Mit ihm endet eine Ära: Bei wenigen stimmt diese abgedroschene Formulierung wirklich - bei Jochen Keßler-Rosa schon. Fast 30 Jahre stand der evangelische Pfarrer an der Spitze der Diakonie Schweinfurt. Als deren Geschäftsführer hat er aus einem lokalen Diakoniewerk ein regionales Sozialunternehmen gemacht. Auch mit seinem politischen Engagement sorgte Keßler-Rosa immer mal wieder für überregionale Schlagzeilen. Nun geht der Theologe in den Ruhestand.

Diakonie ist "gesund gewachsen"

"Ich habe die Stelle in Schweinfurt 1992 nicht mit dem Ziel angetreten, die Diakonie zu vergrößern", sagt Keßler-Rosa. Vielmehr sei das Diakonische Werk Schweinfurt "gesund gewachsen", weil es sich "aus den Bedarfen" so ergeben habe. Um auf dem hart umkämpften Markt der Sozialwirtschaft gut zu überleben, brauche man heute "eine gewisse Größe". Aus 200 Mitarbeitenden im Jahr 1994 wurden 721 im Jahr 2020, der Jahresumsatz stieg bis 2020 auf 33 Millionen Euro (1994: 18 Millionen DM).

Das Diakonische Werk Schweinfurt unter Keßler-Rosas Regie ging aber nicht einfach auf Einkaufstour und verleibte sich kleinere Diakonievereine samt deren Einrichtungen ein. Schon sein Vorgänger hatte das sogenannte Schweinfurter Modell begründet: Dabei übernimmt der große Partner - in diesem Fall die Schweinfurter Diakonie - entweder die Verwaltung für andere Diakoniewerke oder sogar die ganze Geschäftsführung. Rechtlich aber bleiben die Diakoniestationen und -vereine weiter selbstständig.

Modell mit Weitblick

"Es ist wichtig, dass sich die Kirchengemeinden und Menschen vor Ort mit der Diakonie identifizieren", sagt Keßler-Rosa. Und das falle natürlich viel leichter, wenn auf dem Auto des ambulanten Diakonie-Pflegedienstes beispielsweise "Lauertal" stehe, und nicht Schweinfurt. Dieses Modell mit Weitblick hat Keßler-Rosa gelebt: Seit August 1992 als Geschäftsführer sowie ab 2004 auch als Vorstand der Diakonie. Diese Jobs übergibt er in den kommenden Wochen und Monaten an Carsten Bräumer.

Auch wenn die Mitgliederzahlen der Kirchen sinken und die Diakonie als Teil der verfassten Kirche etwa wegen des kirchlichen Arbeitsrechts in der Kritik steht - Keßler-Rosa ist davon überzeugt, dass die Diakonie "ein wichtiger Player" in der Sozialbranche ist und auch bleiben muss, gerade wegen ihrer evangelischen Perspektive: "Mein Leitsatz: 'Mit dem Sterben darf man kein Geld verdienen' gilt nach wie vor - vielleicht mehr denn je." Die Diakonie sei für die Menschen da, nicht um Profit zu machen.

Die größte Niederlage seiner Amtszeit

Die Diakone bezahle ihre Mitarbeitenden besser als die meisten privaten Anbieter - und dennoch habe man Personalnot. Das sei vielleicht auch die größte Niederlage seiner Amtszeit, erzählt Keßler-Rosa, als er die beiden Diakoniestationen in Bad Kissingen und in Castell wegen Personalmangels für immer schließen muss. Am vermeintlich strengen kirchlichen Arbeitsrecht liege das aber nicht, sagt er: "Mir ist egal, ob und wie oft jemand in die Kirche geht - mir geht es um die Haltung bei der Arbeit."

Haltung ist ohnehin etwas, das Keßler-Rosa sehr wichtig ist. Von 1996 bis 2002 saß der Pfarrer für die CSU im Schweinfurter Stadtrat, 2008 wurde er für die CSU in den Bezirkstag gewählt - das ging nur, weil der evangelische Pfarrer nicht in einer Gemeinde tätig war und darauf verzichtete, Taufen, Eheschließungen, Beerdigungen und Gottesdienste im Allgemeinen zu halten. "Ich komme aus der kirchlichen Jugendarbeit - politisches Engagement war mir immer sehr wichtig", sagt Keßler-Rosa.

Austritt bei der CSU

2010 kam der Bruch mit der CSU - ausgelöst durch die sozialpolitische Ausrichtung seiner damaligen Partei. Keßler-Rosa war mit Aussagen führender Amts- und Mandatsträger zu Hartz IV, der Asylpolitik und anderen Themen nicht einverstanden und zog öffentlichkeitswirksam die Reißleine. "Mich hat es überrascht, dass ich deshalb nicht geschnitten wurde", sagt er heute. Etliche Schweinfurter CSUler zeigten ihm gegenüber sogar Verständnis. Inzwischen ist Keßler-Rosa Mitglied der Freien Wähler.

Für die kandidierte er 2013 erfolglos bei der Bundestagswahl. Politische Ambitionen hat er für sein baldiges Rentnerdasein nicht, sagt er: "Ich muss mich um meine Gesundheit kümmern." Mehr Bewegung, mehr Zeit für die Enkelkinder, das ist sein Plan. Und auch wenn er sich nicht mehr um ein politisches Amt bewerben will - "Einbringen und zu Wort melden" will sich der Theologe weiter. Seine Haltung geht schließlich nicht in den Ruhestand.