Seit der Demonstration am 27. April in Hamburg lese und höre ich viele Reaktionen und bin sehr besorgt, habe Angst. Zu der Demo, wer sie veranstaltet hat, was genau gesagt wurde et cetera kann und will ich nichts sagen. Dazu fehlt mir schlicht der Einblick in ein vielschichtiges und dynamisches Themenfeld. 

Aber ich möchte meine Sorge und mein Mitgefühl darüber zum Ausdruck bringen, dass in der ganzen Auseinandersetzung maximal im Nebensatz erwähnt wird, dass diese Demonstration eben nicht für Muslime generell steht. Ich höre die Diskussionen und frage mich, wie viel Rassismus sie letztlich nähren.

Ich möchte damit nicht sagen, dass Forderungen nach einem Kalifat in Ordnung wären, ignoriert oder gar geschützt werden sollten. Aber ich befürchte, dass diese Art des medialen und politischen Diskurs ganz schnell zu vermehrtem Rassismus und antimuslimischer Gewalt führen wird. Denn: Es wird nicht sauber differenziert. Es wird zwar angemerkt, dass man das eigentlich muss, aber sofort werden Politiker zitiert, die dafür plädieren, Menschen ein One-Way-Ticket nach beispielsweise Afghanistan zu geben.

Überspitzt und bewusst herausfordernd frage ich mich da: Wohin geht das One-Way-Ticket für Nazis?

Wäre ich Muslima, hätte ich ein flaues Gefühl

Ich sage nicht "Lasst uns ein Kalifat errichten!". Ich sage auch nicht, dass derartige Forderungen toleriert werden sollen. Aber ich sage: Lasst uns keine Atmosphäre anheizen, die unreflektierte, im Regelfall völlig unbegründete Vorurteile bis hin zu Feindbildern gegenüber Menschen mit muslimischen Glauben nähren.

Ich bin mir sicher: Wäre ich eine für andere erkennbare Muslima, ich hätte nach dieser Woche der Äußerungen und Diskussionen mindestens ein flaues Gefühl im Magen, wenn ich mit Unbekannten sprechen würde. Ich hätte ein flaues Gefühl, weil ich mich immer fragen würde, was der andere nach dieser Woche der Berichterstattung über mich denkt. Einfach nur, weil ich für den anderen sichtbar Muslima bin.

So würde es mir gehen. Ich weiß nicht, wie es den verschiedenen Menschen muslimischen Glaubens gerade geht. Ich weiß es nicht. 

Aber weil ich weiß, dass ich Angst vor pauschaler und ungerechtfertigter Vorverurteilung hätte, schaue ich mir die Medien an und habe Angst. 

Was macht das mit uns als Gesellschaft? Bekommt das einer Gesellschaft, in der über den Islamismus diskutiert wird, anstatt gemeinsam mit Muslim:innen zu sprechen?  

Räume für bereichernden Austausch

Wann bekommt der Islam in unserer Medienlandschaft wertschätzende und anerkennende Aufmerksamkeit? Braucht es das nicht genauso für eine differenzierte Betrachtung? Braucht es nicht viel mehr Integrierendes, damit wir gemeinsam als vielschichtige, vielseitige und starke Gesellschaft mit Herausforderungen umgehen können? Ich finde ja und fürchte aber: Die nach meiner Wahrnehmung sehr eindimensionale Reaktion auf besagte Demo verstärkt Vorurteile und Ausgrenzung, anstatt Räume für bereichernden Austausch zu schaffen.

Und deswegen ist es mir ein großes Anliegen, dass wir uns begegnen, ohne in vorschnelle Vorurteile abzurutschen. Das können wir uns alle vornehmen und aktiv leben. Und ich finde wir sind uns das als Gesellschaft auch schuldig. Denn:

"An uns liegt es, daraus [der Erde; eingefügt] einen Planeten zu machen, dessen Geschöpfe nicht von Kriegen gepeinigt werden, nicht von Hunger und Furcht gequält, nicht zerrissen in sinnlose Trennung nach Rasse, Hautfarbe oder Weltanschauung." (Gebet der Vereinten Nationen)

 

Text: Alena Weigand

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