Weniger Mitglieder, weniger Einnahmen, weniger Personal: Dass die Evangelisch-lutherische Kirche in Bayern (ELKB) in den nächsten Jahren massiv sparen muss, trifft viele Arbeitsbereiche. Auch die Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau ist betroffen: Die Stelle des Diakons, eine von zwei Vollzeitstellen, soll nur noch bis Ende 2023 finanziert werden.

Gleichzeitig sind durch Kürzungen seitens der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) die Teamassistenz und die Betreuung der Freiwilligen von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste gefährdet.

Gegen die doppelte Schrumpfung der Arbeit in Dachau protestieren Holocaust-Überlebende, Kommunalpolitiker und gesellschaftliche Bündnisse gleichermaßen. Viele Hoffnungen ruhen nun auf der Landessynode. Das Parlament der bayerischen Protestanten trifft sich vom 21. bis 25. März zu seiner virtuellen Frühjahrstagung, um über den Landesstellenplan zu beschließen.

 

Die Diakonenstelle in Dachau und die bayerische Landeskirche

Die Crux: In der Beschlussvorlage des Landesstellenplans sind die Stellen an der Versöhnungskirche – 1,0 Pfarrstelle und zwei 0,5 Diakonenstellen, beide im landesweiten Dienst verankert – weiterhin enthalten. Von Streichung könne deshalb keine Rede sein, argumentiert die Landeskirche. Zumindest auf dem Papier gibt es derzeit kein Problem für Dachau. Dennoch scheint jetzt schon klar, dass die Diakonenstelle ab 2024 haushaltstechnisch nur noch auf ebendiesem Papier existiert.

Denn wegen des großen Spardrucks der evangelischen Landeskirche sei eine finanzielle Unterstützung der Diakonenstelle aus den bisherigen landeskirchlichen Mitteln über 2023 hinaus nicht realistisch. Das sagt Oberkirchenrat Michael Martin, der auf Seiten der Landeskirche für die Versöhnungskirche zuständig ist. Er beschreibt den Spardruck, der auf der ELKB lastet: Allein fürs Haushaltsjahr 2021 müssten 32,5 Millionen Euro eingespart werden.

Rund drei Millionen Euro davon entfallen auf Martins Abteilung "Ökumene und kirchliches Leben", die bislang etwa 230.000 Euro jährlich für das Team an der Versöhnungskirche, inklusive Sachmittel für Veranstaltungen, ausgibt. Das sei künftig – aufgrund coronabedingter Steuereinbrüche 2020 und langfristig sinkender Kirchensteuereinnahmen durch Mitgliederschwund – nicht mehr drin.

Eine im Stellenplan fixierte Stelle, die trotzdem nicht bezahlt wird? Ein Sprecher der Landeskirche erläutert den Widerspruch: "Eine Stelle im landesweiten Dienst wird besetzt, wenn die Stelle im Stellenplan vorhanden ist UND das Geld dafür vorhanden ist."

Dem liegt die neue Logik der Stellenplanung zugrunde. Es gibt dekanatsweite Stellen – jede davon ist  auch mit finanziellen Mitteln hinterlegt. Und es gibt Stellen im landesweiten Dienst – hinter ihnen steht das Gesamtbudget der jeweils zuständigen Fachabteilung. 2019 hatte die Landessynode beschlossen, dass künftig die Stellen nicht mehr zentral im Landeskirchenamt verteilt werden, sondern vor Ort. Vor Ort heißt bei dekanatsweiten Stellen: durch die gewählten Dekanatssynoden. Im landesweiten Dienst heißt es: von der zuständigen Fachabteilung im Landeskirchenamt, die ihr Budget selbst verantwortet.

Heißt im Umkehrschluss: Wenn das Budget nicht für alles reicht, nützt der schönste Eintrag im Landesstellenplan nichts.


 

Vom hinteren Gedenkstättenteil, wo neben der Versöhnungskirche auch die Todesangst-Christi-Kapelle und das jüdische Mahnmal stehen, blickt man die Lagerstraße hinunter zum ehemaligen Appellplatz.

