Robert Geisendörfer (1910-1976) prägte die evangelische Publizistik wie kein anderer. Der bayerische Pfarrer erkannte als einer der ersten, dass christlicher Journalismus Unabhängigkeit braucht, um von säkularen Medien und der Öffentlichkeit ernst genommen zu werden und ein loyal-kritisches Gegenüber zur Kirche sein zu können.

Über den kirchlichen und über den bayerischen Tellerrand hinaus trat Geisendörfer Zeit seines Lebens für publizistische Freiheit ein. Der Theologe gilt daher als Begründer der kirchlichen Publizistik und legt die Grundsteine für das, was der Evangelische Presseverband für Bayern e.V. (EPV) heute ist: das zentrale evangelische Medienhaus in Bayern. Als solches setzt der EPV seit jeher Maßstäbe: mit seinen Abteilungen für Funk und Fernsehen (efa/efs), der Nachrichtenagentur epd und der Wochenzeitung Sonntagsblatt, mit dem Claudius Verlag und mit seinen Profis für Internet (Vernetzte Kirche), Crossmedia (cme) und Medienarbeit (ema).

Doch wer war dieser Mann? Wie sah sein Leben aus? Und wo finden sich die Spuren seiner Arbeit in der modernen Publizistik?
 

 

Robert Geisendörfer - Biografie

Robert Geisendörfer kommt am 1. September 1910 in Würzburg zur Welt. Von 1930 bis 1937 studiert er in Tübingen und Erlangen Theologie, ab 1935 besucht er das Predigerseminar in Nürnberg.

Zehn Jahre, von 1937 bis 1947, ist der gebürtige Unterfranke Geisendörfer auf seiner ersten Amtsstelle Stadtvikar in Rosenheim mit Dienstsitz in Brannenburg am Inn. Sein Wirkungsbereich reicht von Prien bis Innsbruck, er lernt die schwierige Arbeit eines Pfarrers in der Diaspora kennen. Die Seelsorge-Besuche bei den wenigen evangelischen Christen in abgelegenen Bergdörfern und der ländlichen Gegend sind zeitaufwendig und beschwerlich. Weil es noch kaum evangelische Kirchen gibt, hält Geisendörfer die Gottesdienste oft in Schulen und Gasthäusern ab. In den Kriegsjahren hat Geisendörfer zu seinem ohnehin beschwerlichen Gemeindedienst noch die Lazarette in Brannenburg, Kufstein, Wörgl, Kitzbühel und St. Johann (Tirol) zu betreuen.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs kümmert sich Geisendörfer vor allem um Geflüchtete. Evakuierte Evangelische aus den Großstädten oder evangelische Flüchtlinge lassen die Gemeinden stark wachsen und fordern von Geisendörfer noch mehr Einsatz – oft bis tief in die Nacht. Bei seiner seelsorgerlichen Arbeit steht ihm die evangelische Lehrerin Ingeborg Schaudig aus Rosenheim zur Seite. 1940 heiraten die beiden, ein Jahr später kommt Tochter Ursula auf die Welt.

Geisendörfer publiziert in dieser Zeit seinen Gemeindebrief. Nach dem Verbot der Kirchenpresse 1941 sind diese die einzige kirchliche Publikation der Evangelischen in der Region. In einer Ausgabe vom 4. Advent 1943 stellt Geisendörfer ohne Bezug zur NS-Ideologie oder nationales Pathos dem Schrecken der Kriegszeit die christliche Weihnachtshoffnung gegenüber.

Evangelischer Presseverband in München

Der Ruf in den Evangelischen Presseverband nach München trifft den Brannenburger Pfarrer Geisendörfer aus heiterem Himmel. Als Geschäftsführer steht er ab dem 1. April 1947 an der Spitze eines noch sehr überschaubaren Unternehmens: Der Presseverband zählt zu dieser Zeit ganze fünf Mitarbeiter und ist in einem Raum in der von der Kirche angekauften ehemaligen Villa der Zirkusdirektorin Renz in der Himmelreichstraße 4 nahe des Englischen Gartens untergebracht. Geisendörfers Vorgänger im EPV, Gerhard Hildmann, notiert: "Bei starkem Regen stehen die Schreibtische unter Wasser".

