Während heute in der Adventszeit Glühweinduft durch die Straßen zieht und Lebkuchen die Regale füllen, sah die Vorweihnachtszeit früher ganz anders aus. Bewusstes Fasten war angesagt – heute kaum vorstellbar. Verzicht kommt, wenn überhaupt, erst nach vier Wochen Weihnachtsmarkt und üppigen Festtagsmenüs – meist in Form von guten Vorsätzen und Diätplänen zum Jahresbeginn.
Ursprünglich ging es in der Wartezeit auf das Christkind darum, gewohnte Abläufe zu unterbrechen – beim Essen und in den täglichen Routinen. Ziel war es, sich auf das Wesentliche zu besinnen und bewusst innezuhalten. Das Fasten schaffte Raum für neue Gedanken. Der Advent bot Gelegenheit, das Leben neu zu ordnen und sich auf die Geburt des Christuskindes vorzubereiten. Statt weltlichen Genüssen zu frönen, suchte man die innere Einkehr – im Gebet, in der Lektüre heiliger Schriften, in der Abkehr von der Hektik des Alltags und seinen Vergnügungen.
Die Wurzeln der Adventszeit
Die Wurzeln dieser Tradition reichen bis ins späte 4. Jahrhundert zurück, vor allem in den Gebieten des heutigen Frankreich und Spanien. Das Wort "Advent" stammt aus dem Lateinischen und bedeutet "Ankunft", abgeleitet von "adventus Domini" - "Ankunft des Herrn". Dieser Begriff ist eng verwandt mit dem griechischen "epiphaneia", was "Erscheinung des Herrn" bedeutet. Dies erklärt auch, warum das Fest der Geburt Jesu in der Ostkirche ursprünglich am 6. Januar als Fest der Erscheinung des Herrn (Epiphanie) gefeiert wurde - auch bekannt als "Fest der Taufe".
Das Fasten war ursprünglich eng mit der Vorbereitung auf die Taufe verbunden. Wie vor der Osternacht, dem traditionellen Tauftermin für Erwachsene seit dem 4. Jahrhundert, gab es auch vor Epiphanias eine vierzigtägige Fastenzeit. Sie diente als Reinigungsritus und orientierte sich an den 40 Tagen, die Jesus nach seiner Taufe in der Wüste fastete. Da samstags und sonntags nicht gefastet wurde, dauerte die Fastenzeit acht Wochen und begann am Martinstag, dem 11. November.
Kaiser Konstantin legt Weihnachten in den Dezember
Eine Zäsur brachte Kaiser Konstantin (gestorben 337), der das Weihnachtsfest auf den 25. Dezember legte, an dem zuvor die Wintersonnenwende mit einem heidnischen Sonnenfest gefeiert wurde. Die genauen Beweggründe für diese Verknüpfung sind nicht vollständig geklärt, doch markiert diese Entscheidung eine entscheidende Zäsur. Weihnachten etablierte sich fortan als zentrales Fest zur Feier der Geburt Christi - nicht nur im Westen, sondern auch in den meisten östlichen Ostkirchen.
Damit verbunden war eine Verkürzung der Fastenzeit auf sechs Wochen. Ihre ursprüngliche Funktion als Vorbereitung auf die Taufe trat zunehmend in den Hintergrund, da die Säuglingstaufe im späten 5. Stattdessen trat die asketische Tradition der Wüstenväter stärker in den Vordergrund. Sie verstanden Fasten nicht nur als zeitweiligen Verzicht auf Nahrung, sondern als bewusste Enthaltsamkeit – insbesondere von Fleisch.
Im Mittelpunkt stand die "imitatio Christi" - die Nachahmung des Fastens Jesu in der Wüste als Vorbereitung auf die Ankunft Christi im Advent. Dabei ging es weniger um strikte Nahrungsverbote, sondern vielmehr darum, über einen bestimmten Zeitraum hinweg Verzicht zu üben. Der Verzicht auf bestimmte Speisen sollte helfen, Gewohnheiten, die vom Wesentlichen ablenken, zu durchbrechen und sich stärker auf die Verbindung mit Gott zu konzentrieren.