Die Diakonenstelle in Dachau und die Evangelische Kirche in Deutschland

Doch auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die seit der Einweihung 1967 Hausherrin der Versöhnungskirche ist, sieht sich zu Kürzungen gezwungen. Der absehbare Rückgang an Kirchensteuergeldern bedeute für alle Empfänger von EKD-Zuschüssen ein Minus von durchschnittlich 30 Prozent bis 2030, teilte ein Sprecher auf Anfrage mit. 30 Prozent weniger Sachkosten bedeuten nach aktuellen Zahlen etwa 24.000 Euro, die der Versöhnungskirche ab spätestens 2030 jährlich fehlen. Nicht nur die Diakonenstelle fällt dann weg; auch die Assistentinnenstelle müsste gekürzt und womöglich die Mietwohnung für die ASF-Freiwilligen aufgegeben werden.

Es sei schmerzlich, dass vom Zwang zum Sparen "fast immer wichtige und segensreiche Arbeitsfelder betroffen sein werden", sagt Heinrich Bedford-Strohm, der nicht nur bayerischer Landesbischof, sondern auch EKD-Ratsvorsitzender ist. Man müsse nun nach Wegen suchen, wie "wichtige Aufgaben auch mit weniger Geld erfüllt werden können". Bedford-Strohm betont, dass sich die Kirche weiterhin durch zahlreiche Initiativen im Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus engagieren werde.

Im Fall der Versöhnungskirche, so ein EKD-Sprecher, sei die Kürzung von 30 Prozent der Sachkosten lediglich dem Sparzwang geschuldet, aber kein Ausdruck "einer geringeren Bedeutung, die die EKD dieser Arbeit zuschreibt".

Es ist aber auch kein Ausdruck einer höheren Bedeutung. Denn bei den EKD-Kürzungen wurden einzelne Bereiche durchaus höher oder niedriger priorisiert, konnten also mit weniger oder mussten mit mehr Kürzungen rechnen, als die durchschnittlichen 30 Prozent. Die Versöhnungskirche blieb so wichtig wie immer. Für die einen ist dieser Umstand ein gutes Zeichen. Für die anderen ist es ein Armutszeugnis.

 

"Eine Kirche am Ort eines ehemaligen KZ sollte keine Sackgasse sein", sagte der Architekt der Versöhnungskirche einmal. Deshalb versah Helmut Striffler die Kirche mit einem Fluchtweg.

Die Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau

Denn die Versöhnungskirche ist nun einmal europaweit die einzige Kirche am Ort eines ehemaligen Konzentrationslagers. Sie wurde von ehemaligen Dachau-Häftlingen begründet und 1967 eingeweiht, als nur eine von zwei Kirchen, die sich im Besitz der EKD befinden. Die Überlebenden rund um den Niederländer Dirk de Loos wollten kein schlichtes Sühnekreuz, wie es die Landeskirche favorisierte.

Sie wollten ein Gotteshaus, in dem sie ihrer ermordeten Kameraden gedenken und Gottesdienst feiern konnten, eine schutzbietende Kirche, in deren Räumen über ihre Widerstands- und Verfolgungsgeschichte gesprochen wird und von der ein unüberhörbares "Nie wieder" ausgesendet wird. Fast eine Million Menschen besuchen mittlerweile jährlich die KZ-Gedenkstätte Dachau. Rund 250.000 kommen dabei nach Angaben der Versöhnungskirche in Kontakt mit ihrem Team.

Auch die Architektur der Versöhnungskirche ist ein zeitloses Mahnmal an die KZ-Vergangenheit des Orts. Als 1964 der damals erst 36 Jahre alte Mannheimer Architekt Helmut Striffler mit dem Entwurf betraut wurde, stellte sich ihm die schier unlösbare Frage: Wie kann man an solch gottlosem Ort eine Kirche bauen?

Der rechtwinklige Grundriss des KZ wurde zum Schlüssel für das Problem. "Gewehrkugeln fliegen geradeaus", so brachte Helmut Striffler die grausame Logik der Nazi-Architektur bei einem Vortrag in Dachau einmal auf einen Nenner. Alle Gebäude und Wege des KZ waren rechtwinklig angeordnet, jede Abweichung von dieser Norm fehlte – nur so war es möglich, Tausende Menschen mit einer Handvoll SS-Leuten in Schach zu halten.

Der junge Architekt wollte diesem tödlichen Prinzip etwas entgegensetzen. Er warf alles, was er bis dahin über Architektur gelernt hatte, über Bord und plante eine Kirche, die nahezu ohne rechten Winkel auskommt. Aus der persönlichen Erfahrung als junger Flakhelfer im Zweiten Weltkrieg grub Striffler die Versöhnungskirche halb in den Boden hinein, wie eine schützende Ackerfurche, in die man sich beim Fliegerangriff ducken konnte. Und er versah sie mit einem Fluchtweg. "Eine Kirche auf einem ehemaligen KZ sollte keine Sackgasse sein", davon war der Architekturprofessor überzeugt.

