Theater, Kinos und Konzerthallen sind seit Monaten geschlossen - das gilt auch für die mehr als 6.500 Museen in Deutschland. Die Herausforderungen und die Chancen, die der momentane Lockdown für die Museen bedeutet, beleuchtet der Würzburger Museologe Professor Guido Fackler im Gespräch mit sonntagsblatt.de. Er ist Mitbegründer und Inhaber der Professur für Museologie an der Uni Würzburg, der ersten Professur der Disziplin Museologie als Fach an einer deutschen Universität.

Herr Fackler, wird die schwierige Lage der Museen in der Corona-Krise von der Politik ausreichend wahrgenommen?

Fackler: Grundsätzlich ist es für Museen gerade keine einfache Zeit. Viel mehr noch: Die Lage ist mancherorts geradezu prekär. Museen dienen von ihrem Selbstverständnis her der außerschulischen Bildung, sind zugleich aber auch Freizeiteinrichtungen für ein breites Publikum. Als systemrelevant wurden sie von der Bundesregierung und den Bundesländern trotzdem nicht angesehen - sondern im Gegensatz zu Spielhallen, Fitnessstudios und Bordellen nicht einmal ausdrücklich erwähnt, als es am 28. Oktober 2020 um die Schließung ging. Das war ein großer Schock in der Museumslandschaft und diese Außenwirkung hat intern für große Diskussionen gesorgt.

Angesichts der weiterhin akuten Pandemie: Welche Zukunft haben die Museen aus Ihrer Sicht als "Erlebnisräume"?

Fackler: Beim ersten Lockdown dachten alle noch, das geht bald vorbei, wir überbrücken das irgendwie. Es spricht aktuell aber einiges dafür, dass uns das Problem Corona noch länger erhalten bleibt. Der Dreistufenplan der Kulturminister der Länder hat für eine zweite Öffnungswelle nach Schulen und Kitas vorgeschlagen, dass mit dem Einzelhandel auch die Museen, Galerien und Gedenkstätten wieder öffnen sollen. Aber das scheint in der aktuellen politischen Diskussion ein bisschen zu versanden: Ich höre von den Ministerpräsidenten nur selten etwas zu Museen.

Also was bleibt den Museen für die nähere Zukunft übrig? Einen "Normalbetrieb" wird es so schnell nicht geben, oder?

Fackler: In Hinblick auf die Besucher werden die Museen zunächst mit weniger Gästen planen müssen, die auf ein Mal kommen dürfen. Das wird für die Einnahmenseite eine Herausforderung. Als "Erlebnisräume" bieten Museen inzwischen aber auch mehr als Bilder an der Wand und Objekte in Vitrinen. Museen sind vielmehr wichtige soziale Orte: Ihr Besuch ist für die meisten von uns angenehmer, wenn sie dabei nicht allein sind, sich austauschen können. Das wird schwierig, Formate wie Führungen sind nicht mehr so wie bisher möglich...

...ganz zu Schweigen von Mitmachaktionen oder von Geburtstagsfeiern für Kinder und Jugendliche.

Fackler: Das ist wirklich ein Problem! Denn die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte von Museen als reinem Schauraum, den man andächtig durchwandert, hin zu Mitmach-Orten ist gefährdet. Lernen ist nicht nur kopf-, sondern auch "bauchgesteuert", die Emotionen spielen dabei eine große Rolle. Genau darauf haben viele Museen mit Hands-On-Stationen, interaktiven oder partizipativen Angeboten reagiert. All das ist wegen der Hygieneregeln derzeit nur schwer oder gar nicht möglich - und so wird es noch einige Zeit bleiben, wenn man nicht hinter jedem Besucher einen Desinfektionstrupp hinterherschicken will.

Was befürchten Sie für langfristige Auswirkungen auf die Museumslandschaft in Deutschland?

Fackler: Ohne übertreiben zu wollen: Die aktuelle Lage ist für die Museen auch im Hinblick auf die Besucherbindung schwierig. Denn der Besuch eines Museums hat etwas mit dem jeweiligen Bildungshintergrund zu tun. Und wer als Kind oder Jugendlicher nicht "lernt", ein Museum zu schätzen, hat es als Erwachsener ohne entsprechenden Hintergrund schwerer, die Hürde zu überwinden, ins Museum zu gehen. Die jetzt fast zwölf Monate der Pandemie fehlen für die langfristig wichtige Gewinnung junger Besucher. Denn es kann ja im Moment und künftig nicht einfach alles nachgeholt werden, was man seit März 2020 hat ausfallen lassen.

Welche Möglichkeiten haben Museen, in den "digitalen Raum" auszuweichen mit ihren Angeboten?