Reformation bringt die Wende
Die Reformation brachte schließlich einen grundlegenden Wandel in der Fastentradition. Die Reformatoren kritisierten, dass das Fasten als "Werk" missverstanden werden und den Glauben an eine Werkgerechtigkeit fördern könne. Zudem isoliere das Fasten den Einzelnen von der Gemeinschaft und lenke vom Nächsten ab.
Da es keine biblische Grundlage für ein verpflichtendes Fasten gab, sollte jeder Christ selbst entscheiden können, ob und wie er fastet. Diese Auffassung entsprach der reformatorischen Haltung, die sich nicht nur gegen kirchliche Fastengebote, sondern auch gegen andere dogmatische Praktiken wandte, die das individuelle Glaubensverständnis einschränkten.
So präsentiert sich der Advent heute in einem völlig neuen Gewand: Frei von starren Vorschriften bietet er Raum für individuelle Gestaltung. Es ist eine Zeit des Vorglühens und der süßen Versuchungen, bis spätestens am Heiligen Abend der Reiz der vielen Lebkuchen verfliegt.
Doch auch wenn sich der Advent in seiner modernen Form vom traditionellen Fasten entfernt hat, greifen Initiativen wie "Der andere Advent" den ursprünglichen Gedanken des Fastens wieder auf – allerdings nicht im Sinne von Nahrungsverzicht. Vielmehr geht es darum, durch meditative Texte und Andachten eine Auszeit vom Alltag zu nehmen und in die eigene Gedankenwelt einzutauchen, um den Advent tiefer und besinnlicher zu erleben. Eine Praxis, die wohl auch Luther befürwortet hätte.
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Ist der Advent damit jetzt…
Ist der Advent damit jetzt entsorgt? im Beitrag klingt das sehr pessimistisch. Nach Aufgabe geistlicher Fundamente angesichts säkularer Übernahme von Marktwirtschaft und Einzelhandel.
Was aber ist Advent? Was können wir uns darunter vorstellen?
Eine nicht mehr ganz leicht zu beantwortende Frage. Angesichts der Problematik, dass diese Zeit aufgrund des schönen Brauchtums, sich zum Weihnachtsfest etwas zu schenken, inzwischen zur Konsum- und Kaufschlacht und zu einer "Vorweihnachtszeit" verkommen ist.
Auch wenn Adventsmärkte (inzwischen ja auch Weihnachtsmärkte) zur Vorbereitung auf eine andere, dann kommende Zeit, schon immer Tradition hatten. Kulturanthropologisch verwischen die Grenzen zwischen Advent und Weihnachten in den letzten Jahren immer mehr.
Der Advent hingegen ist eine unentdeckte Zeit geworden. Denn er hat einen ganz eigenen Charakter. Er ist kein Vorstadtbahnhof, keine Overtüre. Er nimmt nicht vorweg, was unerwartet kommt. Im Gegenteil.
Er geht zum Nullpunkt zurück. Und denkt alles von Anfang an. Und von Beginn an neu. Es ist die größte Zäsur im Kirchenjahr. Daher beginnt dies mit dieser Zeit auch neu. Und der Advent definiert sich nicht von seinem Ende her - vom Weihnachtsfest - sondern vom Anfang. Vom Anfang der Geschichte Gottes mit den Menschen: Denn Israel, die Propheten, das Gottesvolk, hält dabei Ausschau. Und sucht in Zeiten der Bedrängnis, im Exil, in der Wüste, im Orientierungsvakuum nach einer messianischen Zeit, nach Krisenalternativen.
Und so füht uns die Prophetie des Alten Bundes durch die Adventswochen: Ein Volk, das im Dunkel lebt, erhofft Licht. Alle, die in Finstern wandeln, ersehnen Veränderung. Und Hoffnung auf Zukunft. Und das in wenig heillosen Zeiten. Das sind an sich sehr aktuelle Themen. Und so ist der Advent eine wenig triumphalistische Zeit. Meditation und Reflexion.
