Es begab sich im August 2019 im japanischen Kyoto: Aus Metall, Silikon und einer Menge Computerchips kam dort im Zen-Tempel Kodaiji die Gottheit Kannon zur Welt, in Form des Priester-Roboters "Mindar". Seither predigt das Programm in der 1,95 Meter großen, schlanken Gestalt eines Androiden über die buddhistische Herz-Sutra und erklärt seinen Zuhörern, dass ein mitfühlendes Herz immer die Gabe der Menschen bleiben wird.
Abends schaltet Tensho Goto seinen Kollegen ab. Der Zen-Priester aus Fleisch und Blut freut sich auf den Tag, an dem "Mindar" mit Künstlicher Intelligenz (KI) ausgestattet wird und anfängt, selbst zu lehren. Das, sagt Goto, sei die Evolution der Religion.
"Es begab sich aber zu der Zeit" – diese Worte hören Christen am Heiligabend in den Christmetten landauf, landab. Das Lukasevangelium berichtet von der Geburt Jesu, der Gott war und Mensch geworden ist – für alle Menschen, gleich welcher Herkunft, welchen gesellschaftlichen Stands.
Das mitfühlende Herz war sein Programm, und es ist ein Herzstück des Christentums. Die sieben Werke der Barmherzigkeit sind die To-Do-Liste seiner Jüngerinnen und Jünger: Hungernde und Dürstende versorgen, Nackte bekleiden, Fremde aufnehmen, Kranke pflegen, Gefangene besuchen, Tote begraben.
Mehr spirituelles Wachstum in den Herzen
Eine Evolution mittels Roboter und KI braucht dieses Programm nicht – es ist zeitlos gültig, logisch, nötig. Was die Welt aber braucht, ist mehr spirituelles Wachstum in den Herzen ihrer Bewohner. Alle Menschen sind Mütter, Väter, Schwestern, Brüder, Kinder. Alle fühlen Schmerz und Freude, Angst und Hoffnung.
Es ist nicht egal, wenn Menschen ertrinken, verhungern, gefoltert werden, in Lagern verschwinden, ihre Lebensgrundlage verlieren. Es ist nicht egal, weil Gott in jedem Menschen wohnt.
An Weihnachten feiern wir Christen, dass Gott in Jesus Mensch geworden ist. Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir vergessen, dass er das nicht nur für uns getan hat, sondern auch für den Maisbauern in Tansania und für das unterernährte Kind im Jemen. Menschen sind aufeinander angewiesen und füreinander verantwortlich – in der Familie, in der Nachbarschaft, aber auch in der weltweiten Gemeinschaft.
Es ist frustrierend zu sehen, dass Partikularinteressen – sei es beim Klimaschutz oder in der Flüchtlingsfrage – immer wieder stärker sind als das Interesse am Gemeinwohl. Weihnachten ist eine Stopp-Taste. Der Blick aufs Kind in der Krippe zeigt uns, was nötig ist: Demut, Vorsicht, Mut. Und ein mitfühlendes Herz, das man nicht einfach abschalten kann.