Geisendörfer geht zielstrebig ans Werk: Der Presseverband breitet sich räumlich aus und umfasst bereits nach vier Jahren die Wochenzeitung "Sonntagsblatt", die Nachrichtenagentur epd-Bayern, Abteilungen für Rundfunk, Film und Bild, einen Buchverlag und eine kleine Druckerei mit Setzerei – in der Garage des Anwesens. In dieser medialen Pionierphase spannt Geisendörfer auch Frau und Tochter für verlegerische Hilfsdienste wie Adressierung und Versand mit ein. Nach dem Umzug in die Waltherstraße dienen der Familie die ehemaligen Verlagsräume als Wohnung.

Gegen viele Widerstände eröffnet Robert Geisendörfer immer neue Verbreitungswege für die kirchliche Medienarbeit. Er profiliert den Evangelischen Presseverband zum zentralen christlichen Medienhaus. Außerdem fasst er als Gründungsdirektor des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP) die publizistischen Aktivitäten auf Ebene der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) unter einem Dach zusammen. Er sichert ihr Sendeplätze im damals noch neuen Medium Fernsehen und gibt ihr Gewicht in den Sendern und Rundfunkanstalten.

Gründung des Evangelischen Filmbeobachters

Gemeinsam mit dem EKD-Filmpfarrer Werner Hess gründet Robert Geisendörfer 1948 den "Evangelischen Filmbeobachter", der mit dem Impressum des bayerischen Presseverbands erschien. Das Magazin erweist sich bald als wichtiges Instrument der kirchlichen Filmarbeit mit erheblicher Breitenwirkung. Pfarrer und Pädagogen nutzten die Filmkritiken als Basis für ihre Filmdiskussionen oder hängten sie in Schaukästen aus. Zum wirtschaftlichen Erfolg des Filmbeobachters trägt auch das von den Verleihfirmen praktizierte Prinzip der "Blind und Blockbuchung" bei: Kinobesitzer können einen interessanten Streifen als Hauptfilm nur zusammen mit anderen Filmen vorführen, die sie jedoch noch nie gesehen haben. Die nötigen Informationen über diese Begleitfilme liefert ihnen der "Filmbeobachter".

Basis für Geisendörfers medialen Aktivitäten, die weit über Deutschland hinausreichen, ist für den fränkischen Lutheraner eine glasklare theologische Verortung: Wie die Kirche insgesamt soll die evangelische Publizistik

"Fürsprache üben, Barmherzigkeit vermitteln und Stimme leihen für die Sprachlosen".

Geisendörfer will internationale evangelische Kirche

Geisendörfer ist spätestens seit seinem Studienaufenthalt in den USA 1949 davon überzeugt, dass nationale und internationale Publizistik zusammengehören: "Eine christliche Publizistik, die sich nicht auch international einmischt, verfällt in die Provinzialität und verharrt im Ghetto", so Geisendörfer. Daher unterstützt er die internationale und ökumenische Zusammenarbeit, reist zu Treffen und Tagungen weltweit und wird in zahlreichen Gruppen und Initiativen selbst aktiv.

Gemeinsam mit Leonore von Tucher, die Geisendörfer ab 1952 als Geschäftsführerin im EPV zur Seite steht, geht es stetig bergauf. Die Nachrichtenagentur epd bekommt in Bayern flächendeckend Bezirksredaktionen, das Sonntagsblatt erreicht eine Verkaufsauflage von 140.000 Exemplaren. Zeitweise gibt der Presseverband 20 verschiedene Zeitschriften heraus.

Ein neuer Verlag, die Lucas-Cranach-GmbH, wird gegründet und fusioniert 1964 mit dem Claudius-Verlag. Wirtschaftliches Rückgrat des Verbands ist das Evangelische Gesangbuch: Allein im Jahr 1959 werden 218.000 Exemplare verkauft. Diese Erlöse ermöglichen es dem EPV, 1960 in ein modernes Verlagsgebäude in der Birkerstraße zu ziehen. Es ist bis heute der Sitz des Medienzentrums.

