Der Münchner Hauptbahnhof, Gleis 11, kurz vor Mittag: Oben leuchtet auf gelbem Hintergrund der Schriftzug "Bahnhofsmission" auf, darunter stehen Menschen in einer Schlange an. Langsam geht es ein paar Schritte vorwärts, bis man vor einer Glastür steht, rechts ist ein Fenster geöffnet.

Dahinter steht Vincent, ein 18-Jähriger, der hier sein Freiwilliges Soziales Jahr macht. Er reicht Tee, Kaffee und Schmalzbrote nach draußen, manchmal sagt er: "Hallo, die Maske bitte über die Nase."

Wie die Bahnhofsmission in der Corona-Pandemie arbeitet

Wer die Bahnhofsmission betritt und an den Beratungsbüros vorbei nach hinten durchgeht, findet in einem Raum Bettina Spahn und Barbara Thoma. Ihre Schreibtische sind durch eine Plexiglasscheibe getrennt. Die beiden Frauen leiten die Bahnhofsmission, die von der katholischen und evangelischen Kirche getragen wird. Im Raum sind die Schränke vollgestellt mit Kisten, eine trägt die Aufschrift "Einmal-Handschuhe", an der Wand stehen Plastikkörbe, gefüllt mit Gesichtsmasken.

Deutlich mehr Hilfesuchende wenden sich an Bahnhofsmission

In der Corona-Pandemie hat sich in der Bahnhofsmission die Zahl der Hilfesuchenden in kurzer Zeit verdoppelt, sagt Bettina Spahn, die hier seit 26 Jahren arbeitet. 2019 gab es hier an Gleis 11 an die 117.000 "Kontakte", wie es heißt, also hilfesuchende Menschen.

Im vergangenen Jahr waren es rund 207.000. Zu Beginn der Pandemie im März sei es im Bahnhof noch "gespenstisch ruhig" gewesen, denn viele Arbeitsmigranten hätten ihre Jobs am Bau verloren und wären in die Heimatländer zurückgekehrt, der Zugverkehr war nahezu eingestellt. Spahn sagt: "Da waren noch wir, die Polizei und die Tauben."

Anders als so manch andere Einrichtung hat das Team der Münchner Bahnhofsmission - 140 Ehrenamtliche, 25 Hauptberufliche - weitergemacht und ein Hygienekonzept entwickelt. "Es geht, wenn man will", sagt Bettina Spahn. In der ersten Woche der Pandemie hatte nach ihrer Darstellung die Bahnhofsmission fast allein die Notversorgung der Münchner Armutsbevölkerung übernommen.

Extremsituationen für Hilfebedürftige

Corona-Zeiten sind für jeden eine harte Erfahrung, für Hilfebedürftige aber noch mehr. Bei der Bahnhofsmission nehmen vor allem Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten Hilfe in Anspruch - "die konnten vor Corona noch etwas dazuverdienen, das geht nun nicht mehr", sagt Bettina Spahn. Dann ist die Verzweiflung groß, etwa wenn die Waschmaschine kaputt ist und das Geld am Monatsende alle ist.

Das trifft auch Oliver. Der 56-Jährige zählt zu den drei Personen, die im Aufenthaltsraum sitzen. Vor Corona konnten sich hier die Hilfesuchenden hinsetzen, ausruhen, einen Tee trinken. Damit ist in der Pandemie erst mal Schluss. Oliver lebt von Hartz IV, es "reicht von hinten bis vorne nicht". Er ist gezwungen, sagt er, um kostenlose Lebensmittel zu bitten, deshalb kommt er hierher. "Die Leute sind okay", sagt er. Mit einem Essenspaket (Tee, Konservendosen, Schokolade) geht er nach Hause.

Erfahrungen aus dem Arbeitsalltag

Zwei Zimmer weiter sitzt Schwester Claudia-Maria an einem Tisch und schmiert Schmalzbrote. An Gleis 11 beginnt die Frühschicht um 6.45 Uhr, ab acht Uhr werden warme Getränke und die Brote abgegeben.

"Der größte Andrang ist zwischen acht Uhr und halb zehn", sagt Vincent. Zu Hause sind sie vier Brüder, von denen die beiden älteren bereits ein Freiwilliges Soziales Jahr hinter sich haben. Vincent wusste nach dem Abitur im vergangenen Jahr noch nicht, was er machen wollte und so fing er nach einem Schnuppertag bei der Bahnhofsmission an. Seine Aufgabe: "Zuhören, was die Leute brauchen und wollen".

Einige der Menschen vor dem Glasfenster kennt er schon, die kämen öfters. Manchmal, wenn jemand am vierten Tag hintereinander einen Rasierer will, sagt er auch schon mal nein. Ansonsten verteilt er auch Hygienepakete mit Seife, Shampoo und Nagelfeile, im Winter außerdem Mützen und Handschuhe. Gesichtsmasken sowieso.