"Im Freien ist er gar nicht so groß, und ins Wohnzimmer passt er dann kaum rein", sagt Thomas Reichel, hält die etwa zwei Meter hohe Nordmann-Tanne mit gestrecktem Arm von sich weg und schaut an ihr nach oben. Auf der anderen Hofseite - 20 Meter entfernt - tut seine Frau gerade das gleiche und ruft ihn zu sich her: "Thomas!" "Frauen", stöhnt Reichel mit gespieltem Ärger, aber er stapft durch den Schnee zu ihr hin.

30 Jahre Erfahrung mit den Bäumen

In den Tagen vor Weihnachten spielen sich auf dem Hof der Familie Schmidt im 20-Einwohner-Ort Reuth (Nürnberger Land) manchmal recht lustige Szenen ab. Vorhin hat eine junge Frau mit kupferrotem Haar die Stimme erhoben und ihrer Schwiegermutter mit einem lauten, knappen "Nein" geantwortet. "Nein, dieser Baum ist nicht besser als der, den ich gerade gefunden habe", sollte das heißen. Schwiegermutter Annemarie hatte aber bereits eine dritte geeignete Tanne entdeckt.

"Meine Bäume dürfen einen Makel haben",

erklärt sie und lässt sich das Exemplar in ein Transportnetz wickeln.

Für Altbauer Helmut Schmidt kommt es beim Weihnachtsbaum auch nicht auf Perfektionismus an. "Ich nehme den, der übrig bleibt", gibt er zu. Jeder Baum sei schön, "das ist doch wie bei uns Menschen", sagt der 81-Jährige. In gelber Metzgerschürze, mit einem Filzhut auf dem Kopf hilft er an diesem Nachmittag seinem Enkel Sebastian beim Verkauf und kennt so gut wie jeden Kunden.

Schmidt hat vor etwa drei Jahrzehnten den Christbaumanbau und Verkauf als zusätzliches Standbein für seinen Milchviehbetrieb am mittelfränkischen Moritzberg begonnen. Die einzige Werbung: Mundpropaganda. Nicht mehr als 200 bis 300 Bäume verkaufen die Schmidts in der Adventszeit. Das ist ein Promille-Anteil von den rund vier Millionen Christbäumen, die in Bayern jährlich erworben werden. Nach Angaben des bayerischen Landwirtschaftsministeriums kommen davon 80 Prozent aus Anbauten im Freistaat.

 
Ein Mann hält eine im Schneestehende Tanne am Stamm fest. Links nebem dem Baum stehen zwei Frauen.
Thomas Reichel mit Nordmann-Tanne
Ein Weihnachtsbaum liegt in einem sogenannten Netztrichter und wird eingepackt. Der Trichter steht im Schnee und ist hellgrün.
Weihnachtsbaum im Netztrichter
Ein alter Mann mit grünem Hut und hellgrünem Pullover schaut in die Kamera. Er trägt eine gelbe Schürze. Hinter sieht man im schneebedeckten Hof mehrere Christbäume.
Helmut Schmidt
Eine Frau mit grünen Gummistiefeln und schwarzer Hose und Jacke greift einen schneebedeckten Weihnachtsbaum. Er lehnt neben anderen Christbäumen an einer hellgrünen Hauswand. Links ist ein Fenster.
Schneebedeckte Christbäume
Blick durch den grünen Netztrichter, mit dem Christbäume eingepackt werden. Am Ende des Trichters sieht man einen Mann mit Mütze, der sich zu einem eingepackten Baum bückt.
Weihnachtsbaumpackstation

Christbäume aus der Region

Aber nur wenige von diesen Weihnachtsbäumen haben bis zu ihrem geschmückten Auftritt als Christbaum so kurze Transportwege hinter sich wie die aus Reuth. Von der Kultur, in der auch am letzten Adventssonntag noch Bäume frisch geschnitten werden, bis zu Schmidts Betrieb sind es vielleicht 500 Meter. Die Kundinnen und Kunden fahren in ihren Autos die Bäume in Wohnorte in einem Umkreis von höchstens 30 Kilometern.

Die erfahrene Christbaumkäuferin erkennt man am Zollstock: Die Mittfünfzigerin Marion hat einen solchen in der Tasche des Wintermantels. Der Durchmesser des Baums darf 1,20 Meter nicht überschreiten, erzählt sie, sonst passt er nicht in die Wohnzimmerecke. Unentschlossen läuft sie die Reihe der Bäume ab, die im Innenhof Seite an Seite stehen. Jungbauer Sebastian Schmidt amüsiert sich über ihr Hin und Her, macht ein paar freundliche Scherze. Der obere Teil sei vielleicht doch zu "nackert", zaudert Marion weiter. "Dann nehm' ich ihn", ruft da plötzlich eine Bekannte und schnappt sich den Baum.

Der Weihnachtsbaum gehört zum Fest

"Manche suchen eine dicke grüne Wuchtbrumme, andere stören sich nicht an einem Baum mit zwei Spitzen",

erzählt die Chefin des Betriebs, Beate Schmidt. Die gebürtige Berlinerin, die es über Niedersachsen vor einem Vierteljahrhundert in die mittelfränkische Pampa verschlagen hat, ist selbst ein absoluter Weihnachtsfan. Seit Wochen ist ihr Haus bereits weihnachtlich dekoriert, für ihre Freundinnen hat sie neun Adventskränze gebunden, berichtet sie.

In diesem Jahr werde sie ihren Christbaum in den Farben Grün, Schwarz und Gold dekorieren - mit richtigen Kerzen, sagt sie, "das gehört für mich seit meiner Kindheit dazu".

Es muss nicht immer eine Nordmanntanne sein

Und eine echte Tanne muss es bei ihr sein. Der Christbaumverkauf Schmidt hat inzwischen aber auch andere Sorten im Angebot. Die Schwarzkiefer finde immer mehr Anhänger, erzählt Beate, und die Colorado-Tanne, die einen feinen Duft nach Orangen verströme. Sie wiederum träumt von einem ganz besonderen Christbaum: Einmal möchte sie bei der Zeremonie dabei sein, wenn in New York am Rockefeller Tree die Lichter entzündet werden. Da will sie trotz Christbaumsaison zuhause hinfahren:

"Die können mich hier schon vertreten".