Die älteste Pfarrkirche Nürnbergs hat sicherlich schon viel erlebt und gehört in ihrer rund 800-jährigen Geschichte. Aber zarte Töne aus der Nay, einem Flöten-Instrument mit rund 5.000-jähriger Tradition, die auf Blues-Schemata, Klang-Kaskaden eines Olivier Messiaen treffen, um sich im nächsten Moment im Jazz-Keller wiederzufinden?

Was das Duo ZIA (Orgel: Christian Grosch, Trompete: Marcus Rust) in Zusammenspiel mit Mohamad Fityan an der Nay, das Münchner Trio "Organ Explosion" mit Hansi Enzensperger an der originalen, aus den 60er-Jahren stammenden Hammond-Orgel und Bassist Ludwig Klöckner sowie der 1986 im unterfränkischen Bad Neustadt geborene Maximilian Schnaus, Lehrbeauftragter für künstlerisches Orgelspiel am Kirchenmusikalischen C-Seminar der Universität der Künste Berlin, in St. Sebald aufführten, das war außergewöhnlich und atemberaubend.

"Orgel united": 1001 Nacht trifft Blues

Letzteres nicht nur, weil der energetische Mix aus anglo-amerikanischen Grooves, Ausflügen in die Traumwelt von "1001 Nacht" und südländischer Volksfest-Atmosphäre bis zur ganze Schwere der virtuos und mit facettenreichen Farben dargebrachten Leistung der Organisten an der Sebalder Peter-Hauptorgel einfach mitreißend war. Sondern auch, weil man sich manchmal kneifen musste, dass dieses Crossover nun tatsächlich in einer Kirche stattfindet.

Um sich im nächsten Moment zu fragen, wieso einem die wirren Cluster von Adriana Hölszkys 1997 erstmals als Auftragswerk zur ION entstandenes "… und ich sah wie ein gläsernes Meer, mit Feuer gemischt" noch eher in diesen sakralen Raum beheimatet vorkommen als die Improvisationen der "Organ Explosion", die mittlerweile doch eher den Hörgewohnheiten nahe sind.

Heiliger Sebaldus strahlte

Dem Heiligen Sebaldus selbst freilich war's egal, der zentral im Hintergrund des Chorraums, aber angestrahlt in seinem Grab über das Geschehen da vorne im Chorraum nicht einfach zu wachen schien, sondern sich bestimmt freute, dass wieder einmal ein Live-Konzert vor seiner Ruhestätte stattfindet. Und die Orgel selbst, 2021 "Instrument des Jahres", stand sowieso im Mittelpunkt.

Einmal mehr wurde deutlich, wie vielfältig die "Königin der Instrumente" doch ist. Deutlich nicht nur an der Vielzahl der Klangeindrücke nach gefühlt 100ster Änderung der Registratur. Auch weil die aus dem Jazz und Rock bekannte Hammond in diesem Kontext des Konzertes nicht als Exot wirkte, sondern sich beim gemeinsamen Jam am Schluss wie selbstverständlich mit der Kirchenorgel verband.

ION 2022 mit Tanz?

Auch ungewöhnlich an einem solchen Ort: Traditionelle Melodien aus Palästina, Israel, Jordanien oder dem Libanon, wie sie von ZIA intoniert und entsprechend für die Besetzung Orgel – Trompete – Nay arrangiert wurden. Da sah man gerade noch den Schlangenbeschwörer vor sich, um sich im nächsten Moment dabei zu ertappen, den Übergang zum rhythmisierten Teil des Stückes gar nicht bewusst mitbekommen zu haben und fröhlich im Takt mitzuwippen.

Das taten die sichtlich glücklichen und von dem Konvolut an Sound erfüllten Musiker auch – nicht nur beim eigenen Spiel, sondern auch beim Zuhören der Kollegen. Der Funke sprang dabei auch bald auf das Publikum über. Moritz Puschke, Intendant des ION, gab sich zuversichtlich, dass die Zuhörer im nächsten, hoffentlich coronafreieren Jahr auch in der Kirche tanzen können.

Das Konzert wurde live im Stream auf YouTube übertragen. Der Konzertmitschnitt des Bayerischen Rundfunks wird am 2. August um 20.05 Uhr auf BR-Klassik noch einmal gesendet.

Nach der Show: Hansi Enzensperger (rechts) gibt interessierten Musikfans Einblicke in seine Hammond-Orgel, deren Innenleben er extra mit einer Glasscheibe sichtbar gemacht hat.