Kapitän Celestino kehrt nach einem langen Leben auf See zurück in das Haus seiner verstorbenen Mutter und wartet auf den eigenen Tod. In der Zwischenzeit legt er einen Garten an – und pflegt ihn bis er stirbt.
Literarisches Feuerwerk
So nüchtern ließe sich der neue Roman der jungen, angolanischen Autorin Djaimilia Pereira de Almeida "Im Auge der Pflanzen" zusammenfassen, jedoch ist ihre Erzählung so gar nicht nüchtern. Der Roman ist ein literarisches Feuerwerk, ein Sprach-Bouquet, das Worte wie leuchtende Blüten hervorbringt.
Worte von der Schönheit, der Fülle, der Vielfalt eines Gartens, erschaffen, gehegt und gepflegt von einem einst grausamen Sklavenhändler und Mörder: Kapitän Celestino.
Brutales Leben als Sklavenfänger
Celestino lebte ein brutales Leben - auf See und als Sklavenfänger in den portugiesischen Kolonien. Das Dorf erzählt sich, "er hat einem Zwerg den Kopf abgeschlagen. Er hat eine Frau zweigeteilt. Er ist in den Kongo gegangen und hat dort einen Elefanten in Brand gesteckt."
Doch die Zeit ist vorbei, seinen Lebensabend verbringt er in seinem Geburtsort auf dem Festland. Und während er von den Besuchen des Dorfpfarrers gelangweilt ist und schon gar nicht in die Beichte kommen mag, bestätigt er seine blutrünstige Vergangenheit, den letzten, die sich für ihn interessieren: den Dorfkindern. Ihnen erzählt er Geschichten von Morden, Entführungen und Versklavungen, ohne Emotionen, ohne Reue.
"Hunderte Menschen habe ich mit meinen Händen getötet, und sie sind mir nicht abgefallen."
Diese Hände sind nun schwielig, die Augen schwach, das Gebiss schadhaft – nur Zeit hat er noch im Überfluss. Zeit, die er in einen Garten steckt. So jätet er, legt Wassergräben an, pflügt den Boden und belebt ihn mit neuem Leben. Mit Pflanzen, Bäumen, Sträuchern. Zu Tage treten wieder Würmer, Asseln, Käfer.
Der verwilderte Garten wird zum einzigen Vertrauten. Celestino treibt Pilze, Wurzeln und Schlingen zurück, tränkt den Boden mit Wasser und Hingabe, zieht duftende Nelken, bis das Leben unter seinen Händen zurückkehrt.
Von der Wüste zur Oase
Mit großer Leidenschaft, in einem einmalig romantischen und modernen Stil beschreibt "Im Auge der Pflanzen" den Wandel eines Gartens von der Wüste zur Oase und spiegelt die innerlich schon tote Existenz des Kapitäns mit dem wiedererwachten Leben der Pflanzen.
Der Kulturwissenschaftler Robert Harrison schreibt in seinem Buch "Gärten," dass Menschen nicht dazu geschaffen seien, auf das Wüten, den Tod und das endlose Leiden ihrer Geschichte zu blicken. Sie erschaffen Gärten, um Zuflucht vor dem Tumult der Zeiten zu finden.
"Weil wir in die Geschichte geworfen sind, müssen wir unseren Garten kultivieren. Um heilende Kräfte in uns ausfindig zu machen."
Genau diese Theorie verwandelt die 1982 in der angolanischen Hautstadt Luanda geborene Autorin Djaimilia Pereira de Almeida, die dann in Portugal aufwuchs, in erstklassige Literatur.
Sie beschreibt auf so einzigartige wie brillante Art, wie der Garten geschaffen und zur Blüte getrieben wird.
"Der Garten ringsum mit seinen Nelkenbeeten und roten Geranien, den leuchtend rosa Wicken, dem sorgfältig beschnittenen Pflaumenbaum, jedes Blatt wie von einem verliebten Maler gezeichnet und lackiert (…) Ganz im Gegensatz zu dem düsteren Menschen," dem Kapitän.
Pereira de Almeida beschreibt, wie der Garten, wie die Blumen den Kapitän nicht verurteilen, wie sie ihn gleichgültig betrachten, während sie ihn seine Vergangenheit vergessen lassen.
Doch der Kapitän altert schnell, immer wieder schlafwandelt er, sieht Geister im Feuer, erblickt eine "alte Schwarze" und ein "holländisches Mädchen" dann den Tod, der ihn holen will. Am Ende kommt er mit der Pflege nicht mehr nach und gräbt sich sein eigenes Grab.
"Das Haus und der Garten waren verwahrlost. (…) Das Alter und der Mangel an Verstand übertrugen sich nach und nach auf die Dinge rings um ihn herum. Was in seinen Augen schön war, war ebenso grob und verschlissen wie seine Hosen. Die noch blühenden Pflanzen waren ein Schatten ihrer selbst, verblasst wie seine Tätowierungen."
Und so kehrt sich auch das Verhältnis um, der Garten, die Erde holt Celestino zu sich zurück.
Die Inspiration der Autorin
Pereira de Almeida stellt ihrer Erzählung einen Ausschnitt aus "Die Fischer" voran, einem Buch des portugiesischen Autoren Raul Brandão, der zwischen 1867 und 1930 lebte, einer Seefahrerfamilie entstammte und nach seiner Militärkarriere zahlreiche Bücher schrieb. Brandão war berühmt für seine lyrische Sprache. Kapitän Celestino ist eine seiner Romanfiguren. Und auch sein Stil hat die junge, angolanische Autorin nachweislich inspiriert.
So zeichnet sie in leuchtenden Farben die von düsteren Erinnerungen geprägte Gestalt des Kapitäns, der einer von Tausenden war, die drei Jahrhunderte lang Menschen als Sklaven von Afrika – u.a. Angola, dem Geburtsort der Autorin – nach Südamerika verschleppten.
Kapitän Celestino durchlebt diese Verbrechen in seinen Träumen noch einmal, so wie die Schatten der Vergangenheit auch Portugal immer wieder einholen. Denn bislang hat das Land, einst Vorreiter des transatlantischen Sklavenhandels, wenig von seiner Kolonialgeschichte aufgearbeitet.
"Im Auge der Pflanzen" ist ein Roman über die Vergänglichkeit. Pereira de Almeida schreibt so lyrisch, so plastisch und macht die Natur so lebendig, dass es eine Wonne ist, ihren Zeilen zu folgen.
Im Auge der Pflanzen
Djaimilia Pereira de Almeida (2022): Im Auge der Pflanzen, Unionsverlag, Zürich, 125 Seiten, 20,- Euro.