In den USA stilisieren sie ihn zum frommen Actionhelden: Dietrich Bonhoeffer mit Waffe, flankiert von der Trilogie "Pastor, Spion, Attentäter". Die rechtsreligiösen Angel Studios, die den Film im November in den USA herausgebracht haben, wissen, wie sie ihr Publikum erreichen – darunter viele evangelikale Trump-Anhänger, die den deutschen Theologen längst zur Ikone im Kampf gegen das vermeintlich Böse erhoben haben.

Seit vergangener Woche läuft der Film auch in deutschen Kinos. Angle Studios verspricht die "unerzählte wahre Geschichte" des 1945 von den Nazis hingerichteten Theologen – und wirft damit grundlegende Fragen auf: Wie viel künstlerische Freiheit verträgt die Geschichte? Wo endet Interpretation, wo beginnt Geschichtsklitterung?

Höhne: Was am Film "Bonhoeffer" problematisch ist

"Wir brauchen eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Film", fordert Florian Höhne, Professor für Medienethik und digitale Theologie an der FAU Erlangen-Nürnberg sowie Vorsitzender der internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft. Die deutsche Debatte, sagt Höhne, leide darunter, dass viele Bonhoeffer-Experten – er selbst eingeschlossen – den Film vor allem durch die Brille des amerikanischen Marketings und seiner Vereinnahmung durch rechtsnationale Gruppen betrachteten.

Dabei werde der Film hierzulande anders vermarktet: ohne Waffe auf dem Plakat oder reißerische Begriffe wie "Attentäter". Höhne sieht darin ein klares Bemühen, sich von rechtsnationalen Deutungen abzugrenzen.

"Und das begrüße ich deshalb: Der Film selbst verdient eine unvoreingenommene, kritische Analyse – losgelöst vom Marketing", betont er. "Wir müssen präzise herausarbeiten, was an ihm tatsächlich problematisch ist."

Hier liegt der Kern der Debatte: Wenn ein Film Geschichte verfälscht, wird Wahrheit zur Nebensache. Innerhalb eines Rahmens von Kunstfreiheit sei vieles erstmal legitim und bloß Geschmackssache, betont Höhne. "Manche mögen den Film kitschig oder emotional überladen finden."

Bonhoeffers Pazifismus kommt viel zu kurz

Diese Einschätzung teilt auch Tobias Korenke, ein Nachfahre Bonhoeffers, der besonders die ausufernde Anfangsszene kritisiert: Bonhoeffer spielt mit seinem älteren Bruder Verstecken in einem idyllischen Landhaus – eine Szene, die an Bullerbü erinnert. Doch problematisch wird es genau dann, wenn der Film ein irreführendes Bild von der Geschichte zeichnet. "Hier geht die kreative Freiheit zu weit", sagt Höhne.

Ab diesem Moment verschwinden Bonhoeffers vielschichtige Lebenstiefe und theologische Komplexität unter einer Decke stilisierter Bilder und historischer Ungenauigkeiten. Ein Beispiel ist die Themenwahl. "Die Frage, ob es legitim ist, im Widerstand Gewalt anzuwenden, war für Bonhoeffer in der Tat wichtig", erklärt Höhne.

"Doch sie dominiert den Film so stark, dass andere zentrale Aspekte zurücktreten. Sein Pazifismus, sein Einsatz für den Frieden, für Ökumene, sein theologisches Nachdenken über Verantwortung und Schuldübernahme und die Bedeutung Jesu Christi für das Leben der Menschen kommen eher zu kurz. Wer Bonhoeffers Haltung zur Gewalt verstehen will, muss wissen, wie sehr er sich für den Frieden eingesetzt hat."

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Darstellung der Hinrichtungsszene. Sie sei nicht nur historisch falsch, sondern auch symbolisch überhöht, sodass Bonhoeffer nahezu christusgleich erscheine – eine Inszenierung, die Höhne theologisch für höchst bedenklich hält. Auch das Ortsschild, das den falschen Hinrichtungsort "Schöneberg" statt des KZ Flossenbürg zeigt, sei ein Fehler.

Zudem müsste es "Schönberg" heißen. Zwar war Bonhoeffer dort kurz vor seinem Tod, hingerichtet wurde er jedoch in Flossenbürg. Besonders grotesk findet Höhne die Szene, in der Bonhoeffer bei goldener Abenddämmerung am mittleren von drei Galgen erhängt wird. Die Analogie zur Kreuzigung Christi sei unübersehbar – eine "theologisch befremdliche" Überhöhung Bonhoeffers zum "Glaubenshelden".

Niemöller setzte sich nie für die Juden ein

Auch die Szene um Martin Niemöller ist reine Fiktion: Seine angeblich flammende Predigt nach der Reichspogromnacht 1938, in der er als Bischof – was er nie war – die Juden verteidigt haben soll, hat es nie gegeben. Niemöller war zu diesem Zeitpunkt bereits im KZ und setzte sich öffentlich nie für die Juden ein – etwas, das er später selbst bedauerte. Jonas Dassler, der Bonhoeffer spielt, nennt diese Szene "die größte Schwäche des Films" und kritisiert:

"Hätten die Deutschen damals wirklich so reagiert, hätte es den Holocaust vielleicht nie gegeben."

Der Widerstand war nur ein Teil von Bonhoeffers Leben – seine Biografie und Theologie war vielschichtiger, betont Höhne. „Man kann den Film sehr unterhaltsam finden, aber er hätte mehr von dieser Vielschichtigkeit zeigen können.“ Der theologische Denker wird relativ wenig sichtbar. "Bonhoeffer hatte viele Rollen und Aufgaben in seinem Leben", sagt Höhne. "Er war akademischer Theologe, der eine wissenschaftliche Laufbahn anstrebte und sich zeitlebens mit tiefgehenden theologischen Fragen auseinandersetzte.

Er war ein Ökumeniker, der die Einheit der christlichen Konfessionen suchte, ein tiefgläubiger Pfarrer und ein christlicher Pazifist, der im verantwortlichen Abwägen seine Position zum gewaltsamen Widerstand fand und dabei seine Ethik weiterentwickelte." Diese Seiten seien untrennbar miteinander verbunden, betont Höhne:

"Gerade als Theologe und christlicher Pazifist wurde er zum Widerständler."

Der Film jedoch untergräbt diese Vielschichtigkeit. Bonhoeffer hat bis heute weniger über Gewalt als über Verantwortung in schwierigen Zeiten zu sagen – über die Kunst des Abwägens und die Suche nach dem "relativ Besseren" in einer unvollkommenen Welt. Der Film hingegen liefert eine verzerrte Heldenverklärung. Er verwandelt einen suchenden Denker in einen Superhelden und eine komplexe Geschichte in einseitiges Entertainment.

Diese Darstellung verfälscht die historische Wahrheit und beraubt sie ihrer Kraft, uns heute Orientierung zu bieten. Dabei ist es gerade Bonhoeffers Lebenszeugnis – seine Verbindung von Theologie, Glauben und Leben –, das ihm eine Authentizität verleiht, die in Zeiten der Orientierungslosigkeit besonders wichtig ist.

Kommentare

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PeterG am So, 06.04.2025 - 08:44 Link

Bonhoeffer als "christlichen Pazifisten" darzustellen, ist ein Schlichtmodell und bedient wohl eher linke Narrative.