reiches entwickelt“, sagt Hambrecht mit Blick auf den dritten Reichsparteitages 1927 in Nürnberg. Coburg dagegen war 1929 die erste Stadt im Deutschen Reich mit einer nationalsozialistischen Stadtratsmehrheit.

Nationalprotestantismus

Vor allem in lutherisch geprägten Gebieten habe zu dieser Zeit ein ausgesprochener „Nationalprotestantismus“ sowohl unter den Bauern als auch unter den Bürgern geherrscht, die mehrheitlich in Franken lebten. Befeuert worden sei dieses völkische Gedanken auch von der evangelischen Pfarrerschaft, die durch die landeskirchliche Tradition monarchisch und republikfeindlich gesinnt war. Im Gegensatz zu den katholischen Pfarrern seien Kirchenbesuche von Nationalsozialisten mit Fahnen und Uniformen gerne gesehen gewesen. Der evangelische Geistliche Julius Leutheuser hatte 1925 in Marktredwitz Vorträge zum Thema „Christus, die Erfüllung germanischer Lichtsehnsucht“ abgehalten, in Ansbach schmückte bereits 1925 Pfarrer Max Sauerteig das Pfarrhaus mit einer Hakenkreuzfahne, einen Gesinnungsgenossen hatte er im Nürnberger Pfarrer Martin Weigel. Rainer Hambrecht zählt viele solcher Beispiele in seiner Dissertation auf. Gerade Protestanten hätten zu dieser Zeit der Vision einer Einheit von Deutschtum und Christentum nachgeeifert, in der sich die Hoffnung auf eine Rechristianisierung zeigte und an deren Ende die kulturell-sittliche Wiedergeburt der Nation stehen sollte.

Idelle Vorläufer der NSDAP

Einen weiteren Beleg für den gerade im Protestantismus fruchtbaren Nährboden für nationalsozialistisches Gedankengut sieht Hambrecht in politischen Parteien der Weimarer Politik, die quasi als ideelle Vorläufer der NSDAP gelten können. Darunter der Christlich-Soziale Volksdienst, eine protestantisch-konservative Partei, die antisemitisch durchdrungen war und bei der Reichstagswahl 1930 auch als „Evangelischer Volksdienst“ auftrat. Viele Geistliche hätten zudem offen ihre Nähe zur Deutschnationalen Volkspartei bekundet, die zwischen 1918 und 1933 ihrem Namen gemäß nationalkonservativ auftrat und unter ihren Wählern vor allem Intellektuelle, Beamte, Bauern sowie Teile der nicht von der politischen Linken oder der katholischen Zentrums-Partei beeinflussten Arbeiterschaft versammelte.

Was die Frage, wieso sich der Aufstieg der Nazis vorwiegend in Ober- und Mittelfranken abspielte, schon teils beantwortet: „Unterfranken war vorwiegend katholisch. Die Katholiken hatten ihren Papst, und damit keinen Bedarf an einer weiteren Führer-Persönlichkeit“, so Hambrecht. In den Anfangsjahren der NSDAP wehrten sich die katholischen Geistlichen somit noch erfolgreich gegen die ohnehin antirömische Ausrichtung der Partei. So verbot das Ordinariat Bamberg generell Festgottesdienste für Nationalsozialisten und untersagte das Tragen von Parteiuniformen bei Messen. Noch bis 1932 mussten in katholischen Gegenden Veranstaltungen der NSDAP abgesagt werden, da entweder keine Besucher kamen oder Wirte ihre Säle verweigerten. Katholische Burschenvereine erklärten eine Doppelmitgliedschaft bei ihnen und der NSDAP für unvereinbar.

Jedoch: Mit der folgenden Machtergreifung Adolf Hitlers vom 30. Januar 1933, als er durch Reichspräsident Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt wurde und die Gleichschaltung aller weltlichen wie christlichen Institutionen begann, verebbte auch der Widerstand auf katholischer Seite.

Stuttgarter Schuldbekenntnis

Noch als Deutschland in Trümmern lag, begann auf protestantischer Seite der Prozess der Vergangenheitsbewältigung: Im sogenannten Stuttgarter Schuldbekenntnis erklärten am 19. Oktober 1945 die EKD-Ratsmitglieder Hans Christian Asmussen, Otto Dibelius sowie Martin Niemöller das Versagen der evangelischen Kirchenleitungen während der Zeit des Nationalsozialismus.

Darin steht: „Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, daß wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“ Nach der Lektüre von Rainer Hambrechts Werk mag der „Kampf gegen den Geist“ unglaubwürdig klingen. Aber immerhin schufen die Unterzeichner damit einen Neuanfang der evangelischen Kirche in Deutschland.