Den Besuchern bietet Strifflers Bau noch heute, was sich der Architekt gewünscht hat: einen Ort der Zuflucht vor Regen, Wind und dem Grauen des Lagers und einen Raum der Besinnung, der ohne Gebrauchsanweisung auf die Menschen wirkt.

Dass die Bauherren der Kirche damals auch einen großen Versammlungsraum und kleinere Büroräume zugedacht hatten, ermöglichte erst die vielen Zeitzeugengespräche und Ausstellungen, die noch heute Kern der – häufig in ökumenischer Kooperation stattfindenden - Arbeit an der Versöhnungskirche sind.

 

Dass die Planer 1964 neben der Kirche auch an einen Gesprächs- und Veranstaltungsraum gedacht hatten, erwies sich für die Bildungsarbeit an der Versöhnungskirche als Segen: Hier fanden und finden immer noch Zeitzeugengespräche, Lesungen und Ausstellungen statt.

Errungenschaften und Aufgaben der Diakonenstelle in Dachau

Die Kürzungsbeschlüsse von EKD und ELKB stoßen vielerorts auf Bedauern oder Unverständnis. Aus der Arbeit des Versöhnungskirchen-Teams sind seit 1985 markante Projekte entstanden: die Internationale Jugendbegegnungsstätte zählt dazu genauso, wie die Stiftung Wings of Hope oder das Gedächtnisbuch "Namen statt Nummern".

Zu den aktuellen Aufgaben des Diakons gehören neben Gruppenführungen für Schulklassen, Gottesdiensten und Veranstaltungsplanung für Ausstellungen und Zeitzeugengesprächen beispielsweise auch die Betreuung der beiden internationalen Freiwilligen der "Aktion Sühnezeichen Friedensdienste" (ASF), der Kontakt zur Initiative "!Nie wieder - Erinnerungstag im deutschen Fußball" und Einzelführungen jugendlicher Straftäter im Rahmen der Jugendgerichtshilfe.

Der letzte Bereich ist der neueste im Portfolio der Versöhnungskirche. Per gerichtlicher Weisung mussten allein zwischen Juni und Oktober 2020 etwa 30 Jugendliche und junge Erwachsene Einzelführungen über die KZ-Gedenkstätte absolvieren, weil sie mit rechten Parolen und NS-Verharmlosung in den Social Media aufgefallen waren. Diese Führungen übernimmt die Ökumenische Besucherbegleitung, die mit dem neuen Diakon der Versöhnungskirche, Frank Schleicher, einen ausgebildeten "Berater gegen Rechtsextremismus" mit langjähriger Erfahrung in der Präventionsarbeit an Bord hat.

 

Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten: Einsparungen "extrem bedauerlich"

Diese Aufgabe könne nicht durch staatliche Stellen übernommen werden, sagt Karl Freller, Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten. "Dafür braucht man das Seelsorgegeheimnis", betont der Landtagsvizepräsident. Seelsorge bräuchten auch die "normalen" Gedenkstättenbesucher, deren Zahl in den letzten zehn Jahren von 600.000 auf knapp eine Million gestiegen sei: "Von Seiten der staatlichen Gedenkstätte können wir zeigen, führen, erklären. Aber wir können nicht Fragen nach Schuld, Sühne und Gott beantworten." Dass die Landeskirche "ausgerechnet an dieser zentralen Stelle" einsparen wolle, obwohl nicht nur die Nachfrage nach Gedenken ungebrochen sei, sondern auch die Zunahme von rechtsextremen Haltungen in der Gesellschaft, hält Freller für "extrem bedauerlich".

Aktion Sühnezeichen Friedensdienste hoffte auch künftig auf Zusammenarbeit

Auch bei "Aktion Sühnezeichen Friedensdienste" ist Betroffenheit zu hören. Jedes Jahr entsendet der Verein zwei internationale Freiwillige nach Dachau, aus Polen, der Ukraine, Großbritannien und vielen anderen Ländern. Ihre Einarbeitung an der Versöhnungskirche sowie ihre Begleitung auch bei Alltagsfragen gehört zu den Aufgaben des Diakons. Für ASF-Referent Thomas Heldt hat die Kooperation mit Dachau "eine sehr große Bedeutung ". Seit Gründung der  Versöhnungskirche seien Freiwillige dort im Einsatz und könnten sich – anders als an anderen Einsatzorten - neben den politischen auch mit theologischen Fragen auseinandersetzen. Der Verein sei dankbar "für die seit Jahren hervorragende Begleitung unserer Freiwilligen in der Versöhnungskirche". Man hoffe, dass diese gute Zusammenarbeit auch in Zukunft möglich bleibe.

