Die antikommunistische Freiheitsbewegung gehöre zum Besten, was die europäische Widerstandsbewegung des 20. Jahrhunderts zu bieten habe, so die Politikerin Marianne Birthler beim Jahresempfang des evangelisch-lutherischen Dekanats München 2019.

Heute erscheine es paradox, dass Mutterländer dieser Bewegung wie Polen oder Ungarn so anfällig für Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus seien. Als mögliche Ursache nannte Birthler die verheerenden Folgen der Diktaturen, die dort nach Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden waren.

Staatliche Gleichmacherei, das Verbot von bürgerlichem Eigensinn und der Mangel an Begegnungen mit fremden Kulturen hätten "nicht nur Individuen, sondern auch Gesellschaften beschädigt".

Dennoch müsse man darauf vertrauen, "dass Veränderungen möglich sind, wenn wir es wollen und wenn wir etwas dafür tun", sagte die Protestantin. Am 9. Oktober 2019 jährt sich die "Friedliche Revolution" in der DDR zum 30. Mal. Laut Birthler war dieses Datum deshalb eine Wende, weil sich zum ersten Mal Massen an der Montagsdemonstration in Leipzig beteiligten und es trotz schlimmer Befürchtungen im Vorfeld friedlich blieb. Die Proteste führten schließlich zum Mauerfall am 9. November 1989.

Birthler betonte zudem die Bedeutung der Kirchen für die Wende in der ehemaligen DDR. "Kirchen waren die einzigen Räume, die für Veranstaltungen der Oppositionsbewegung zur Verfügung standen", sagte sie. Allerdings seien beispielsweise in Berlin nur eine Minderheit der Kirchengemeinden bereit gewesen, ihre Räume für politische Arbeit zu öffnen.

In einem sehr persönlichen Rückblick schilderte Birthler ihre Erinnerung an den Herbst 1989.

Am 7. Oktober 1989, dem 40. Jahrestag der DDR-Gründung, sei eine Demonstration auf dem Berliner Alexanderplatz von der Polizei niedergeschlagen worden. Es sei zu "heftiger Gewalt" in den Straßen gekommen, hunderte Menschen wurden festgenommen. "Wer von einer Friedlichen Revolution spricht, der war in diesen Tagen nicht Berlin", sagte die Politikerin vor den rund 300 Gästen aus Kirche, Diakonie, Gesellschaft und Politik.

Als Mitorganisatorin der Montagsgebete in der Gethsemanekirche im Prenzlauer Berg habe sie dann erlebt, "dass Eltern Vollmachten schrieben, damit sich Freunde im Falle einer Verhaftung um die Kinder kümmern könnten". Haftentlassene Demonstranten hätten von Gewalt und Demütigungen durch die Polizei berichtet. Die Erinnerung an das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking vier Monate zuvor habe allen Angst gemacht.

Leipzig am 9. Oktober 1989

Am Morgen des 9. Oktobers hätten die Aktivisten in der Gethsemanekirche dann erfahren, "dass in Leipzig alle Schulen und Kitas geschlossen wurden und dass man sich in den Krankenhäusern auf die Behandlung von Schussverletzungen einstellte", erinnerte sich Birthler. Wie immer habe man dann abends Hand in Hand Friedenslieder gesungen.

Welche Kraft daraus entstanden sei, beschrieb Birthler so:

"Wenn man gerade gemeinsam 'Dona nobis pacem' gesungen hat, geht man nicht raus und hebt einen Stein auf."

Als die Nachricht gekommen sei, dass der Leipziger Demonstrationszug friedlich verlaufe, "da haben wir die Glocken geläutet und hatten zum ersten Mal eine Ahnung, wie es ist, wenn man keine Angst mehr haben muss".

Das evangelische Dekanat München hatte seinen traditionellen Jahresempfang unter das Motto "Freiheit und Demokratie - 30 Jahre friedliche Revolution" gestellt. Zum Dekanat zählen 66 Gemeinden mit rund 255.000 Mitgliedern. Stadtdekanin ist Barbara Kittelberger.