"Die vielen gläubigen Menschen des Mittelalters wollten Jerusalem näher sein und es in Nürnberg allgegenwärtig machen", meint Ulrike Hess, die Gästen meist wenig beachtete Spuren dieser Zeit zeigt. Das sogenannte "Pilatushaus" am Tiergärtnertorplatz, unterhalb der Nürnberger Burg, die Straße "Am Ölberg": Wer in der Sebalder Altstadt unterwegs ist, wähnt sich zumindest anhand dieser Namen im "Gelobten Land".

Diese Benennungen sind aber kein Zufall. Nur wenige Hundert Meter weiter findet man im Museum des Tucherschlosses ein von Dürer-Lehrer Michael Wolgemut gemaltes Gemälde mit dem Konterfei des Herrn, auf den nicht zuletzt diese Verklärungen zurückgehen: Hans Tucher VI., nebst einer Ausgabe seines 1481 erschienenen Buchs über die Reise nach Jerusalem, die der Spross der angesehenen Patrizierfamilie mit seinem Freund Sebald Rieter angetreten hatte und begeistert zurückkam. Sein Werk ist keine religiös-frömmelnde Schrift, sondern in weiten Teilen ein praktischer Reiseführer, der sich nach seinem Erscheinen zum Bestseller entwickelte und seine Wirkung nicht nur auf Straßen- und Häusernamen entfaltete.

Wo sich in Nürnberg Spuren Jerusalems finden lassen

Exakt 1.050 Schritte sei er vom echten Haus Pontius Pilatus den Tempelberg hinauf zur Grablege Jesu gelaufen, schreibt Tucher. Genauso musste auch der Kreuzweg, später vom Nürnberger Bildhauermeister Adam Kraft in mehreren Stationen plastisch umgesetzt, vom Nürnberger Neutor bis zur Holzschuherkapelle im Johannisfriedhof werden, die – wie schon der Vorgängerbau der Lorenzkirche – der Heiliggrabkapelle nachempfunden wurde. Dort findet man auch heute noch Adam Krafts Grablegungsnische, während die originalen Reliefs des Kreuzwegs im Germanischen Nationalmuseum stehen.

Man muss nicht erst ins Museum: An der Fassade der Sebalduskirche findet man Darstellungen des Kreuzwegs – mit einem Jerusalem, dessen Stadtturm erstaunlich dem Sinwellturm der Kaiserburg gleicht. Und natürlich das Schreyer-Landauer-Epitaph außen am Ostchor, das drei Teile der Passions- und Ostergeschichte zeigt – ebenfalls aus der Werkstatt Adam Krafts. Immer wieder faszinieren die ausdrucksstarken Gesichter, die in Stein gehauen wurden. Peter Vischers Sebaldusgrab, das in diesem Jahr seinen 500. Jahrestag der Fertigstellung feiert, ist gekrönt von einer Darstellung des himmlischen Jerusalems. Der Schrein mit den Gebeinen des heiligen Sebaldus war einst in einer Prozession um die Kirche getragen worden.

"Sehnsuchtsort Jerusalem" und die Egidienkirche

Ein bisschen älter und ein bisschen weniger prunkvoll ist die Darstellung der Kreuzabnahme in der Wolfgangskapelle der Egidienkirche, die ein unbekannter Meister dort in den Stein gemeißelt hat. Doch auch dieser wählte bereits dasselbe "Personal" wie für mittelalterliche Darstellungen üblich: Wir sehen Josef von Arimathäa, der Jesu Blut in einem Kelch gesammelt haben soll, das aus der deutlich sichtbaren Seitenwunde aufgefangen wurde. Daneben Maria und der Pharisäer Nikodemus.

Eingehend mit der Übertragung der Topografie Jerusalems auf Nürnberg befasst hat sich Sebaldus-Pfarrer Martin Brons. "Das private wie öffentliche Leben war von der Wiege bis zur Bahre als Teil der göttlichen Heilsordnung in der Nachfolge Jesu gegliedert", erklärt er. Viele Zeugnisse dieser Zeit seien im Übrigen spätestens seit den Bomben auf Nürnberg im Jahr 1945 verschwunden. Beispielsweise die Heiliggrabkapelle im Innenhof des Heilig-Geist-Spitals oder die in den Burgfelsen gehauene Ölberggrotte, die den Garten Gethsemane symbolisieren sollte. Bleiben also einige bis in die Gegenwart erhaltene Straßennamen bildliche Zeugnisse. Und natürlich die Lust am Pilgern.

Veranstaltungstipp

Stadtführung in Nürberg: "Sehnsucht Jerusalem"

Die Führung "Sehnsuchtsort Jerusalem" findet noch am 8. und 29. August 2019 sowie am 5. und 19. 2019 September statt. Treffpunkt: Museum Tucherschloss. Bei einem "Pilgerforum" dreht sich am 19. Oktober in der St. Jakobskirche alles um den "Glauben unterwegs".