Die Ehe ist keine neutrale Institution. Sie ist tief verwoben mit patriarchaler Geschichte: ein Bündnis, das weniger mit Liebe als mit Besitz zu tun hatte.

Wer heiratete, regelte Erbfolgen, garantierte Abstammung, kontrollierte Sexualität. Frauen galten lange als Teil des übertragenen Eigentums – vom Vater zum Ehemann. Dass sich das heute anders anfühlt, ist kein Beweis für den Fortschritt der Ehe. Eher für die Anpassungsfähigkeit des Systems.

Romantisierung kam später. Erst im 19. Jahrhundert wurde Liebe überhaupt zu einem akzeptierten Heiratsgrund.

Heute ist sie vermeintlich Privatsache – und in Wahrheit immer noch hochpolitisch. Denn Ehe bedeutet nach wie vor staatliche Anerkennung, steuerliche Vorteile, soziale Akzeptanz. Wer heiratet, wird belohnt.

Verheiratet, trotz allem

Das alles ist mir bewusst. Und trotzdem: Ich bin verheiratet.

Nicht, weil ich die institutionelle Ehe verteidigen will. Auch maße ich mir nicht an zu glauben, ich könnte die jahrhundertealte Tradition alleine durch meine Willenskraft besser machen.

Sondern, weil ich das Commitment schätze. Eine bewusste Entscheidung füreinander, jenseits von Optimierungslogik und Selbstverwirklichungsmanie.

Es geht mir nicht um Besitz, sondern um Bindung. Um das Versprechen, auch dann zu bleiben, wenn es unbequem wird. Vielleicht ist genau das subversiv in einer Gesellschaft, in der alles immer offen und alles immer möglichst individuell sein soll.

Dennoch ist mir natürlich bewusst, dass meine Ehe das Patriarchat nicht herausfordert. Auch nicht dann, wenn sie gleichberechtigt geführt wird, soweit das geht.

Das System Ehe bleibt ein Teil eines größeren Gefüges. Es ist eine Illusion zu glauben, man könne mit individuellen Lebensentscheidungen strukturelle Machtverhältnisse auflösen. Wer im Spätkapitalismus lebt, lebt in einem Netz aus Hierarchien und finanziellen Abhängigkeiten – auch die Liebe ist nicht frei davon.

Nicht nur irgendein Mensch

Und doch: Inmitten all der Widersprüche, der Zweifel, der strukturellen Schieflagen – war da etwas, das blieb. Eine Gewissheit, die nicht laut war, sondern leise. Eine Art inneres Wissen, dass dieser Mensch nicht nur irgendein Mensch ist. Sondern mein Mensch – im Sinne von Zugehörigkeit, nicht Besitz.

Nicht perfekt, nicht makellos, aber echt. Einer, bei dem ich nicht performen muss. Bei dem ich nicht stärker, klüger, souveräner wirken muss, als ich bin. Sondern bei dem ich weich sein kann. Unentschlossen. Überfordert. 

Liebe, nicht nur als kurze Gefühlsexplosion, sondern als Zuhause. Als ein Ort, an den ich zurückkehre – und bleibe. Nicht aus gesellschaftlichem Druck, sondern aus innerer Überzeugung.

Das Richtige im Falschen

"Es gibt kein richtiges Leben im Falschen", lautet ein berühmtes Zitat von Adorno. Das heißt nicht, dass alle Entscheidungen sinnlos oder egal wären. Es heißt: Wir sind immer auch in unsere gesellschaftlichen Umstände verstrickt.

Auch das "nein" zur Ehe bleibt in Bezug auf sie. Auch das "ja" ist kein rein persönlicher Akt.

Verheiratet zu sein heißt für mich nicht, die Institution an sich gutzuheißen. Es heißt: Ich kenne die Geschichte, erkenne, dass sie problematisch und voller Mängel ist – und ich entscheide mich trotzdem dafür. Für einen Menschen. Für eine Form der Verbindlichkeit, die ich nicht für altmodisch halte, sondern für zeitlos.

Vielleicht ist das naiv. Vielleicht ist es aber auch genau das Richtige im Falschen.

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Zwieback am So, 15.06.2025 - 16:47 Link

Die Ehe ist immer immer Zusammenhang der Zeit zu sehen. Für Evangelische ist die Ehe kein Sakrament, wie bei den Katholiken. Dennoch ist sie auch in der säkularen Welt eine Verantwortungsgemeinschaft. Man fühlt sich zugehörig und deshalb auch verantwortlich. Dies zeigt sich im Fest vor dem Standesbeamten. Der besiegelt staatlich die Verantwortung