Ulrich Gampert weiß noch gut, wie Horst Seehofer vor knapp zwei Jahren die Allgäuer Festwoche in Kempten besuchte. In seiner Eröffnungsrede stellte der damalige bayerische Ministerpräsident eine moderatere Gangart der Justiz beim Kirchenasyl in Aussicht: Bei dem Thema stehe in Bayern "an erster Stelle die Humanität", sagte Seehofer damals. Wenn sich Gampert heute daran erinnert, wirkt er ernüchtert: "Man fragt sich schon: Wie verlässlich sind die Aussagen eines bayerischen Ministerpräsidenten?"
Gampert ist Pfarrer der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde in Immenstadt im Allgäu. Zusammen mit seiner Frau Marlies, die ebenfalls Pfarrerin ist, und seiner Kirchengemeinde hat er dem 22-jährigen Afghanen Reza Jafari über ein Jahr lang Kirchenasyl gewährt. Nun hat er dafür vom Amtsgericht Sonthofen einen Strafbefehl zugestellt bekommen:
40 Tagessätze à 100 Euro, also 4.000 Euro Geldstrafe soll Gampert dafür zahlen, dass er mit dem Kirchenasyl "Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt" einer Person in Deutschland geleistet habe.
Damit ist Gampert nach Angaben der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB) der erste Pfarrer im Freistaat, der wegen eines Kirchenasyls rechtlich belangt werde. Bislang seien die Verfahren gegen Kirchenasyl-Verantwortliche stets eingestellt worden. Vertreter der Landeskirche kritisierten denn auch das Vorgehen der Justiz. Es sei "bedauerlich, dass das Eintreten für Geflüchtete, das für uns Ausdruck von Humanität ist, bestraft wird", sagte die Ansprechpartnerin für Kirchenasyl in der ELKB, Susanne Henninger, auf Anfrage dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Auch Augsburgs evangelischer Regionalbischof Axel Piper zeigte Unverständnis für das Vorgehen der Behörden: "Warum man in diesem Fall einen Strafbefehl verschickt, kann ich nicht nachvollziehen", meinte Piper. Die Betroffenen würden im Kirchenasyl ja nicht versteckt: "Wenn ein Pfarrer das aus Gewissensgründen macht, geht es vor allem darum, Zeit zu gewinnen, um Härtefälle noch einmal zu überprüfen und im Zweifel alle Rechtsmittel ausschöpfen zu können."
Im Fall von Reza Jafari ist genau das geschehen. Vergangene Woche hatte der Petitionsausschuss des bayerischen Landtags einen sechsmonatigen Abschiebestopp für den jungen Mann beschlossen. Jafari konnte daraufhin das Kirchenasyl verlassen. Um dauerhaft in Deutschland bleiben zu können, bleibt ihm allerdings wohl nur der Weg, seine deutsche Freundin zu heiraten. Dafür muss er innerhalb der sechs Monate die entsprechenden Papiere besorgen. Immerhin kann der 22-Jährige nun zum 1. August seine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann bei einem Möbelgeschäft beginnen.
"Für uns war es eine Gewissensfrage, Reza zu helfen", sagt Gampert.
Und sein Gewissen, meint der Pfarrer, sei vor allem durch zwei Werte geprägt: "meinen christlichen Glauben und unsere demokratische Grundordnung". Dass jemand hierzulande bestraft werde, weil er seinem Gewissen folge und einem Menschen in Not helfe, "das irritiert mich schon, weil das diese Werte in Frage stellt", erläutert er.
Gamperts Fall macht deutlich, dass Bayerns Justizbehörden beim Thema Kirchenasyl offenbar weiterhin eine harte Linie fahren. Die Justiz pocht dabei auf das sogenannte Legalitätsprinzip. Die Behörden sind demnach verpflichtet zu ermitteln, wenn es Hinweise auf eine Straftat gibt. Zwar seien Kirchenasylfälle in der Vergangenheit stets eingestellt worden. Die Staatsanwaltschaften hätten jedoch immer betont, dass man darauf im Wiederholungsfall nicht hoffen könne, heißt es bei der bayerischen Landeskirche: "Daher ist es für uns nicht ganz überraschend, dass es nun in einem ersten Fall tatsächlich zu einem Strafbefehl kommt", sagt Henninger. Die Kirchengemeinde in Immenstadt hatte im Jahr 2015 schon einmal drei Personen Kirchenasyl gewährt.
Gegen den jetzigen Strafbefehl kann Pfarrer Gampert innerhalb von 14 Tagen Einspruch einlegen.
Von Seiten der Landeskirche hieß es, man würde dies begrüßen: Ein anschließendes Gerichtsverfahren biete dann die Möglichkeit, grundsätzlich klären zu lassen, "ob der Pfarrer mit der Gewährung des Kirchenasyls tatsächlich eine strafbare Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt geleistet hat". Die Rechtsanwalts- und Verfahrenskosten will die ELKB für den Pfarrer übernehmen.
Kirchenasyl in Bayern
In evangelischen Kirchengemeinden in Bayern gibt es derzeit nach Angaben der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB) 33 Kirchenasyle, in denen sich 41 Personen aufhalten. Der Verein "matteo", der sich um Kirchenasylfälle kümmert, hält die tatsächliche Zahl jedoch für höher. Laut matteo-Geschäftsführer Stephan Theo Reichel gebe es bei Kirchenasylen stets eine Dunkelziffer. Reichel schätzt die Gesamtzahl von Personen, die derzeit in evangelischen und katholischen Kirchenasylen in Bayern Unterschlupf finden, auf etwa 100.
Nach dem 1. August 2018 gab es nach Angaben der ELKB für einige Monate einen Rückgang bei den Kirchenasylen. Zu diesem Datum hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Frist, innerhalb der Flüchtlinge in das Land zurückgeschickt werden können, über das sie eingereist sind, von sechs auf 18 Monate verlängert. Dies macht es für Kirchengemeinden schwieriger, Menschen vor einer Abschiebung zu bewahren. Denn sie müssen diese deutlich länger beherbergen, um die Frist zu überbrücken. Dennoch seien seit Anfang März 2019 in den evangelischen Gemeinden Bayerns 17 neue Kirchenasyle eingerichtet worden. "Es ist also ein gewisser Anstieg an neuen Kirchenasylen zu verzeichnen", heißt es bei der ELKB.