Zwar ist erst die erste Runde der vorgezogenen Neuwahlen in unserem Nachbarland Frankreich vorbei. Doch schon jetzt steht fest: Präsident Emmanuel Macron hat sich mit seiner Taktik gründlich verkalkuliert. Sein Scheitern steht sinnbildlich für einen gescheiterten Liberalismus, der dem Faschismus Tür und Tor öffnet.
Der französische Präsident hatte die Neuwahlen überraschend angesetzt, nachdem seine Partei bei den Europawahlen am 9. Juni eine herbe Niederlage erlitten hatte. Das rechtsextreme Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen konnte dagegen zulegen.
Falls Macron gedacht hatte, die Neuwahlen würden die französischen Wähler*innen zur Vernunft (nach seiner Lesart also zu ihm) zurückbringen, hat er sich getäuscht. Auch bei der gestrigen ersten Runde der Parlamentswahlen wurde Le Pens Partei mit 34 Prozent stärkste Kraft. Damit hat sich jeder dritte französische Wähler für eine faschistische Partei entschieden.
Macron setzt Demokratie leichtfertig aufs Spiel – nicht nur in Frankreich
Ob Macron sich wirklich verzockt hat oder ob es sogar Teil seiner Taktik ist, die extreme Rechte an der Macht zu sehen, bleibt offen, macht im Ergebnis aber keinen Unterschied. Bisher hat der Präsident Le Pen gerne als Schreckgespenst genutzt, um seine eigene Macht zu sichern, nach dem Motto: Liebe Französ*innen, ich weiß, ihr mögt meine neoliberale Politik nicht, aber verglichen mit den Faschos bin ich doch das kleinere Übel.
Bei den letzten Präsidentschaftswahlen ging diese Strategie gerade noch auf. Jetzt ist sie gescheitert. Schafft es Le Pens Partei in der zweiten Runde der Wahlen in einer Woche, ihre Mehrheit zu bestätigen, wird die RN den Premierminister stellen.
Es ist schwer vorstellbar, dass Macron das Risiko eines Wahlsiegs der RN nicht gesehen hat. Offenbar hat er es eiskalt einkalkuliert, nur auf den eigenen Machterhalt bedacht - und damit die Demokratie aufs Spiel gesetzt. Dieser leichtfertige Umgang der Liberalen mit dem Faschismus ist schockierend, aber leider nicht überraschend. Wie vor 100 Jahren sieht ein bedeutender Teil der selbsternannten bürgerlichen Mitte die eigentliche Gefahr von links. Denn von dort droht Widerstand gegen den fortschreitenden Abbau von Arbeitnehmerrechten und Sozialstaat.
Mit Le Pens Partei hingegen kann Macron letztlich leben, ihre Hetze richtet sich nicht gegen die oberen Zehntausend, sondern gegen Muslime, Menschen arabischer Herkunft, Arme, Homosexuelle, Menschen mit Behinderungen. Macrons Austeritätspolitik gefährdet das nicht, im Gegenteil, sie liefert die passenden Sündenböcke für die sozialen Verwerfungen, die sie verursacht.
Es droht ein böses Erwachen
So taumelt dank Macrons skrupellosem Kalkül mit Frankreich nach Italien bereits das zweite westeuropäische EU-Mitglied in Richtung Faschismus. Es wird ungemütlich in Europa. An künftige Wahlergebnisse der AfD mag man lieber erst gar nicht denken. Durch eine Regierungsübernahme der Rechtsradikalen in Frankreich würden auch Rechtsextreme in Deutschland und anderen europäischen Ländern gestärkt. So gefährdet Macron nicht nur die Demokratie in Frankreich, sondern in ganz Europa.
Und leider gibt es wenig Anzeichen für eine Besserung. Lange Zeit lag der Lebensstandard in den meisten (west-)europäischen Staaten weit über dem Weltdurchschnitt. Das lag an einer globalen Vormachtstellung, die es so nicht mehr gibt und auch nicht mehr geben wird.
Zeiten aber wie die heutige, in denen klar ist, dass es den nachfolgenden Generationen nicht besser, sondern schlechter gehen wird als den vorangegangenen, sind leider ideal für die selbstgerechten Gut-Böse-Schemata der extremen Rechten, die eine utopische Rückkehr in vermeintlich goldene Zeiten versprechen. Das Erwachen aus diesen Fieberträumen wird aller Voraussicht nach ein böses Erwachen sein.
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