Nein, die Ergebnisse der Europawahlen 2024 sind kein Grund zum Jubeln. Im Gegenteil: Sie geben Anlass zu großer Sorge. Halten wir noch einmal fest: Fast jeder fünfte Wähler in Deutschland hat seine Stimme einer zumindest in Teilen rechtsextremen Partei gegeben. In vielen anderen europäischen Ländern sieht es zwar nicht besser aus: Doch im Land der Shoah, dem selbsternannten Erinnerungsweltmeister Deutschland, ist das besonders bitter. 

Niederlage für die Demokratie

Das ist eine Niederlage für die Demokratie, das muss man in dieser Deutlichkeit erst einmal festhalten. Eine Partei, die autoritäres, antidemokratisches Gedankengut vertritt, die Rassismus Tür und Tor öffnet, die Nationalismus in großem Stil wieder salonfähig gemacht hat - es ist eine Schande, dass eine solche Partei auf einer Welle des Erfolgs schwimmt und mittlerweile fast nach Belieben die Diskurse in Deutschland prägt. 

Es wäre gefährlich, ihre Wähler*innen als reine Protestwähler*innen abzutun. Sicher steckt viel Frust über reale Missstände in Deutschland in den knapp 16 Prozent der Stimmen für die AfD. Aber Umfragen zeigen, dass die Mehrheit ihrer Wähler*innen sich über die rechtsextremen Forderungen der Partei im Klaren ist und diese auch befürwortet. Kurz: Sie wird nicht trotz, sondern wegen ihrer menschenverachtenden Ansichten gewählt. 

Bisherige Strategien gegen AfD sind krachend gescheitert

Hoffentlich reift jetzt endlich die Erkenntnis, dass die bisherigen Strategien der anderen Parteien gegen die AfD krachend gescheitert sind. Weder hilft es, deren Vorstellungen zu Migration und Integration aufzugreifen und etwas moderater zu präsentieren - das Ergebnis ist nur ein weiteres Abdriften nach rechts. Noch nützt es etwas, zum tausendsten Mal zu erklären, dass es sich um Rechtsextreme handelt (oder gleich undifferenziert den Begriff 'Nazi' zu verwenden). 

Nein, um der AfD wirklich das Wasser abzugraben, braucht es kein Remigrationsabkommen mit den Taliban. Sondern zum einen: eine klar erkennbare inhaltliche Abgrenzung von all ihren Forderungen, vor allem im Bereich der Migrationspolitik. Es gibt mehrere Untersuchungen, die belegen, dass es Wähler*innen nicht überzeugt, wenn demokratische Parteien versuchen, populistisch hochgekochte Themen für sich zu vereinnahmen. Union, SPD, Grüne und FDP versuchen es trotzdem immer wieder. Damit muss endlich Schluss sein. Es mag verlockend sein, an die in vielen Bevölkerungsschichten und Milieus latent vorhandene Ablehnung von Zuwanderung anzuknüpfen: Das nützt niemandem außer der AfD. 

Zum anderen, und das hängt damit zusammen, brauchen wir eine Hinwendung zu den real existierenden Problemen: Klimakrise, Pflegenotstand, Wohlstandsverlust, wachsende Probleme bei der Infrastruktur, Schulen, Deutsche Bahn – all das löst man nicht dadurch, dass man sich ständig darin überbietet, wer jetzt beim Thema Zuwanderung noch menschenverachtendere Forderungen stellt. Und genau da ist die derzeitige Bundesregierung schwach. Insbesondere die Grünen, aber auch die SPD haben es als Regierungsparteien versäumt, ihren Wähler*innen neben wohlfeilen Worten auch konkrete Ergebnisse zu bieten. Die Folge war, dass sich viele von ihnen enttäuscht abgewandt haben. Auch das stärkt letztlich die AfD. 

Vielleicht die letzte Chance

Eine Chance liegt in diesem niederschmetternden Wahlergebnis. Vielleicht kommt der Warnschuss noch rechtzeitig. Vielleicht überdenken die anderen Parteien ihre Strategien noch einmal grundlegend. Und vielleicht schafft es die Ampel unter Druck, endlich so etwas wie eine erkennbar progressive Politik zu machen – denn dafür ist sie gewählt worden.

Zwar sind daran natürlich Zweifel erlaubt - die Erkenntnisse aus der Europawahl sind schließlich nicht neu, die Fallen der Populist*innen sind es ebenfalls nicht. Aber woran, wenn nicht an der Hoffnung, dass aus vernichtenden Niederlagen irgendwann ein Lernprozess folgt? Es gibt, wie gesagt, eine Chance. Ohne zu dramatisch klingen zu wollen: vielleicht die letzte.

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