Der Muttertag in der heutigen Form ist nach Überzeugung von Professorin Barbara Thiessen kommerzialisiert und geschlechtlich stereotypisiert. Noch immer leisteten die Frauen den Großteil der Care-Arbeit; dass Männer und Kinder sich von der Hausarbeit überwiegend fernhielten, werde nicht weiter thematisiert, sagte die Professorin für Soziale Arbeit und Gender Studies an der Hochschule Landshut in einem Gespräch mit dem Sonntagsblatt zum Muttertag (8. Mai).

Frauen brauchen keine Blumen oder reaktionäre Sprüche

Frauen bräuchten weder Blumen noch Rabattgutscheine für Haushaltsgeräte oder reaktionäre Sprüche, die auf die vermeintliche Selbstlosigkeit und Bedürfnislosigkeit der Mütter abzielten, sagte Thiessen. Zum Vergleich: Der Vatertag werde nicht in kleiner Runde begangen wie der Muttertag. Es gehe auch nicht um aktive Vaterschaft, sondern um ein Event unter Männern. Thiessen betonte aber auch, dass man Geschenke von Kindern für ihre Mütter bei der Diskussion nicht entwerten dürfe.

Thiessen kritisierte zudem Kitas und Grundschulen, an denen zum Muttertag entlang bekannter Stereotype gebastelt und gemalt werde. Damit würden Geschlechtermuster der 1950er Jahren transportiert, ohne auf die jeweilige Familiensituation der Kinder einzugehen. Denn es gebe alleinerziehende Väter oder Familien, in denen in erster Linie die Väter die Kinderbetreuung übernehmen. "Bastelorgien" zum Vatertag dagegen gebe es eher nicht, sagte Thiessen. Der Fokus auf den Muttertag werde dem nicht gerecht.

Muttersein wurde im 19. Jahrhundert politisiert

Thiessen verwies auch auf die historischen Wurzeln des Muttertages. Die bürgerliche Frauenbewegung habe Muttersein in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts politisiert. In den USA sei erstmals der Muttertag 1908 gefeiert worden. Seit 1914 ist er dort offizieller Feiertag. Die Frauen wollten auf gesundheitliche Missstände in Arbeiterfamilien hinweisen und vertraten pazifistische Anliegen.

In Deutschland wurde der Muttertag 1934 unter den Nationalsozialisten eingeführt, 1938 wurden erstmals Mutterkreuze verliehen. Da werde deutlich, dass der Muttertag von reaktionär-faschistischer Seite vereinnahmt worden sei, sagte Thiessen:

"Die Interessen der Mütter standen nicht mehr im Vordergrund."

Nach dem Krieg sei der Muttertag immer mehr kommerzialisiert worden. 1987 sei mit der Veröffentlichung des Müttermanifests, das von Feministinnen aus dem Umfeld der Grünen initiiert wurde, wieder Empowerment und Solidarität unter Müttern propagiert worden.

Mutterbild muss sich ändern

Prinzipiell plädiert Thiessen für einen "Pride Care Day" anstelle des Mutter- und Vatertages, an dem die Care-Arbeit - etwa für Kinder und pflegebedürftige Angehörige - im Mittelpunkt steht. Politisches Anliegen wäre, Care-Aufgaben vom Vereinbarkeitsproblem Einzelner zum Normalfall für alle im Lebenslauf zu machen. Von 45 Rentenbeitragsjahren könnten daher auch sieben für Care-Arbeit angerechnet werden.

Außerdem sei es ihr wichtig, dass über ein verändertes Mutterbild nachgedacht werde, mahnte Thiessen. Kein Mensch könne gleichzeitig die perfekte Mutter, Ehefrau und Hausfrau und dabei noch sexy und gutgelaunt sein.

"Wenn das die Ansprüche an Mutterschaft sind, dann finde ich das problematisch."