Der Autor Jan Fleischhauer ist für seine – vorsichtig ausgedrückt – kontroversen Kolumnen bei "Focus" bekannt. Sagen wir es mal so: Man könnte öfter den Eindruck gewinnen, es ginge ihm weniger um eine Sache als darum, mit möglichst provokanten Thesen und Aussagen Aufmerksamkeit zu bekommen. 

Die Nazis sollen den deutschen Sozialstaat begründet haben

Sollte dies so sein, so gelingt ihm das auch. Regelmäßig sorgen seine Meinungsbeiträge für Kontroversen. So auch sein jüngster Streich, in dem er die, nun ja, Theorie aufgreift, Hitler sei eigentlich ein Linker gewesen. Als vermeintlichen Beleg dafür führt er unter anderem die (inhaltlich falsche) Behauptung an, die Nazis hätten den deutschen Sozialstaat begründet. (Das war Bismarck.)

So weit, so gut. Zwar ist die Position, die Fleischhauer da vertritt, im besten Falle originell, im schlimmsten Falle Geschichtsrevisionismus. Aber lassen wir das mal für einen Moment dahingestellt sein. Wirklich unangenehm wird es, wenn wir uns anschauen, was Fleischhauer auf die erwartbar scharfe Kritik an seinem Text erwidert.

Jüdische Bräuche zu instrumentalisieren geht gar nicht

Auf Twitter schrieb der Kolumnist nämlich, wohl in der Annahme, das wäre eine gelungene Verteidigungsstrategie:

Zunächst mal: Dass sein Sohn sich offenbar für das Judentum interessiert und sogar jeden Abend eine Bracha, also einen jüdischen Segen spricht, ist großartig. Wie schön, wenn Kinder religiöse Bräuche, auch verschiedene, kennenlernen und sich dafür begeistern. Ich habe nichts als Respekt davor.

Was aber gar nicht geht: Das löbliche Interesse des eigenen Sohnes an jüdischer Religion als Waffe gegen seine Kritiker einsetzen zu wollen – und ihnen dabei noch pauschal zu unterstellen, sie würden die antiisraelische BDS-Kampagne unterstützen. Dann wird daraus eine Instrumentalisierung, und dafür eignen sich Gebete oder Segen nicht.

Es ist ein Ausdruck von tiefer Respektlosigkeit für religiöse Gepflogenheiten, wenn diese fragwürdigen Aussagen zur deutschen Geschichte einen Persilschein ausstellen sollen. 

Konservatives "Virtue signalling"

Respekt vor dem Judentum sollte eine Selbstverständlichkeit sein, etwas, das man hat, aber das man nicht vor sich herträgt. Vor allem nicht, um ein paar obskure Thesen über die Nazis rauszuhauen und sie zu Sozialdemokraten umzudeuten, aber dafür bitteschön nicht zur Verantwortung gezogen werden möchten.

Konservative, und dazu zählt sich Fleischhauer ausdrücklich, nennen das öffentliche Verweisen auf angebliche Solidarität gerne "Virtue signalling" (auf Deutsch etwa: Tugend signalisieren). Genau das ist es, was er mit seinem Tweet tut. Es gibt jedoch gute historische Gründe, das gerade nicht mit Symbolen oder Gebräuchen des Judentums zu machen. Aus dem gebotenen Respekt.