Ausdrucksstarke Gesichter in klaren Linienzeichnungen, Bilder von Schlachten und Naturgewalten in eindringlicher Ästhetik, gehalten in schwarz, weiß und dunkelblau: In "Erlösung" taucht das Augsburg des Jahres 1632 in den drei Kapiteln auf 176 Seiten vor den Augen auf. Paul Rietzl hat sich alte Stadtpläne angesehen und mit Perspektiven der Gegenwart verglichen. "Die Augsburger sollen ihre Stadt auch wieder erkennen, wenn sie die Geschichte lesen", beschreibt er seinen Anspruch. Damals tobt in ganz Deutschland der Krieg zwischen Katholiken und Protestanten, deren König Gustav Adolf von Schweden mit seinen evangelischen Glaubens­genossen eben die zuvor sieg­reichen Feld­herren des katholischen Heiligen Römischen Kaisers in die Defensive gebracht hat.

Jetzt steht der Schweden­könig mit seiner Armee vor den Toren der Stadt Augsburg, in dem die beiden Konfessionen bisher im einvernehmlichen Miteinander gelebt haben – und das auch weiterhin möchten. Nun schlägt die Stunde des angese­henen Kunst­händlers Philipp Hainhofer, der eine mögliche Schlacht durch kluge Verhand­lungen abzuwenden versucht. Es gelingt. Mitunter auch, weil Hainhofer dem König einen kunstvollen Schrank zum Dank für die unblutige Lösung und die Befreiung der Protestanten in Augsburg schenkt.

Zu Ehren Elias Holls

Der steht mittlerweile im Museum Gustavianum im schwedischen Uppsala und nicht im Augsburger Maximiliansmuseum, wo derzeit die Sonderausstellung "Elias Holl – Meister Werk Stadt" anlässlich des 450. Geburtstages des bedeutendem Architekten und Sohn der Stadt gezeigt wird. Er selbst kommt in "Erlösung" nicht vor, "wohl aber seine damals schon fertig gestellten Bauten wie Zeughaus oder der Perlachturm", meint Rietzl. Zusammen mit Museumsleiter Chrisoph Emmendörffer hat er dessen Übersetzung des Tagebuchs Hainhofers über die schwedische Besetzung Augsburgs in ein modernes Deutsch in Bilder gefasst – die zweite Zusammenarbeit nach der vor zwei Jahren erschienenen Graphic Novel "Augsburg 1521". "Wir haben uns lange über Hainhofer unterhalten. So konnte ich dessen Charakter erahnen und auch in der Mimik der Zeichnungen darstellen", meint Rietzl.

Paul Rietzl bei der Arbeit.
Paul Rietzl bei der Arbeit.

Für den in Landsberg am Lech aufgewachsenen Rietzl ist "Erlösung" auch ein echtes Highlight der künstlerischen Laufbahn. "Normalerweise beginne ich ein eigens erdachtes Projekt ohne zu wissen, für wen man das macht und ob es überhaupt mal jemanden geben wird, der sich dafür interessiert", sagt der 1986 geborene Künstler. Das im Sandstein-Verlag erschienene, dicke Buch ist für den als freiberuflichen Illustrator, Comiczeichner und Grafikdesigner sowie als freier Gestaltungsdozent und Leiter von Comicworkshops für Workshops oder mehrtätige Werkstätten in Bildungseinrichtungen tätigen Künstler schon ein herausragendes Projekt.

Preise gewonnen

Rietzl absolvierte nach seinem Schulabschluss eine Lehre zum Glas- und Porzellanmaler und studierte anschließend Kommunikationsdesign in Augsburg. Nach seinem Masterabschluss zog er schließlich nach München. Für Comics hatte er sich bereits seit seiner Kindheit begeistert. Ernste Themen zogen ihn aber schon immer mehr an als reine Fiktion: 2015 errang er den zweiten Preis eines Nachwuchskarikaturisten-Wettbewerb der bayerischen SPD-Fraktion für einen neunseitigen Comic über Flüchtlinge. Außerdem leitet er Comicworkshops mit Kindern und Erwachsenen. Im Jahr 2016 erschien sein Erstlingswerk "Shipwreck" als Graphic Novel in Rollenform, die auf 15 Meter ausrollbar ist. In der Dystopie über Selbstzweifel und –findung versetzt er eine Samurai-Geschichte über den Kampf ums Überleben in einer zerstörten Welt in die Zukunft und hinterfragt, wie die destruktiven Strukturen der Menschheit entstanden sind.

Während der Arbeit an "Erlösung" habe er viel gelernt. "Nicht nur über den Dreißig­jährigen Krieg und Augsburg, sondern vor allem, wie die Menschen damals tickten", meint Rietzl. "Oberflächlich gesehen handelte es sich ja um einen Krieg der Konfessionen. Bei näherem Hinsehen wurde dieser Überbau aber in erster Linie von den Beteiligten genutzt, um ihre Politik zu machen." Es sei sehr spannend, wie damals auf protestantischer wie katholischer Seite in Augsburg ein jeder versucht habe, seine Interessen zwar durchzusetzen, dabei aber Gewalt und Zerstörung vermeiden und "was drehen" wollte. Eine Herangehensweise, die sich Rietzl für die Gesellschaft der Gegenwart mehr wünschen würde. "Früher wurde mehr verhandelt und nach einem Kompromiss gesucht."

Klimawandel in Graphic Novels

Die nächste Arbeit wird sich wieder mit Konflikten in einer vielleicht nicht allzu fernen Zukunft beschäftigen, auch in der Region Augsburg, wo der Klimawandel voll zugeschlagen hat. In der Geschichte haben sich die Menschen in eine Art Öko-Diktatur geflüchtet, um irgendwie Buße zu tun und die letzten Ressourcen der Erde zu schonen. Der Held der Geschichte ist ein Aussteiger, der sich diesem Obrigkeitsstaat entziehen und seinen eigenen, versöhnlichen Weg gehen will. Ein bisschen wie Philipp Hainhofer.

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