Initiative "Erinnerungstag im deutschen Fußball": Kirche braucht Fanprojekt

Nach einem Gottesdienst am 27. Januar 2004 ist in der Versöhnungskirche die Initiative "!Nie wieder – Erinnerungstag im deutschen Fußball" gegründet worden. Den Anstoß dazu gaben Klaus Schultz, bis Mai 2020 Diakon der Versöhnungskirche, und sein Namensvetter Eberhard Schulz, ebenfalls Diakon und 30 Jahre lang Kuratoriumsmitglied.

Die Anfänge des Fußballprojekts waren mühsam, doch heute ist "!Nie wieder" in allen rund 60 Fanprojekten der 1. und 2.  Bundesliga verwurzelt. Fußballclubs wie der FC Bayern haben die Erinnerung an ihre in der NS-Zeit verfolgten Mitglieder ins Vereinsleben aufgenommen.

Organisatorisch ist die Initiative noch immer an die Versöhnungskirche angedockt: Zuständig: der Diakon. Ob das Fußballprojekt die Versöhnungskirche noch braucht? "Die Kirche braucht "!Nie wieder", entgegnet Eberhard Schulz.

Der Sprecher der Initiative beschreibt die Strahlkraft des Projekts: "Wenn am 27. Januar, dem Holocaustgedenktag, die Stadiondurchsage auf St. Pauli erschallt, dann weiß der Ultra über seinen Fanclub, dass das aus der Versöhnungskirche Dachau kommt." Dass heute jedes Fanprojekt , das etwas auf sich hält, nach Dachau, Majdanek, Auschwitz oder bis nach Israel fahre, sei dank der Initiative "Nie wieder!" selbstverständlich. Mit dem "Erinnerungstag im deutschen Fußball" habe die Versöhnungskirche eine große demokratische Bewegung im Fußball angestoßen.

Holocaust-Überlebende: Streichung der Stelle wäre schlimmes Signal

Auch die Holocaust-Überlebenden Walter Joelsen, evangelischer Pfarrer, und Ernst Grube melden sich in Sachen Dachau zu Wort. Er sei besorgt über die Pläne der ELKB, dort die Diakonenstelle nicht weiterzufinanzieren, schreibt der 88-jährige Grube in einem Brief an die Präsidentin der Landessynode. "Gerade heute, wo der Rechtsextremismus immer stärker und brutaler wird, wäre die Streichung ein schlimmes Signal", so der Präsident der Lagergemeinschaft Dachau.

Auch Pieter Diez de Loos, Sohn des ehemaligen Dachau-Häftlings Dirk de Loos, sowie das Comité International de Dachau (CID) haben eine schriftliche Stellungnahme abgeben. CID-Präsident Jean-Michel Thomas betonte, die Versöhnungskirche sei einer der Hauptakteure der Gedenkgemeinschaft und damit "ein wesentliches Element der KZ-Gedenkstätte Dachau und ihrer internationalen Bekanntheit". Die drohenden drastischen Kürzungen ihrer personellen und finanziellen Ressourcen seien "zum Nachteil einer Erinnerungsarbeit, die notwendiger ist denn je", so Thomas.

Das Internationale Dachau-Komitee versteht sich als Sprachrohr aller ehemaligen Dachau-Häftlinge aus 37 Ländern. Zusammen mit der Lagergemeinschaft Dachau setzte es sich nach Ende des Zweiten Weltkriegs für eine Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau ein. Der Dachau-Überlebende und frühere CID-Präsident Dirk de Loos zählt zu den Initiatoren der Versöhnungskirche.

Stimmen aus Politik und Zivilgesellschaft für die Diakonenstelle in Dachau

Zahlreiche Menschen aus Kommunalpolitik und Zivilgesellschaft haben sich mit Briefen an die Landeskirche gewandt und für den Erhalt sowie die Weiterfinanzierung der Diakonenstelle plädiert. Ob Junge Union Dachau, Mitglieder der Grünen, Dachauer Oberbürgermeister oder Vertreter des Runden Tischs gegen Rassismus, der Stiftung Internationale Jugendbegegnung oder Aktion Sühnezeichen Friedensdienste: Der Tenor der Statements lautet, dass neben dem Pfarrer auch der Diakon unverzichtbar ist, weil nur durch ihn alle Arbeitsbereiche, in die die Versöhnungskirche in Dachau und bundesweit eingewoben ist, erhalten bleiben können.

