Ihr habt es mit "Real Life" an die Spitze der Charts geschafft. Wie fühlt sich das an?

Alex: Es ist ein unfassbares Gefühl, seinen eigenen Namen da oben zu sehen. Aber vor allem habe ich mich einfach krass gefreut, weil dieser Song ja mehr ist als einfach nur ein Song. Dahinter steckt eine Story über Leben und Tod im wahrsten Sinne des Wortes.

Also habt ihr einfach ausgelassen gefeiert?

Alex: Es war ein bisschen schwierig, denn die Umstände dieses Songs waren ja sehr besonders. Es geht um den Tod eines engen Freundes von uns. Eine besondere Feier war da nicht möglich und auch nicht angebracht. Das Paradoxe war: Philipp, dem wir diesen Song gewidmet haben, hatte immer den Wunsch, dass einmal ein Song von uns im Radio gespielt wird und in die Charts kommt. Dass dann ausgerechnet dieser Song im Radio gespielt wurde, das ist dann doch ein Grund zur Freude, auch wenn die Umstände des Songs eigentlich traurig waren.

Was genau steckt denn nun hinter "Real Life"?

Alex: Dahinter steckt ein guter Freund von uns. Der Philipp Mickenbecker war ein Teil von dem relativ berühmten YouTube-Duo "Real Life Guys". Er ist im vorigen Sommer nach langem Kampf gegen Krebs gestorben. Das Krasse war: Bereits ein Jahr vor seinem Tod hatten wir Phillipp gefragt, ob wir mal einen Song über seine Situation schreiben können. Denn die Art und Weise, wie er mit dem drohenden Tod umgegangen ist, der Frieden, den er ausgestrahlt hat – all das war einfach nicht von dieser Welt. Und zwei Tage, bevor er gestorben ist, waren mein Bruder und ich nachts im Studio und wir hatten plötzlich einfach das Gefühl, wir müssen jetzt diesen Song über ihn schreiben.

Hat er den Song denn überhaupt noch hören können?

Alex: Ja. Am nächsten Tag war ich auf dem Weg zu ihm. Als ich im Zug saß, kam die Nachricht, dass er gerade ins Krankenhaus eingeliefert worden ist. Ich konnte ihm noch an seinem Bett die Demo des Songs zeigen und er hat gesagt: Hey, mit dem Song kann ich mich zu 100 Prozent identifizieren.

"Real Life" von O'Bros

Bekommt ihr viel Feedback zu dem Song?

Alex: Wir bekommen bis zum heutigen Tag unzählige Nachrichten von Leuten, die sagen, dass dieser Song sie unfassbar rührt hat. Aber auch teilweise von kranken Leuten, die in einer ähnlichen Situation waren – oder auch gar nicht unbedingt mit Krankheit, sondern mit anderen schwierigen Lebensumständen zu kämpfen haben – und die sagen, dass in diesem Song auf eine hoffnungsvolle Art und Weise über Leid geredet wird. Es gibt eben auch eine andere Perspektive auf das Leid, nämlich, dass es mehr gibt als nur dieses Leben und dass es am Ende einen Gott gibt, der alles in seiner Hand hält. Und egal, was auf mich zukommt, ich brauche keine Angst zu haben.

Als christliche Rapper nehmt ihr eine Sonderstellung ein. Wie reagieren die Leute denn darauf?

Alex: Ich denke, für die meisten Leute ist christlicher Glaube und Hiphop auf den ersten Blick etwas widersprüchlich. Wir persönlich haben aber, seit wir sechs Jahre alt sind, immer schon Songs und Raps geschrieben, die sich um unseren Glauben gedreht haben. Denn der Glaube war für uns immer eine ganz wichtige Stütze im Leben. Das haben wir auch nicht gemacht, weil unsere Eltern uns das gesagt haben, die haben sich selbst gewundert, dass wir das gemacht haben (lacht). Klar, man wird häufig auch mal schief angeschaut, aber wir sind happy, dass es mehr und mehr angenommen und verstanden wird.

