Der seit Jahren bestehende Fachkräftemangel hat sich durch die Corona-Jahre weiter verschärft. Die Azubi-Zahlen gehen zurück, das weitgehend florierende Handwerk sucht dringend Nachwuchs. Der gesellschaftlich geforderte, beschleunigte Wohnungsbau oder die Energiewende mit Photovoltaikanlagen, Windrädern und Wärmepumpen ist ohne sie nicht zu stemmen. Aber auch in vielen anderen Bereichen fehlen Arbeitskräfte. In Nürnberg beispielsweise bleiben Hotelzimmer leer, weil das Personal fehlt. Am Flughafen Nürnberg werden Flüge gestrichen, weil es zu wenig Mitarbeiter gibt.

Jährliche Zuwanderung von bis zu 500.000 Arbeitskräften nötig

Zum Thema "Deutschland im demografischen Dilemma - woher sollen die Arbeitskräfte kommen?" hatte am Montagabend erstmals seit Pandemiebeginn das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), die Denkfabrik der Bundesagentur für Arbeit (BA), wieder zu ihren Nürnberger Gesprächen geladen. Weil die geburtenstarken Jahrgänge immer näher an ihren jeweiligen Ruhestand rücken, wäre zum Schließen der demografischen Lücke eine jährliche Zuwanderung von 400.000 bis 500.000 Arbeitskräften notwendig.

Bislang hätten Menschen aus osteuropäischen EU-Ländern den Löwenanteil des Bedarfs gedeckt, betonte der Berliner Migrationsforscher Herbert Brücker, Direktor des Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung. Demnach machten Geflüchtete nur 20 bis 25 Prozent aus. Mittlerweile kämen aber nur noch wenige Osteuropäer hierher zum Arbeiten.

Fachkräftemangel – hier gibt es ungenutzte Potenziale

Bei Nicht-EU-Bürgern laufe vor allem die Anerkennung beruflicher Abschlüsse als Kriterium für eine Einwanderung schief, sagte Brücker. Weil die Bildungsunterschiede zwischen Deutschland und den Herkunftsländern so unterschiedlich seien, plädierte er für mehr Pragmatismus. Berufs- oder Studienjahre sollten bei entsprechender Dauer einer deutschen Qualifikation gleichgestellt werden.

Die Aufsichtsrätin und Siemens-Ex-Vorstandsfrau Janina Kugel monierte, dass Deutschland "seit Jahrzehnten hinnimmt", dass rund 50.000 Schüler pro Jahr ohne Abschluss von der Schule gingen. Auch die Geflüchteten, die seit 2015 gekommen sind, würde trotz ungeklärtem Aufenthaltsstatus "gern arbeiten".

Kugel klagte auch über Arbeitgeber, die sich nicht genug um Mitarbeiter und Bewerber kümmerten. Bessere Arbeitsprozesse in der Fertigung minimierten körperliche Schäden bei Mitarbeitern bis hin zur Behinderung. Ihrer Erfahrung nach zeigen Unternehmer erst dann Flexibilität, wenn der Notstand schon groß ist.

"Es wird nicht wieder wie vor der Pandemie"

In eine ähnliche Kerbe schlug Leonie Gebers, Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Manche Branchen seien durch Schichtarbeit, schwere körperliche Arbeit und Geld knapp über dem Mindestlohn gekennzeichnet. Hier müssten die Betriebe ihre Arbeitsbedingungen ändern, um abgewandertes Personal zurückzuholen: "Es wird nicht wieder wie vor der Pandemie."

Weiteres Potenzial an Arbeitskräften sah das Podium in der Beschäftigung von Frauen, Älteren, behinderten Menschen sowie Langzeitarbeitsloser. Gerbers räumte ein, dass viele Prozesse noch zu bürokratisch und zu wenig digital seien. Das gelte für die Berufsanerkennung oder Anträge für Arbeitsvisa. Bei Ausländern müsste auch an Partner und Kinder des Bewerbers inklusive Wohnung und Schule ganzheitlich gedacht werden. "Hier stehen wir noch am Anfang."