In aller Kürze: Hannah Arendt

Hannah Arendt wird am 14. Oktober 1906 in Hannover geboren. Sie studiert Philosophie und Evangelische Theologie in Marburg, Freiburg und Heidelberg. 1933 wird sie für mehrere Tage von der Gestapo inhaftiert. Danach flieht sie nach Frankreich. 1940 emigriert sie in die USA, wo sie als Professorin in Princeton/New York arbeitet. Dort forscht sie für ihre Arbeit "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" zu den Hintergründen von Antisemitismus und totalen Herrschaftssystemen. Weltweit bekannt wird Arendt 1961 mit ihren Aufzeichnungen zum Eichmann-Prozess in Jerusalem. Ihr Hauptwerk ist die philosophische Schrift "Vita activa oder Vom tätigen Leben". Arendt arbeitet mehrere Jahre als Forschungsleiterin der "Conference on Jewish Relations" sowie als Geschäftsführerin für die Organisation zur Rettung und Pflege jüdischen Kulturguts, die "Jewish Cultural Reconstruction Corporation". Bis 1951 bleibt Arendt staatenlos, erwirbt schließlich die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Hannah Arendt stirbt am 4. Dezember 1975 in den USA.

 

"Juden sterben in Europa, und man verscharrt sie wie Hunde"

In einem Brief aus dem Jahr 1940 schreibt Hannah Arendt über die Judenverfolgung. Sie zeigt sich bestürzt ob der Entmenschlichung. Die politische Theoretikerin lebt damals im französischen Exil. Nach Hitlers Machtergreifung kommt sie für mehrere Tage in Haft. Danach flieht sie nach Paris.

Als Jüdin – noch dazu Regimegegnerin – ist Arendt auch dort nicht lange sicher. 1940 folgt der Frankreichfeldzug. Arendt landet in einem Internierungslager. Nach einem Monat entkommt sie, kann nach New York übersiedeln. Was bleibt, ist eine Fassungslosigkeit, die Arendt in ihrem Werk fortan begleitet: Wie konnte es dazu kommen? Was bringt Menschen dazu, sich an so einem grausamen Massenmord wie dem Holocaust zu beteiligen? Und warum zeigten viele keine Verantwortung oder Schuldgefühle?

Hannah Arendt gilt heute als eine der bedeutendsten Theoretikerinnen des Totalitarismus

Schon als junge Frau rebellierte sie gegen das nationalsozialistische Regime. Für die "Zionistische Vereinigung für Deutschland" dokumentierte sie die Verfolgung von Juden. In ihrem Werk "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" aus dem Jahr 1951 stellt sie sich später die Frage, wie Antisemitismus und Totalitarismus zusammenhängen.

Bahnbrechend ist dabei ihr Ansatz, totalitäre Systeme wie Nationalsozialismus und Stalinismus in ihren Mechanismen zu analysieren. Den Holocaust sieht Arendt nicht als ferne Ausgeburt des "Bösen"; vielmehr beobachtet sie, wie selbst Freunde und von ihr geschätzte Wissenschaftler Auffassungen des Nationalsozialismus übernehmen. Mit Martin Heidegger etwa verbindet sie ein inniger Briefverkehr – bis der Philosoph der NSDAP beitritt. Arendt interessiert deshalb, was normale Menschen zum Totalitarismus bewegt.

 

 

Das beunruhigende an der Person Eichmanns war doch gerade, daß er war wie viele und daß diese vielen weder pervers noch sadistisch, sondern schrecklich und erschreckend normal waren und sind. Vom Standpunkt unserer Rechtsinstitutionen und an unseren moralischen Urteilsmaßstäben gemessen war diese Normalität viel erschreckender als all die Greuel zusammengenommen, denn sie implizierte - wie man zur Genüge aus den Aussagen der Nürnberg Angeklagten und ihrer Verteidiger wußte -, daß dieser Verbrechertypus, der nun wirklich hostis generis humani ist, unter Bedingungen handelt, die es ihm beinahe unmöglich machen, sich seiner Untaten bewußt zu werden. (...) Nun gehörte diese Frage des Schuldbewußtseins zweifellos zu den zentralen Problemen, die der Eichmann-Prozeß aufwarf, da ja alle modernen Rechtssysteme davon ausgehen, daß ein Unrechtsbewußtsein zum Wesen strafrechtlicher Delikte gehört.

Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. Übersetzt von Brigitte Granzow. © 1964 Piper Verlag GmbH, München

Hannah Arendt und der Eichmann-Prozess

Mit dieser Auffassung eckt Hannah Arendt nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder an. International bekannt wird sie mit ihren Beobachtungen zum Eichmann-Prozess – aus ihnen geht zugleich ihre meistdiskutierte Publikation hervor: 1960 begann der Prozess gegen Adolf Eichmann. Arendt reiste nach Jerusalem und berichtete für die Zeitschrift The New Yorker von ihren Eindrücken aus dem Gerichtssaal. Durch den Glaskasten sah sie ihn: Adolf Eichmann, einen Mann in seinen 50ern, mit Brille. Auf den ersten Blick eher unscheinbar.

Für Arendt gab er in seinem Auftreten sogar ein Bild der Lächerlichkeit ab. "[Im Eichmann-Prozess] konnte jeder sehen, dass dieser Mann kein ‚Ungeheuer‘ war, aber es war in der Tat sehr schwierig, sich des Verdachts zu erwehren, dass man es mit einem Hanswurst zu tun hatte", schrieb sie später in ihrem Text "Eichmann in Jerusalem".

Kritiker zeigten sich entsetzt ob der Darstellung Eichmanns – und warfen Arendt vor, die NS-Verbrechen zu relativieren

Adolf Eichmann: kein Ungeheuer? Für Arendt war aber genau jene "Banalität des Bösen" das zentrale Problem des Holocaust. Arendt interessierte, wie sich Durchschnittsmenschen dem Nationalsozialismus anschließen konnten.

Die Vernichtungslager sah sie als Teil einer industrialisierten Massenabfertigung. In einem Text mit dem Titel "Vollendete Sinnlosigkeit" schrieb sie 1950: "Die Konzentrationslager sind die Laboratorien für das Experiment totaler Beherrschung, denn wegen der Beschaffenheit der menschlichen Natur kann dieses Ziel nur unter den Bedingungen einer von Menschen geschaffenen Hölle erreicht werden."

Hannah Arendts Thesen wurden weltweit gelobt – aber auch stark kritisiert

Arendts Ablehnung gegen Totalitarismen richtete sich gegen links wie rechts – und damit auch nicht nur gegen NS-Täter. Arendt kritisierte beispielsweise Judenräte dafür, dass sie ihre Gegner im Nationalsozialismus – wenn auch unter Zwang – teilweise unterstützt hätten. Bei jüdischen Verbänden brachte ihr das immer wieder Kritik ein.

Hannah Arendt aber grenzte sich ab. Rebellion blieb für sie auch persönlich ein Mittel des Widerstands gegen die Mechanismen der Masse bis zum Schluss. Arendt sei immer eine bewusste Außenseiterin gewesen, sagte die Judaistin Edna Brocke. Als Jüdin in Deutschland und später als Deutsche in den Vereinigten Staaten.

Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert – Kuratorinnenführung

"Rebellinnen": Die Ausstellung über starke Frauen

Dieser Text ist Teil der Wanderausstellung "Rebellinnen". Sie stellt Frauen aus dem deutschsprachigen Raum vor, die für ihre Überzeugungen und Rechte kämpften, die Gesellschaft prägten, sie verändern wollten.

Als Medienpartner von "Rebellinnen" veröffentlicht sonntagsblatt.de Porträts und weiterführende Informationen zu allen Frauen, die in der Ausstellung gezeigt werden.

Sie haben Interesse daran, die Ausstellung zu besuchen oder auszuleihen? Auf ausstellung-leihen.de finden Sie künftige Termine sowie die Online-Buchung.