"Was wir oft hören ist: Ich kann vielleicht inhaltlich mit euren Texten nicht so viel anfangen, weil ich mit dem Glauben nicht so viel am Hut habe, aber ich finde es krass, wie ihr dazu steht und kann den Song auch musikalisch fühlen."

Und wie reagieren Christ*innen, die mit Rap bisher wenig zu tun hatten?

Alex: Total positiv. Ich denke, dass die meisten unser Anliegen dahinter verstehen und vermutlich erst einmal verwundert sind, weil sie mit dieser Art der Kommunikation einfach überhaupt nicht vertraut sind oder auch gewisse Vorurteile dagegen haben. Auch zu Recht, muss man ja sagen. Aber wenn die Leute uns kennenlernen und auch in die Texte tiefer einsteigen, dann haben wir bisher ganz stark überwiegend positives Feedback bekommen.

War das auch euer Ziel?

Alex: Es ist weder unser Ziel, Kirchenvorständen zu gefallen, noch sie zu provozieren. Wir machen unser Ding, seit wir sechs Jahre alt sind. Und ja, offensichtlich gibt es eine Menge Menschen da draußen, die das in ihrem Glauben ermutigt und stärkt.

Kann es sein, dass die bayerische Landeskirche sehr offen für eure Musik ist?

Alex: Das kommt stark auf den individuellen Kirchenverband an. Witzigerweise wird unsere Musik bisher hauptsächlich in katholischen und freikirchlichen Kreisen wahrgenommen, aber mehr und mehr auch in der evangelischen Landeskirche. Was uns total freut, denn die evangelische Landeskirche hat ja auch großes Interesse daran, den Glauben auf eine frische, moderne Art und Weise zu kommunizieren und Menschen zu erreichen. Und ich denke, da gibt es riesige Überschneidungen mit unserer Vision und unserem Anliegen.

Wen wollt ihr mit eurer Musik erreichen – die Gläubigen oder die, die damit nicht viel zu tun haben?

Alex: Damit haben wir uns im letzten Jahr sehr stark auseinandergesetzt. Denn früher haben wir die Songs ganz bewusst auch für junge Menschen geschrieben, die glauben. Aber mittlerweile haben wir gemerkt, das kann doch noch nicht alles sein.

"Es gibt so viele Menschen da draußen, die eine innere Leere spüren. Deswegen haben wir gesagt: Hey, wir müssen unsere Songs mit einem neuen Blickwinkel schreiben. Wie können wir den Glauben auf eine Art und Weise kommunizieren, dass jemand, der vielleicht noch nie einen Schritt in die Kirche getan hat, es versteht und daraus auch Sinn und Hoffnung ziehen kann."

Wobei das nicht unser Hauptantrieb ist. Wir wollen in unseren Songs einfach unsere eigenen Stories verpacken. Es ist nicht so, dass wir eine Agenda dahinter haben.

Seht ihr euch denn als Teil der normalen Deutschrap-Szene?

Alex: Früher haben wir uns gar nicht als Teil irgendeiner Szene wahrgenommen, sondern einfach unser Brüder-Ding gemacht. Wir beide haben als Brüder dieses Projekt, das in unserem Keller angefangen hat. Aber mehr und mehr merken wir: Hey, wir sind de facto Teil der Deutschrap-Szene. Ob es den Leuten passt oder nicht. Und wir haben keine Angst und werden uns nicht verstecken.

Wollt ihr in der Deutschrap-Szene auch etwas verändern?

Alex: Unser Ziel ist es, klare Gegenakzente zu setzen, und auch den jungen Menschen ganz klar zu zeigen: Es gibt in diesem Leben mehr als Geld, Alkohol, Straße und Frauen. Wir denken, dass christliche Werte wie Nächstenliebe und Gerechtigkeit heute mehr denn je zeitgemäß sind. Es gibt Fragen über das Leben und über Gott, die man sich stellen sollte, und auf die es auch Antworten gibt.

Was entgegnet ihr Kritiker*innen, die sagen: Das ist kein richtiger Rap?