Evangelischer Presseverband wird zentrales Medienhaus

Als Robert Geisendörfer den Stab im Presseverband 1967 an seinen Nachfolger Richard Kolb (1967 – 1979) übergibt, hat der Presseverband über 100 Mitarbeiter. Am 26. Februar 1976 stirbt der bayerische Pfarrer in Frankfurt am Main nach einer Dienstreise.

Seine Mitarbeiter und Nachfolger, die EPV-Direktoren Paul Rieger (1980 – 1993), Hartmut Joisten (1994 – 2009) und Dr. Roland Gertz (seit August 2009) führen Geisendörfers Werk fort und erneuern den EPV stetig weiter. Heute umfasst das zentrale evangelische Medienhaus in Bayern nicht nur den Evangelischen Pressedienst (epd), die Wochenzeitung Sonntagsblatt und den Claudius Verlag, sondern auch die Evangelische Funk-Agentur (efa), das Evangelische Fernsehen (efs), die Evangelische Medienagentur (ema) sowie die Abteilungen Crossmedia / Periodika (cme) und Vernetzte Kirche.

Würdigung von Robert Geisendörfer

Zum 100. Geburtstag von Robert Geisendörfer im Jahr 2010, den der Medienschaffende nicht mehr selbst erlebte, organisierte der Evangelische Presseverband eine große Ausstellung mit Empfang. Zu Gast waren unter anderem Robert Geisendörfers Tochter Dr. Ursula Böning und viele langjährige Kollegen, Freunde und Wegbegleiter des Medienpioniers. Sie berichten über ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit dem großen Theologen und Publizisten.

Christoph Lindenmeyer

Professor Lindenmeyer, EPV-Verwaltungsratsvorsitzender

"Geisendörfer war oft bei uns zu Hause. Ich erinnere mich an einen Mann, eine imposante, imponierende Persönlichkeit. Groß, so erschien er mir damals, tiefe blaue Augenringe, lachend, ein eleganter Wagen – es war ein Opel Kapitän – dunkelgrau, schönes Fahrzeug, und einen Lebensstil verkörpernd, der nicht unbedingt der Tradition eines evangelischen Pfarrhauses entsprochen hätte."

"Geisendörfer war Folgendes klar: Bei der Demokratisierung Deutschlands ist es notwendig, dass die Kirche mitredet und dass die Kirche die Partei für die Schwachen, die Stimmlosen übernimmt. Dass sie eine wichtige öffentliche Funktion hat – nicht aus eigenem Interesse, sondern im Sinne eines stellvertretenden Engagements."

Dr. Ursula Böning, Tochter von Robert Geisendörfer

"Geisendörfer hatte von Medien relativ wenig Ahnung, das sagte er selbst immer wieder. Er hat sich aber sehr schnell hineingekniet und diese Mischung aus Souveränität, aus List, aus der Fähigkeit andere zu überzeugen, aber auch die Fähigkeit Organisieren, Managen zu können, dies alles zusammen hat eine unvergleichliche Position möglich gemacht."

"Mein Vater hat ein besonderes Gespür gehabt für Menschen, um sie für eine bestimmte Arbeit zu gewinnen. Er hat versucht, Menschen zu begeistern für die Sache, die ihm wichtig war. Und das muss er wohl sehr gut gekonnt haben."

BR-Journalist und Geisendörfer-Mitarbeiter Gerhard Bogner

"Geisendörfer hat begriffen, wie die Sache läuft: Am Sonntag waren dpa und andere Nachrichtenagenturen am dünnsten besäht. Da ging er nach dem Gottesdienst, den er oft selber gehalten hatte, in den Bayerischen Rundfunk in die Nachrichtenabteilung und hat gesagt: "Grüß Gott. Brauchen’s gute Nachrichten?" Und zog aus der Jackentasche Texte von epd, sodass er am Sonntag auf Sendung war. Auf solche trickreiche, verschmitzte Weise hat er seine Sache vorangetrieben."