Sie alle unterstützen durch ihre Voten den Antrag, den der frühere Versöhnungskirchen-Diakon Klaus Schultz gemeinsam mit Walter Joelsen und weiteren Unterzeichnern an die Landessynode gestellt hat. Die Forderung: Verstetigung der Diakonenstelle als 1,0-Stelle im Landesstellenplan.

Doch an diesem Punkt beginnt die Diskussion, sich im Kreis zu drehen: Denn die beiden Stellenhälften waren, sind und bleiben ja im Stellenplan bestehen. Nur wird, so die Landeskirche, ab 2024 nicht mehr genug Geld da sein, um den Amtsinhaber zu bezahlen.

 

Das Quaderkreuz von Fritz Koenig.

Kooperationen und Drittmittel: Wie die Stelle doch noch finanziert werden könnte

Die naheliegendste Lösung lautet für die Verantwortlichen: Sicherung der Arbeit durch Kooperationen und Drittmittel. Oberkirchenrat Martin denkt dabei an Stiftungen und Spenden oder an Kooperationen mit der Evangelischen Jugend München oder dem Prodekanat München Nord. Das Konstrukt wäre nicht neu: Schon 1988 war der erste feste Dachauer Diakon Peter Klentzan mit einer halben Stelle an der Versöhnungskirche eingesetzt und mit einer weiteren halben Stelle als Jugenddiakon an der benachbarten Gnadenkirche.

Der Unterschied zu 1988 ist, dass auch die Dekanatsbezirke künftig mit weniger Personal auskommen müssen und gut überlegen, wo und wie sie ihre Stellen einsetzen. Unter heutigen Bedingungen mit sinkenden Mitgliederzahlen und Kirchensteuereinnahmen eine halbe Dekanatsstelle abtreten für einen landesweiten Dienst? Das bräuchte ein selbstloses Bekenntnis, die freiwillige Priorisierung eines Arbeitsbereichs, der eigentlich in einer anderen Zuständigkeit liegt.

Und ohne dauerhafte Spenden in Höhe von rund 50.000 Euro im Jahr hülfe auch das nichts. Drittmittel, das klingt verheißungsvoll. Doch sie müssten eben auch dauerhaft bereitstehen, will man nicht alle drei Jahre neu über den Fortbestand des Diakons diskutieren. Ein Coup ist Versöhnungskirchen-Pfarrer Björn Mensing schon gelungen: Eine Stiftung außerhalb Bayerns hat sich bereit erklärt, ab 2024 unbefristet jedes Jahr 22.000 Euro für die Diakonenstelle zu geben. Dazu ist noch eine Satzungsänderung dieser Stiftung nötig; solange will sie ungenannt bleiben. Die Zusage gilt jedoch als sicher.

Fehlen noch weitere 25.000 Euro bis zur 0,5 Stelle. Dafür, sagt Kirchenrat Mensing, könnte der frei verfügbare Anteil der Versöhnungskirchen-Stiftung von 195.000 Euro verwendet werden – das reicht immerhin für acht Jahre. Die andere 0,5 Stelle dauerhaft ebenfalls über Spenden zu finanzieren, hält der Theologe und Historiker für unrealistisch.
 

Am Ende ihres Rundgangs über die KZ-Gedenkstätte suchen viele Menschen einen Moment der Besinnung in der Versöhnungskirche und zünden eine Kerze an.

Historische Verpflichtung der Kirchen

Von der ganzen Drittmittel-Diskussion hält Eberhard Schulz von "!Nie wieder" nichts. Schulz ist nicht nur Sprecher der Initiative "Erinnerungstags im deutschen Fußball". Der 80-Jährige ist quasi selbst Zeitzeuge, der die Versöhnungskirche von ihrem ersten Jahr an begleitet hat, Ende der 1970er-Jahre die ASF-Freiwilligen betreute und von 1978 bis 2008 Mitglied im Kuratorium war.

Schulz hat sich mit einem offenen Brief an Landesbischof Bedford-Strohm, Landessynodalpräsidentin Preidel und Oberkirchenrat Martin gewandt. Nachdem ehemalige Dachau-Häftlinge den Bau der Versöhnungskirche mühsam gegen Widerstände der Kirchenleitung erkämpft hätten, habe es Jahre gedauert, in denen sich die Verantwortlichen stets aus Finanzgründen geziert hätten, den Ort mit ausreichend Personal- und Sachkosten auszustatten, schreibt er.