Alex: Im Rap geht es um Polarisierung und Authentizität. Rap war schon immer ein Ausdruck von Rebellion. Und wenn man das so sieht, dann ist unser Rap, der sich wirklich absolut nicht mit Mainstream-Themen auseinandersetzt, mehr Rap als der, den man so im Radio hört. Weil unser Rap für manche Leute provokant oder zumindest polarisierend ist.

Auch bei anderen Rapper*innen spielt das Thema Glaube immer wieder eine Rolle. Seht ihr da auch Gemeinsamkeiten?

Alex: Ja, absolut. Wenn man genauer hinhört, merkt man, dass es eine ganze Menge Rapper gibt, die sich mit Glauben und Gott beschäftigen. Oder präziser: Die auf der Suche sind und merken, dass all das, was ihnen vielleicht früher gesagt wurde, was erstrebenswert sei im Leben – nämlich Macht, Einfluss, Geld, Ansehen – dass all diese Dinge das innere Loch nicht befriedigen, sondern vergrößern. Menschen, die an der Spitze sind, wissen vielleicht sogar mehr als viele andere, dass diese Welt dich nicht erfüllt. Und da sehen wir Überschneidungen, wo wir vielleicht auch dem einen oder der anderen wirklich konstruktive Antworten an die Hand geben können.

Hört ihr denn auch "normalen", also nicht unbedingt christlich geprägten Rap?

Alex: Ja. Ich höre Rap, ich höre Deutschrap. Ich höre Straßenrap nicht, weil ich die Inhalte teile, sondern weil Rap im besten Fall einen Teil der Realität des Künstlers auf eine sehr direkte und unzensierte Art und Weise darstellt. Und ich finde es total interessant, in die Lebenswirklichkeiten von anderen hinein zu hören und finde es deswegen eben auch so attraktiv, über Rap auch meine Erfahrungen mit dem Leben zu teilen.

Auf eurem Song "Schalabanda-Flow" von 2015 habt ihr die Textzeile "Unser Netz ist sozialer als Facebook/ Wir sind heiß – nicht wie warme Brüder in 'nem Gayclub". Das klingt homophob. Wie steht ihr heute dazu?

Alex: Wir würden diese Zeile heute niemals so schreiben. Und auch damals haben wir sie nicht ansatzweise so gemeint. Man muss dazu sagen, wir waren damals einfach nur Jugendliche und hatten nicht im Kopf, dass jemals irgendjemand außer unseren Freunden oder Eltern diesen Song hören würde. Deswegen haben wir auch nicht genauer darüber nachgedacht.

Und wie seid ihr auf die Zeile gekommen damals?

Alex: Es gab einfach keinen Reim auf Facebook. Rapper benutzen ja gerne Vergleiche und wir wollen einfach sagen: Hey, wir sind heiß und wir sind Brüder. Das heißt, wir sind hot unterwegs, wir machen unser Ding. Und dann ist uns halt dieser total unpassende Vergleich eingefallen. Das war überhaupt nicht mit der Absicht gemacht, irgendwelche Leute zu verletzen oder gar homophob zu sein. Es war ja tatsächlich der allererste Song, den wir jemals veröffentlicht haben. So eine Zeile würden wir heutzutage auf keinen Fall mehr schreiben.

Was gibt’s Neues nach "Real Life"?

Alex: Das Major Label "Universal" hat uns unter Vertrag genommen. Wir haben einfach so oft geklingelt bis sie … (lacht) ... nein Spaß. Tatsächlich haben eigentlich alle Major Labels nach "Real Life" angefragt. Wir haben uns Zeit gelassen, um zu schauen, ob es das ist, was wir wollen. Uns geht’s nicht darum, dass wir einfach bei Major sein wollen. Das ist uns völlig egal. Wir mussten einfach schauen, ob das cool für uns ist. Und haben uns nach langer Abwägung und Gebet dann entschieden, das für eine Season zu machen. Das ist etwas Historisches, denn so etwas hat es mit absoluter Sicherheit noch nie in Deutschland gegeben: Dass ein klar christlich positionierter Act bei einem Major Label gesigned wurde.