Fackler: Der "digitale Raum" bietet natürlich Möglichkeiten, aber das ist komplexer als es vielleicht scheint. Eine analoge Ausstellung eines Museums nun einfach als virtuellen Rundgang anzubieten, das hat ungefähr den Charme, als würden sie im Unterricht per Videokonferenz nur Powerpoint-Präsentationen für den Präsenzunterricht ohne neues pädagogisches Konzept zeigen. Für gelingende digitale Konzepte braucht es zudem personelle und finanzielle Ressourcen, die die Häuser oftmals nicht haben. Und trotzdem geben sie sich da viel Mühe! Hier braucht es aber dringend eine verlässliche finanzielle Unterstützung durch die Träger.

Einige Museen haben ja bereits Führungen ins Netz gestreamt. Dafür braucht es nicht viel Ausrüstung...

Fackler: Sagen wir es so: Gute Führungen sind in aller Regel keine eineinhalbstündigen Monologe, bei denen die Besucher als stumme Masse hinterher trotten. Normalerweise leben sie von persönlicher Kommunikation und Interaktion. Vom Dialog zwischen Guide und Gästen. Und auch von Atmosphäre des Raums, von der spitzen Bemerkung, die man seinem Nachbarn zuflüstert etc. Das alles geht im digitalen Raum verloren. Aber natürlich gibt es Führungen, die digital funktionieren, weil jemand spannend und vielleicht auch persönlicher erzählen kann.

Was wäre aus Ihrer Sicht digital für Museen möglich, wenn sie ausreichend Personal, Know-how und Mittel hätten?

Fackler: Also zum einen bezwingt das Digitale die "räumliche" Beschränkung. Jedes Heimatmuseum kann über technische Möglichkeiten raus aus seiner lokalen Nische, kann sich vernetzen. Das ist faszinierend. Diese Chancen muss man ausloten. Zum anderen bin überzeugt, dass es nach dem Ende dieser Corona-Pandemie kein einfaches "Zurück zum Vorher" geben kann. Die analoge Präsenzwelt in den Museen muss mit der digitalen Welt eine Symbiose eingehen, so wie es in anderen Lebensbereichen längst stattgefunden hat.

In Deutschland sind die Museen meist öffentlich finanziert oder bezuschusst. Droht trotzdem eine Schließungswelle?

Fackler: Damit rechne ich in Deutschland weniger, eben wegen der Trägersituation. Die öffentliche Hand wird jetzt nicht plötzlich den - eher sparsam geöffneten - Geldhahn für die Museen zudrehen. In anderen Ländern sieht es da schon anders aus, etwa in den angelsächsischen Ländern, die vor allem privat finanzierte Museen kennen. Da kämpfen einige nach einem Jahr ohne Einnahmen im Moment schon schwer ums Überleben. Da erwarte ich in der Tat eine regelrechte Schließungswelle in der nahen Zukunft.

Gibt es denn besonders gelungene Beispiele, wie Museen mit der Pandemie und der Zwangsschließung umgegangen sind?

Fackler: Da gibt es viele - und es wäre unfair, jetzt einzelne herauszupicken, weil ich natürlich auch nicht sämtliche Museen in Deutschland überblicken kann. Mir erscheint es immer dann sinnvoll, wenn das Digitale nicht nur "Projektcharakter" hat im Sinne von, wir stellen mal dies oder das online, sondern wenn man es mit dem Analogen verwebt und eine Art Digitalstrategie daraus entwickelt. Sehr spannend finde ich etwa "Gamification" als seriöse Online-Spielform zur Präsentation musealer Angebote.

Ein großes Online-Problem ist die Monetarisierung. Können Museen mit digitalen Formaten Geld verdienen?

Fackler: Zum einen glaube ich, dass die Not der Museen, schnell etwas digital auf die Beine zu stellen, das dann natürlich kostenlos war, alle Monetarisierungs-Pläne für die Zukunft erschwert - analog zum Geschehen in der Presselandschaft, die auch erst spezifische Angebote entwickeln musste. Hier brauch es neue digitale Formate, das kann nicht von heute auf morgen gehen. Zum anderen weiß ich gar nicht, ob Museen in einem kommerziellen Sinne primär Geld verdienen müssen. Haben sie nicht eher eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe, die über die reine Bildung hinausgeht? Museen sind in den seltensten Fällen gegründet worden, um wirtschaftlich zu arbeiten. Warum sollte dies nun in der digitalen Welt so sein?

Anders gefragt: Die wegbrechenden Eintrittsgelder müssen die Museen ja aber trotzdem irgendwie kompensieren...

Fackler: Die öffentliche Hand muss sich entscheiden, was sie will: Eine möglichst breite Museumslandschaft, die keinen mit hohen Bezahlschranken ausschließt, oder eben mit auf Wirtschaftlichkeit getrimmte Museen. Ich würde da gerne idealistisch herangehen, und wäre für ersteres, da steht der unzweifelhafte kulturelle und gesellschaftliche Nutzen von Museen klar im Vordergrund steht. (