Dass die 1988 errichtete Diakonenstelle seither immer wieder durch Kürzungspläne gefährdet sei, bezeichnet Schulz in seinem Brief als "das Elend von ELKB und EKD, sich immer nur halbherzig für das Geschenk des Himmels, die Versöhnungskirche, zu entscheiden". Schließlich sei erst durch die Schaffung der beiden Stellen von Pfarrer (seit 1985) und Diakon in Dachau "die Entwicklung und der Ausbau einer hochqualifizierten Seelsorge- und politischen Bildungs- und Erinnerungsarbeit" möglich geworden.

Diese Arbeit wiederum sei die nötige "Antwort der ELKB und der EKD auf ihr Versagen in der Zeit des Nationalsozialismus", als zu viele Bischöfe, Pfarrer und Gemeindemitglieder dem Führer applaudierten und nur wenige sich mit deutlichen Worten und Taten gegen das NS-Regime stellten.

Wenn Kirchenleitung sich klar zur Erinnerungsarbeit und zum Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus bekenne, müsse sie diese Arbeit aber auch aus Eigenmitteln finanzieren und dürfe sie nicht den Unwägbarkeiten einer Drittmittelfinanzierung ausliefern, findet Eberhard Schulz. "In diesen Zeiten, wo die Morde der NSU, die Anschläge in Halle und Hanau, der Mord an Walter Lübcke verstören, sind klare Gegenzeichen zu setzen", formuliert er.

Solche Zeichen könnten nicht aus Spenden finanziert werden: "Sie müssen aus dem ‘Ordentlichen Haushalt’, aus ‘dem Bauch’ der EKD und der ELKB kommen, weil sich das aus der Geschichte der evangelischen Kirchen im Nationalsozialismus zwingend ergibt, weil es innerkirchlich und im öffentlichen Raum um die Glaubwürdigkeit der Kirche geht."
 

Halb in den Boden geduckt, wie eine Ackerfurche, in die man sich bei Gefahr ducken kann: Als Zufluchtsort hat der Architekt Helmut Striffler die Versöhnungskirche Dachau gebaut.

Diakonenstelle in Dachau: Wie geht es jetzt weiter?

Es scheint, als gebe es derzeit zwei Wahrheiten mit Blick auf Dachau. Die eine Wahrheit ist, dass der evangelischen Kirche durch die sinkenden Mitgliederzahlen und durch den coronabedingten Einbruch bei den Steuereinnahmen immer weniger Geld zur Finanzierung ihrer Aufgaben zur Verfügung steht.

Und das sind viele: Auf der einen Seite brauchen die Gemeindemitglieder Pfarrer, auf der anderen Seite braucht es aber auch Seelsorger für Krankenhaus- und Altenheimseelsorge, Diakone für die Jugendarbeit, Dolmetscher und Brückenbauer im interreligiösen Dialog oder Unterstützung der weltweiten Partner. Es wird ein schwieriger Prozess werden, all diese Aufgaben mit den sinkenden Finanzmitteln in Deckung zu bringen.  

Die andere Wahrheit hat die Geschichte geschrieben. Die Versöhnungskirche auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachau ist einzigartig, es gibt keinen zweiten kirchlichen Ort wie diesen. Sie steht an einem Platz, an dem zwölf Jahre lang Menschen von Menschen erniedrigt, gequält, tyrannisiert, ihrer Würde beraubt und ermordet wurden. Jene, die den Horror von Dachau überlebt hatten, gründeten diese Kirche, damit sie ein Zeichen sei gegen Tyrannei und Menschenverachtung und ein Ort für Begegnung, Austausch und Versöhnung.

Bei vielen Jubiläen, Gedenktagen, Festlichkeiten war und ist die evangelische Kirche stolz darauf, an ihrer Kirche in Dachau ein vitales Team zu haben, das Erinnerungsarbeit wach hält, modernisiert und fortschreibt und zugleich mit der Gegenwart verknüpft. Eines ist deshalb auch die Diakonenstelle an der Versöhnungskirche nicht: eine Stelle unter vielen.

Dass diese Stelle erhalten bleibt, aber trotzdem von der Kirche nicht mehr bezahlt wird: Solcherlei Verwaltungsfeinheiten mag außerhalb der Landeskirche niemand nachvollziehen.