Am 26. September 2021 ist Bundestagswahl. Der Wahlkampf kommt also langsam in die heiße Phase – und tatsächlich war der Ausgang einer Wahl in Deutschland lange nicht mehr so offen wie dieses Mal. CDU/CSU, Grüne und SPD haben noch Chancen, jeweils stärkste Kraft zu werden. Viele Wahlberechtigte sind zudem noch unentschieden.
Doch wie halten es die Parteien, um Goethes berühmte Gretchenfrage an dieser Stelle zu zitieren, mit der Religion? Wie positionieren sie sich zu Themen wie Glaube, Schöpfung, christliche Kirchen oder Feiertage? Wir haben bei den im Bundestag vertretenen Parteien mal nachgeschaut, damit ihr das nicht tun müsst. Im ersten Teil unseres Religions-Checks zur Bundestagswahl geht es um das Programm von Bündnis90/Die Grünen.
Wie christlich ist das Wahlprogramm von den Grünen?
Dreimal taucht das Wort "christlich" bei den Grünen im Programm auf . Damit belegt die Partei den zweiten Platz hinter den Christdemokraten(CDU 6, AfD 2, Linke 1, SPD 0, FDP 0). Im Gegensatz zu CDU/CSU, wo man sich des Öfteren auf ein "christliches Menschenbild" beruft, geht es bei den Grünen ausschließlich um die christlichen Kirchen. Ein wie auch immer gearteter direkter Bezug auf das Christentum findet sich auf den 258 Seiten nicht.
Wer also beispielsweise erwartet, die Umweltschutzpartei begründe ihr Engagement für den Klimaschutz mit der Bewahrung der Schöpfung, der irrt. Das Wort Schöpfung kommt bei den Grünen zwar vor. Allerdings nur in den zusammengesetzten Formen der Wertschöpfung und der Wertschöpfungskette.
Was sagt das Wahlprogramm zur Kirche?
Sechsmal erwähnen die Grünen in ihrem Wahlprogramm die Kirchen. Damit liegt sie nur im Mittelfeld, zwei Parteien verwenden den Begriff häufiger (Linke 10, AfD 8, CDU 4, SPD 3, FDP 2). Dem Verhältnis Staat-Kirchen haben sie ein ganzes Kapitel gewidmet. "Die christlichen Kirchen und Gemeinden sind wichtige Akteur*innen der Zivilgesellschaft", heißt es darin. "Sie verleihen unserer Gesellschaft vielfältige Impulse und leisten einen Beitrag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt." Auch die Arbeit mit Pflegebedürftigen, Menschen mit Behinderungen und Kindern sowie die tatkräftige Unterstützung, wenn es um Seenotrettung und die Integration von Geflüchteten geht, werden lobend erwähnt.
Doch es findet sich auch Kritisches zum aktuellen Zustand der Kirchen. So fordern die Grünen beispielsweise, das kirchliche Arbeitsrecht zu reformieren und die gewerkschaftliche Mitbestimmung zu fördern. Die Ausnahmeklauseln für die Kirchen im Betriebsverfassungsgesetz und im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz soll aufgehoben werden. Allerdings mit einer Einschränkung: "Der religiöse Verkündigungsbereich bleibt hiervon unberührt." Außerdem sichert man den vielen Gläubigen, die sich für eine notwendige Modernisierung der christlichen Kirchen einsetzen und auf eine lückenlose Aufklärung der Fälle sexualisierter Gewalt dringen, Unterstützung zu.
Welche Rolle spielt der Glaube?
Das Wort Glaube taucht nur ein einziges Mal im Wahlprogramm der Grünen auf (FDP 7, Linke 4, AfD 2, CDU 1, SPD 0). Es bezieht sich jedoch nicht auf den christlichen, sondern den muslimischen Glauben. Im Kapitel "Muslim*innen schützen und stärken" heißt es "Wir wollen (...) progressive, liberale muslimische Vertretungen einbinden, die für Werte wie Gleichberechtigung der Geschlechter, LSBTIQ*-Rechte und Feminismus einstehen und einen lebendigen Glauben innerhalb des islamischen Religionsspektrums praktizieren."
Was sagt das Grünen-Programm zu Religion?
Zehnmal kommt der Begriff Religion im Grünen-Wahlprogramm vor. Das reicht allerdings nur für den dritten Platz: Ausgerechnet die Linke sowie – etwas erwartbarer – die Union liegen in dieser Zählung vorne (Linke 21, CDU 15, FDP 8, AfD 8, SPD 6). Inhaltlich widmen Bündnis90/Die Grünen sowohl dem Judentum wie dem Islam eigene Kapitel, in denen es jeweils um den Schutz vor Diskriminierung einerseits und mehr zivilgesellschaftliche Einbindung andererseits geht. "Jüdisches Leben in seiner Vielfalt in Deutschland werden wir konsequent fördern und sichtbar machen", verspricht man. "Wir unterstützen Projekte und Initiativen, die sowohl jüdisch-säkulares als auch jüdisch-religiöses Leben, jüdische Kultur und jüdische Bildung stärken."
Die strukturelle Situation der muslimischen Gemeinden wollen die Grünen verbessern. "Die heterogene und von Muslim*innen als Stärke wahrgenommene Struktur des Islams, die weder eine religiös noch strukturell verankerte Hierarchie kennt, darf ihnen von Seiten des Gesetzgebers (...) nicht zum Nachteil gereichen", erklärt man, und strebt Staatsverträge mit islamischen Religionsgemeinschaften an. Nicht ohne zu betonen, dass diese in keiner strukturellen Abhängigkeit zu einem Staat, einer Partei oder politischen Bewegung stehen dürften.
Die anderen Weltreligionen Buddhismus und Hinduismus werden zwar nicht extra erwähnt, dürfen sich aber mitgemeint fühlen, wenn es heißt: "Wir wahren das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften, suchen die Kooperation und den Dialog mit allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, die das Grundgesetz achten, und stehen dabei stets zum säkularen Staat und seinem Neutralitätsprinzip." Aber auch "Konfessionsfreien" räumen die Grünen ausdrücklich einen Anspruch auf umfassende Berücksichtigung ihrer Belange und auf gleichberechtigte Teilhabe ein.
Fazit
Das Wahlprogramm der Grünen positioniert sich zum christlichen Glauben durchaus wohlwollend, aber überwiegend neutral. Als Grundlage der eigenen Werte sieht man ihn nicht, Bezüge zum christlichen Menschenbild oder zur Bewahrung der Schöpfung tauchen nicht auf. Das Programm ist vielmehr konsequent säkular und zudem offensichtlich bemüht, weder die Anhänger*innen bestimmter Religionsgemeinschaften noch nichtreligiöse Menschen zu bevorzugen oder zu benachteiligen.
Zu den christlichen Kirchen pflegt man ein freundlich-kritisches Verhältnis, betont deren wichtige Rolle für die Zivilgesellschaft, hebt aber an anderer Stelle hervor, dass dies auch für andere Religionsgemeinschaften gelte. Insgesamt legen die Grünen viel Wert auf Religionsfreiheit, sowohl in der positiven (Glaubensfreiheit) wie in der negativen (Freiheit von Religion) Bedeutung des Worts.
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