Advent ist Suchen, nicht Finden, Hoffen und nicht Hoffnung, Senden, statt Empfang. Sondierungsuntenehmen, nicht Ankunft. Denn die steht erst noch aus. Der Advent ist unser Wartesaal.
DIE BESTE ÜBERSETZUNG VON ADVENT IST FREIRAUM
Advent muss Platz schaffen, für die Dinge, die noch ausstehen. Für das, was kommen soll. Für das, was wir erhoffen. Für das, was an Weihnachten dann vielleicht aufscheint und ankommt. Für all das, was jedes Jahr für uns in unsren Herzen und Köpfen neu werden soll. Und vielleicht einmal manifest wird. Wenn Gottes Advent - sein Shalom - in dieser Welt Komplizen sucht.
Und so muss sich der Advent unbarmherzig seine Bahn brechen. Seine eigene Bahn. Fern vom omnipräsenten Weihnachtsrummel. Und dem Dauergeplätscher weihnachtlicher Choräle, Vorfeiern und Düfte.
Denn die Versuchung ist stark, diese Exils-, Wüsten- und Wartezeit nicht auszuhalten. Da der Advent (an uns und an diese Gesellschaft) unbequeme Fragen stellt. Denn diese Welt ist wenig weihnachtlich. Es gibt viel zu tun. Und Ablenkung liegt natürlich nahe. Und es fällt schwer, angesichts des Trubels und der Hektik dessen - was vermeintlich noch alles organisiert werden muss - dies tatsächlich wahr zu nehmen. nd nach dem Advent zu lauschen.
STAND BYE
Daher gibt es mi dem Advent die Zeitansage vor Weihnachten herunter zu fahren. Stand-By. Das Brauchtum hat überliefert, dass sich mit dem Gedenktag der Heiligen Katharina von Alexandrien (25.11.) eine Zäsur einstellt. "Kathrein stellt Tanz und Geigen ein" hieß es einst. Und von da an begann sie: "Die stade (stille) Zeit". Die bis zum Thomastag (21.12.) dauerte. Und da hieß es: "Sankt Thomas lässt die Geigen wieder brummen". Dann wurden die Instrumente wieder hervorgeholt. Neu gestimmt. Und man hat sich für das Fest eingesungen und geprobt, Krippenspiel geübt, die Stube nach und nach geschmückt, letzte Plätzchen gebacken. Altes Brauchtum. Lang ists her.
Heute ist es umgekehrt. Nach wochenlangem White-Christmas, Glühfix, Glitzer, Wichteln und Früchtebrot mit Eierpunsch kehrt dann an den Weihnachtstage die stade Zeit ein. Ausgerechnet an den Festtagen stellt sich dann besinnliche Ruhe ein: Stille Nacht. Ein familiärer Festfriedhof. Denn alle sind erschöpft, entkräftet, und schon satt. Alle, die viel zu früh gestartet sind.
ADVENT WARTET AUCH AUF UNS
Der Sensus für diese Andersheit des Advent. Für seine sperrige Gestalt. Für den Platz, den er schaffen kann, wartet noch darauf, entdeckt zu werden. Denn Advent ist unzeitgemäß. Er ist kein Wellness-Versprechen. Arbeit statt heile Weihnachtswelt. Aber nötig. Da diese Welt die adventlich-prophetische Botschaft, seine Mystik, und die Erleuchtung, die er schaffen kann, ja dringend braucht.
Advent. Eine Suche nach Gegenentwürfen. Nach Alternativräumen. Nach Basisbewegungen. Nach Lichtspuren und Zeitzeichen. Eine Suche nach unentdeckten Kometen m interstellaren Raum.
ANDREAS SCHNEIDER (BAMBERG)
was ich dir noch sagen wollte
wenn ich dir
einen Tipp geben darf
ich meine
ich bitte dich
um alles in der welt
und wider besseres wissen:
halte dich nicht schadlos
zieh den kürzeren
laß dir etwas
entgehen
EVA ZELLER